Chefdiplomat Steinmeier.

Jeder Vortrag zur deutschen Außenpolitik, den der Bundesminister des Auswärtigen hält, ist mir lehrreich und Pflichtlektüre.

Sein Auftritt ist würdevoll. Dem Amt angemessen. Irgendwie zwischen Bundespräsident und — um einen früheren Vergleich Franz Münteferings zu bemühen — Papst. Papst kann Steinmeier nicht werden, Bundespräsident schon.

Erklärt dies seine rhetorischen „Ausraster“? Abschätzige Bemerkungen über Institutionen und Persönlichkeiten, die vielleicht beifällig vermerkt werden. Gerade von Rot-Rot-Grün orientierten Mitgliedern der Bundesversammlung, die unser Staatsoberhaupt wählt.

Was sonst könnte die beiden aktuellen „Ausraster“ des Chefdiplomaten erklären?

Sicherheitspolitischer Ausraster gegen die Russland-Strategie der NATO: „Was wir jetzt nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen. Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt.“ *1)

Applaus von der AfD bis zur LINKS-Partei für durchaus beleidigende Worte — beleidigend auch für etwa 400 beteiligte deutsche Pionier-Soldaten.

Internationale Militärübungen und die kommende Stationierung von je einem NATO-Bataillon in Polen und den drei baltischen Ländern erscheinen maßgeblichen sicherheitspolitischen Experten notwendig und keineswegs „zu martialisch“:

„Natürlich wird jetzt auch mit gewaltigen Propaganda-Argumenten gearbeitet … insbesondere aus der Moskauer Seite. Die bedrohliche Lage, die für unsere östlichsten Bündnispartner entstanden ist, die sich durch die Ereignisse in und um die Ukraine tatsächlich bedroht fühlen, die ist doch nicht von der NATO veranlasst worden. Die NATO reagiert aus meiner Sicht vergleichsweise maßvoll mit einer beschränkten rotierenden Präsenz …“. *2)

Ein Anlass, als Außenminister die NATO vor Säbelrasseln und Kriegsgeheul zu warnen?

Diplomatische Ausraster gegen Brexit-Befürworter Boris Johnson: Nach dem Brexit-Resultat des Referendums hielt Boris Johnson eine zurückhaltend-staatsmännische Rede:

„Allen Besorgten, ob hier oder im Ausland: Dies (Ergebnis) bedeutet weder, dass das Vereinigte Königreich weniger vereint, noch, dass es weniger europäisch ist … Britannien bleibt eine große europäische Macht mit führender Rolle in der verteidigungspolitischen und der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit, damit unsere Welt sicherer wird. Jedoch ist es im 21. Jahrhundert nicht notwendig, Teil eines föderalen Regierungssystems in Brüssel zu sein, das nirgendwo auf der Welt nachgeahmt wird. Das war eine noble Idee zu ihrer Zeit, die für dieses Land nicht länger richtig ist.“ *3)

Boris Johnson stellte anschließend klar, dass er in der kommenden Zeit bereit ist, seinem Land zu dienen, jedoch nicht als Nachfolger für David Cameron im Amt des Premierministers in Frage komme.  Jetzt bedürfe es eines Brückenbaus, um nach einer hart umkämpften Alternative das Land wieder zu einen.

Wie reagiert Außenminister Steinmeier? Erst unkt er: “Hängepartie, ungewisse Zeit“.*4) Dann gestern (Mittwoch, 13.07.2016) beschimpft er Boris Johnson, er habe die Briten „erst in den Brexit gelockt“, sich dann „aus dem Staube gemacht“, „verantwortungslos, ungeheuerlich“! *5)

Noch am gleichen Tag hätte Steinmeier eigentlich seinem neuen Kollegen — sieh` da, eben dem britischen Außenminister Boris Johnson — zum Amtsantritt gratulieren sollen. Statt dessen mahnt Steinmeier ihn über TV „zur Sachlichkeit“.

Großer Europäischer Erziehungsberechtigter, mögen Briten über Steinmeier lachen …

Zwei wirkungsmächtige Beiträge zum Deutschlandbild bei den östlichen EU-Mitgliedern und im Vereinigten Königreich! Von unserem Minister des Auswärtigen!

*1) http://pdf.zeit.de/politik/ausland/2016-06/stoltenberg-verteidigt-nato-vorgehen-russland-steinmeier.pdf. (Hervorhebung RS).

*2) Wolfgang Ischinger zum NATO-Gipfel. „Ich verstehe die Putin-Versteher“.

Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat vor dem morgigen NATO-Gipfel Verständnis für die Sorge geäußert, das Bündnis bemühe sich zu wenig um einen Dialog mit Russland. Die Befürchtung, die NATO agiere zu martialisch, wies er allerdings als unbegründet zurück. Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Dirk Müller; http://www.deutschlandfunk.de/wolfgang-ischinger-zum-nato-gipfel-ich-verstehe-die-putin.694.de.html?dram:article_id=359348.

*3) http://www.independent.co.uk/news/uk/politics/brexit-boris-johnson-speech-in-full-eu-referendum-who-will-be-next-prime-minister-uk-a7100566.html. (Übers. RS).

*4) Steinmeier warnt vor Hängepartie nach Brexit-Referendum, 27.06.2016; http://www.eu-info.de/dpa-europaticker/272353.html

*5) u.a. http://www.focus.de/politik/videos/unverantwortlich-steinmeier-richtete-hart-ueber-johnson-kurz-bevor-dieser-aussenminister-wurde_id_5728965.html.