Charlottesville — deutsche Empörung.

Charlottesville am 12. August 2017 *1) — Ort der größten Demonstration für rassistische „Weiße Vorherrschaft“ („White Supremacy“) in den USA seit 40 Jahren. Noch vor einem Jahr hatte ein schwarzer Präsident, Barack Obama, das Land geführt. Eine Gegendemonstrantin, Heather Heyer, Juristin und Bürgerin der Stadt, wird von einem Neo-Nazi ermordet. Nutzt der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika diesen bösen Tag, um zur Einheit des Landes und seiner Menschen aufzurufen?

1. Charlottesville: Präsident Trumps Führungsversagen.

Mindestens drei Reden brauchte Präsident Trump, um damit zu enden, den Medien die Schuld zu geben für sein Defizit an „moralischer Klarheit“, das der Sprecher des House of Representatives, der Republikaner Paul Ryan, von seinem Präsidenten eingefordert hatte.

Die transatlantisch ausgerichtete britische Zeitschrift „The Economist“ urteilt: Indem Trump die eindeutig rechtsextreme Gewalt in Charlottesville „vielen Seiten“ zugeschoben habe, zeige sich den Amerikanern ein Führungsversagen ihres Präsidenten. Trump sei zwar kein Rechtsextremer, habe sich jedoch durch seine „unstete Antwort“ auf Charlottesville als „politisch unfähig, moralisch leer, charakterlich ungeeignet“ für sein hohes Amt offenbart. *2)

Sowohl aus der Republikanischen wie der Demokratischen Partei wurde das Verhalten Trumps scharf kritisiert. Führende Vertreter der Wirtschaft und der Führung gerade der Republikanischen Partei Donald Trumps sowie namhafte republikanische Kongressabgeordnete haben sich von den Auftritten Trumps nach der Gewalt in Charlottesville distanziert.

Dies weckt Hoffnungen, auch in Deutschland, dass Donald Trump politisch am Ende ist. Zumal die Schlüsselbereiche der Wirtschafts- und Finanzpolitik (Prof. Gary Cohn, Leiter des Nationalen Wirtschaftsrates im Weißen Haus), der Außenpolitik (Außenminister Rex Tillerson) und der Sicherheitspolitik (Verteidigungsminister James Mattis) von Persönlichkeiten solchen professionellen Gewichts und öffentlichen Ansehens geführt wird, dass Trump eingehegt und entbehrlich erscheint.

Hinzu kommt die Entlassung des langjährigen Beraters und „Chef-Strategen“ Trumps im Weißen Haus, Steve Bannon, der wieder die Führung des Nachrichtenportals Breitbart übernimmt, das er „populistisch“ im Sinne Trumps geprägt hat.

2. Martin Schulz‘ moralische Empörung über Präsident Trump.

Ist Donald Trump nach Charlottesville „politisch erledigt“? Diese Frage erinnert an die vielen Schlagzeilen in der deutschen Presse, bevor uns alle der Wahlsieg Trumps über Hillary Clinton überraschte. Auch jetzt könnte besonders in Deutschland Wunschdenken aufkommen, weil wir Trumps Politik ablehnen. Insbesondere

  • die ethno-nationalistische, gegen Migranten gerichtete Abschottungspolitik,
  • den „America-First“-Unilateralismus gegen Kooperation mit der internationalen Gemeinschaft,
  • die protektionistischen Drohungen gegen den Freihandel und
  • die vom SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz als „Politik der Niedertracht“ verurteilte angebliche Weigerung Trumps, „sich vom Nazi-Mob zu distanzieren“. *3)

Allerdings scheint gerade in Deutschland Vorsicht geboten, wenn die Empörung über US-Präsident Trump moralisch überhöht wird. Besonders weit ging Martin Schulz in diese Richtung.

SPD-Kanzlerkandidat Schulz wolle „klarer als Bundeskanzlerin Merkel“ einem „Typen wie Donald Trump“ zurufen: „Ihre Politik ist falsch, und sie wird niemals die Politik der Bundesrepublik Deutschland werden. Wir sind ein Land, in dem die Nazi-Ideologie nie wieder einen Platz finden wird.“ *3)

Dabei hatte Martin Schulz noch im Juni 2017 als „Schande für die Bundesrepublik“ beklagt, dass es mit der AfD eine Partei gibt, die — nach Presseberichten — von Schulz in die Nähe der Nazis gerückt wurde. *4) Aktuelle Umfragewerte zum Meinungsbild vor der Bundestagswahl am 24. September 2017 sehen die AfD bei 9 bis 10 Prozent. Damit könnte die AfD nach CDU/CSU und SPD drittstärkste politische Kraft im nächsten Deutschen Bundestag werden.

Im Vergleich zum US-Rechtsextremismus, der in der politischen Ordnung der USA weder in bundesstaatlichen Parlamenten, noch auf Regierungsebenen nennenswert repräsentiert ist, hat die von Martin Schulz wahrgenommene AfD-„Schande für die Bundesrepublik“ nach zweistelligen Wahlergebnissen in einigen Bundesländern und vielleicht sogar im nächsten Bundestag einen deutlich sichtbaren politischen Platz.

Wenn also Schulz die AfD in der Nähe von Neo-Nazis sieht, steht die AfD-Präsenz in deutschen Parlamenten in merkwürdigem Widerspruch zum „Zuruf“ von Martin Schulz an Präsident Trump: „Wir sind ein Land, in dem die Nazi-Ideologie nie wieder einen Platz finden wird.“ *3)

Warum geht Martin Schulz dermaßen abwertend gegen US-Präsident Trump vor? Verspricht er sich wahlpolitischen Gewinn durch anti-amerikanische Einstellungen? Spielt Schulz vor der Bundestagswahl wie einst SPD-Kanzler Gerhard Schröder im Wahlkampf 2002 mit Anti-Amerikanismus? Sehen wir eine Spekulation des SPD-Kandidaten auf anti-amerikanische Haltungen, die in Deutschland — verglichen mit anderen europäischen Ländern — durchaus ausgeprägt sind.

3. Spielt Martin Schulz mit Anti-Amerikanismus?

Hier sind einige Ergebnisse, die das auf internationale Umfragen spezialisierte amerikanische Pew Research Center in seinem weltweiten „Global Attitudes Survey“ vom Frühjahr 2017 erhoben hat. Dabei ist dieser Blog-Beitrag auf die Einstellungen in Deutschland gegenüber den USA zu beschränken. *5)

  • Allgemeine Einstellung in Deutschland zu den USA: Positiv (Favorable) 35 % der in Deutschland Befragten; Negativ (Unfavorable) 62 %. Das negative Urteil liegt 10 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der berücksichtigten zehn EU-Länder.
  • „Gender-Gap“. Eine positive Einstellung zu den USA zeigen 28 % der in Deutschland befragten Frauen, dagegen 43% der befragten Männer.
  • Amerikanische Ideen und Gebräuche und ihre Ausbreitung in Deutschland werden von 67 % abgelehnt, 15 Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt; 26 % äußerten sich positiv, 14 Prozentpunkte unter dem EU-Durchschnitt.
  • Je älter die Deutschen, desto geringer ist der Anteil, der die Ausbreitung amerikanischer Ideen und Sitten in Deutschland positiv bewertet: bei 18-29-Jährigen 37 %; bei 30-49-Jährigen 31 %; bei über 50-Jährigen 18 %. Damit liegt Deutschland deutlich unter den Zustimmungswerten dieser Altersgruppen in Frankreich, Spanien und Polen.
  • Urteil über amerikanische Ideen zur Demokratie: Ablehnend (Dislike) 56 %. Zustimmend (Like) 37 %. Bezogen auf den EU-Durchschnitt liegen Ablehnung bzw. Zustimmung 6 bzw. 5 Prozentpunkte darüber bzw. darunter. Das Urteil in Frankreich fällt noch deutlich negativer aus als das deutsche.
  • Das Vertrauen in US-Präsident Trump ist umso geringer (größer), je weiter links (rechts) sich die Befragten im parteipolitischen Spektrum verorten: Vertrauen in Trump reicht offenbar von 8 % (Linkspartei) bis 18 % (AfD).

Für transatlantisch orientierte Bürger ist Besorgnis über diesen Zusammenbruch an Vertrauen gegenüber den USA nach dem Wahlsieg Donald Trumps angebracht.

  • Am Ende der Regierungszeit Präsident Obamas sahen immerhin noch 57 % der Deutschen die USA positiv. Mit dem Beginn der Präsidentschaft Trumps sackte die positive Haltung zu den USA auf 35 %, 11 Prozentpunkte unter dem Wert in Frankreich.
  • Die Deutschen haben nichts gegen die amerikanischen Menschen! Eine überwiegend positive Sicht auf Amerikaner äußert die deutliche Mehrheit von 64 %, während 29 % eine negative Einstellung bekunden. Der Positiv-Anteil liegt allerdings 4 Prozentpunkte unter, der Negativ-Anteil ebenso hoch über dem Durchschnitt der 10 EU-Länder.
  • Die durch Präsident Trump offensichtlich verstärkten anti-amerikanischen Einstellungen in Deutschland beruhen auf seiner als arrogant (91 %), intolerant (81 %) und gefährlich (76 %) wahrgenommenen Persönlichkeit.
  • Da wundert nicht mehr das absurde Meinungsbild, dass 25 % der befragten Deutschen die von Völkerrechts- und Kriegsverbrechen begleitete internationale Politik Präsident Putins positiv beurteilen. Aber nur 11 % die internationale Politik Präsident Trumps, der sich immerhin für die Ukraine und die demokratische Opposition in Syrien eingesetzt hat.

Leider deuten die dargestellten Resultate der Pew-Umfrage für Deutschland auf ein insgesamt negatives Stimmungsbild zum politischen System der USA, unseres wichtigsten Verbündeten.

Angesichts dieser empirischen Befunde erscheint die moralische Empörung über US-Präsident Trump, mit der Martin Schulz durch das Land zieht, als sehr fragwürdiges Spiel mit anti-amerikanischen Einstellungen. Die hier zitierten öffentlichen Äußerungen von Martin Schulz *3) werden Bürger, die vom Wert der transatlantischen Gemeinschaft überzeugt sind, als nicht angemessen für einen SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten beurteilen.

4. Deutschland — weg vom „moral highground“!

Vergessen wir nie: Die USA haben einen opferreichen Krieg gegen Nazi-Deutschland geführt und größte Verdienste um den demokratischen Aufbau und den Schutz der jungen Bundesrepublik im Kalten Krieg mit der Sowjetunion. Viele transatlantisch denkende Deutsche haben Anfang Juni 2017 dankbar 70 Jahre zurückgeschaut: Auf den 5. Juni 1947 und US-Außenminister George C. Marshalls historisches Plädoyer für den Wiederaufbau eines freien Europas und unseres geschlagenen Landes.

Außenminister Marshall ließ seinen Worten Taten folgen. Das später zurecht „Marshall-Plan“ genannte European Recovery Program (ERP) half mit Krediten, Lieferung von Lebensmitteln sowie von Rohstoffen und Zwischenprodukten für Verbrauchs- und Investitionszwecke. Damit konnte der notwendigste Bedarf Europas auf Jahre gedeckt werden.

Gerade wir Deutschen verdanken dem „Marshall-Plan“, dem Handeln der USA für den Wiederaufbau und für die Sicherheit des freien Europas unsere heutige Stellung in der Welt.

Deshalb hat Deutschland gegenüber den USA, auch unter einem Präsidenten Donald Trump, nichts auf dem „moral highground“ zu suchen!

*1) Der von amerikanischen Rechtsextremen und Neo-Nazis in ihrer rassistischen Großdemonstration von Charlottesville betriebene geschichtspolitische Missbrauch erfordert einen kurzen Blick auf diesen historischen Hintergrund:

  • In Charlottesville — Virginia, USA, 47 Tsd. Einwohner, darunter rund 20 Prozent Afro-Amerikaner — beschloss der von der Demokratischen Partei dominierte Stadtrat, die Statue des Südstaaten-Generals Robert E. Lee (1807 – 1870) aus dem „Emancipation Park“ (vorher „Lee-Park“) zu entfernen.
  • Dies führte am 12. August 2017 zu den Gewaltakten von Neo-Nazis und „White-Supremacy“-Rassisten gegen überwiegend friedliche Gegendemonstranten. Dabei verlor die Juristin Heather Heyer (32 Jahre) ihr Leben.
  • General Robert Edward Lee hatte die „Konföderierte Armee von Nord-Virginia“ im amerikanischen Bürgerkrieg (1861 – 1865) befehligt. In den heutigen Streitkräften der USA wird General Robert E. Lee als bedeutender militärischer Führer angesehen und geehrt.
  • Die im amerikanischen Bürgerkrieg von der Demokratischen Partei vertretenen „Südstaaten“-Konföderierten, nicht so zunächst General Lee, hatten sich 1861 von den USA abspalten wollen, um ihr System der Verfügungsmacht über schwarze Sklaven zu bewahren. Dabei bediente sich die Demokratische Partei in ihrem Kampf gegen Schwarze und gegen von Republikanern geführte Regierungen von Südstaaten auch des Ku-Klux-Klan-Terrors. Die „Südstaaten“-Konföderierten wurden im Bürgerkrieg von den Nordstaaten unter dem neu gewählten Präsidenten Abraham Lincoln besiegt, den die Republikanische Partei nominiert hatte.
  • Abraham Lincoln hatte in seiner Antrittsrede als Präsident klargestellt, dass kein Staat das Recht habe, aus der Union der Vereinigten Staaten von Amerika auszutreten. Ferner stand Präsident Lincoln für die Position: „Slavery is wrong, morally, and politically.“ (Abraham Lincoln, September 17, 1859: Speech at Cincinnati, Ohio; https://www.nps.gov/liho/learn/historyculture/slavery.htmI).
  • Selbstverständlich gibt dieser kurze historische Rückblick auf den amerikanischen Bürgerkrieg nichts her, um die moderne Demokratische Partei der USA zu kritisieren. Er diente ausschließlich dazu, den geschichtspolitischen Missbrauch durch den amerikanischen Rechtsextremismus in Charlottsville zu erläutern.

*2) The Economist, August 19th 2017, Leaders. Unfit. This week has shown that Donald Trump has no grasp of what it means to be president. S. 7. Siehe auch a.a.O.: S. 27 f. (After Charlottesville. White fight) und S. 70 (Obituary. Heather Heyer. Putting things straight. Heather Heyer, legal assistant, was killed at the Charlottesville rally on August 12th, aged 32. (Übersetzung RS).

*3) Wahlen. SPD-Chef Schulz wirft Trump Politik „der Niedertracht“ vor. 22. August 2017; http://www.sueddeutsche.de/news/politik/wahlen-spd-chef-schulz-wirft-trump-politik-der-niedertracht-vor-dpa.

*4) „Eine Schande!“ SPD-Chef Martin Schulz rückt die AfD in die Nähe von Nazis. Martin Schulz nennt AfD „Schande für die Bundesrepublik“. Walter Bau am 08.06.2017; https://www.derwesten.de/politik/martin-schulz-nennt-afd-schande-fuer-die-bundesrepublik-id210845213.html.

*5) Pew Research Center. Spring 2017. Global Attitudes Survey; JUNE 26, 2017. U.S. IMAGE SUFFERS AS PUBLICS AROUND WORLD QUESTION TRUMP’S LEADERSHIP; http://www.pewglobal.org/2017/06/26/tarnished-american-brand/.

Autoren: RICHARD WIKE, BRUCE STOKES, JACOB POUSHTER AND JANELL FETTEROLF. Abschnitte und tabellarisch aufbereitete Resultate siehe: 1. The tarnished American brand. 2. Worldwide, few confident in Trump or his policies. 3. Less confidence in Trump compared with Merkel and other world leaders. Die Autoren erläutern ferner die Methodik der Umfragen in den einbezogenen Ländern. Die folgenden 10 EU-Länder wurden berücksichtigt: Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Niederlande, Polen, Schweden, Spanien, Ungarn.