Christpolitische Korruption — Regierungsmacht befristen?

 

Die Medien berichten Einzelheiten über “Korruptionsfälle in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion“. Lächerlich wirken nun nachträgliche Brandreden und Brandbriefe der CDU/CSU-Führung, da die Hütte brennt und Vertrauen verfällt.

1. Christpolitische Korruption?

Angewidert muss die Wählerschaft in der Presse von CDU/CSU-Abgeordneten lesen, die sich in der Pandemiekrise auf Kosten des Steuerzahlers bereichern oder direkt von Aserbaidschan für dessen Interessen im Berg-Karabach-Konflikt mit Armenien schmieren lassen. Insgesamt gehe es bei den bisher bekannten Fällen um einen €-Millionen-Betrag.

Die Not der Menschen, sich durch Gesichtsmasken vor der Pandemie zu schützen, wurde von Christpolitikern erfinderisch ausgenutzt: Über “Provisionen“ für angeblich vermittelte Maskenbestellungen, die an MdBs der CDU/CSU flossen. Diese zu Recht hoch bezahlten *1) “Vertreter des Volkes“ versteckten sich hinter “Projektentwicklungs-GmbHs“ bzw. weltweiten Firmennetzen, um die “Provisionen“ unauffällig einzustreichen — Methoden, die bisher aus Entwicklungsländern mit verbreiteter Korruption bekannt waren.

Das CDU-Pressebild wird nicht schöner durch Berichte über versuchte “Masken-Vermittlung“ eines “Joe“ Laschet und über den Gesundheitsminister Spahn, der sich trotz Feier-Verbotes für das “gemeine Volk“ erlaubt habe, auf einer “Unternehmer-Party“ Spenden einzusammeln, die mit € 9950 knapp unter der gesetzlichen Meldepflicht von € 10 Tsd. gelegen hätten. Auch der “Fall Philipp Amthor“ (CDU-MdB) hatte erst Mitte 2020 die Öffentlichkeit empört: „Wie konnte es passieren, dass ein Parlamentarier für ein Unternehmen Lobbyarbeit macht, zugleich Aktienoptionen erhält und an Luxusreisen teilnimmt?“ *2)

Hoffen wir, dass es bei den allein durch die Presse aufgedeckten Einzelfällen bleibt. Andernfalls könnte tatsächlich der Vertrauensverlust für “die Politik und den Bundestag“ eintreten, den die “empörten“ CDU/CSU-Fraktionsspitzen Brinkhaus (CDU) und Dobrindt (CSU) behaupten, obwohl es sich vor allem um ihr ureigenes Führungsversagen handelt.

Denn Bürger fragen sich, wieso die Presse über das Pandemie-Geschäftsgebaren der Fraktionskollegen Löbel (CDU) und Nüßlein (CSU) besser informiert ist als deren Chefs Brinkhaus (CDU) und Dobrindt (CSU). Haben diese seit Beginn der Pandemie Anfang 2020 nie mit den CDU/CSU-MdBs ein beratendes Gespräch gesucht, welche Transaktionen in der schwersten Wirtschafts- und Gesundheitskrise dem Ansehen von CDU/CSU und ihren “Volksvertretern“ abträglich sein könnten? Oder gar dazu führen könnten, dass Staatsanwaltschaften wegen Straftat ermitteln bzw. entsprechenden Anfangsverdacht prüfen müssen?

Die politische Glaubwürdigkeit der gesamten Führungsspitze von CDU/CSU steht auf dem Spiel, wenn die Fraktions-Chefs Brinkhaus (CDU) und Dobrindt (CSU) gegenüber ihren Fraktionsmitgliedern erst nach dem Aufdecken der Skandale klarstellen mochten, welche Art von Transaktionen in der Krise nicht ratsam sind. *3)

Wenn jetzt schon wieder an die berüchtigten “Amigo-Affairen“ erinnert wird, sollte es für eine Reihe von CDU/CSU-MdBs heißen: Adiós, Amigos!

2. Vertrauen und Demokratie

Die Spitzenkandidatin der CDU bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 14. März 2021, Dr. Susanne Eisenmann, fordert MdB Nikolas Löbel bereits dazu auf, seine Bundestagskandidatur zurückzuziehen. Es sei „inakzeptabel, wenn sich Parlamentarier in dieser schweren Krise mit der Maskenbeschaffung bereichern. So ein Verhalten erschüttere das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie.“ *4)

Tatsächlich ist Vertrauen eine wesentliche Voraussetzung für unsere repräsentative parlamentarische Demokratie, in der Abgeordnete und Parlament, als gesetzgebende Gewalt, vom Vertrauen der Wählerschaft getragen, die Regierung kontrollieren. Vereinfacht und allgemein ausgedrückt: Bundeskanzlerin und Minister werden kontrolliert, ob sie ihrem Amtseid (Artikel 56 Grundgesetz) entsprechend „dem Wohl des deutschen Volkes dienen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm abwenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, ihre Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben.“

Für uns Wähler bedeutet dies: Wenn wir unseren gewählten Volksvertretern die Aufgabe anvertrauen, die Regierungsmacht auch im Sinne des Art. 56 GG zu kontrollieren, dann vertrauen wir darauf, dass sich auch die von uns gewählten Abgeordneten an diesen “Gemeinwohlbelangen“ (Bundesverfassungsgericht, *5, Ziffer 102) als Grundlage ihrer Gewissensentscheidung orientieren. 

In den folgenden Sätzen des Bundesverfassungsgerichtes, die wörtlich zitiert werden, ist die Rolle des Vertrauens der Wählerschaft in die Abgeordneten, in das Parlament und dessen Kontrollfunktion gegenüber der Bundesregierung im Rahmen unserer repräsentativen parlamentarischen Demokratie in eindrucksvoller Klarheit formuliert: *5)

  • Der Abgeordnete ist – vom Vertrauen der Wähler berufen – Inhaber eines öffentlichen Amtes, Träger eines freien Mandats und, gemeinsam mit der Gesamtheit der Mitglieder des Parlaments, Vertreter des ganzen Volkes. Er hat einen repräsentativen Status inne, übt sein Mandat in Unabhängigkeit, frei von jeder Bindung an Aufträge und Weisungen, aus und ist nur seinem Gewissen unterworfen … Er ist ein Verbindungsglied zwischen Parlament und Bürger. 
  • Grundlage des freien Mandats ist Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz. Das Gebot freier Willensbildung des Abgeordneten gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG steht in engem Zusammenhang mit dem Grundsatz der parlamentarischen Demokratie gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG.
  • Das freie Mandat schließt die Rückkoppelung zwischen Parlamentariern und Wahlvolk ein und trägt dem Gedanken Rechnung, dass die parlamentarische Demokratie auf dem Vertrauen des Volkes beruht.
  • Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG etabliert einen spezifischen Kontrollzusammenhang zwischen Bundestag und Bundesregierung als zentrales Bindeglied zwischen Gewaltenteilung und Demokratieprinzip. Dieser Kontrollzusammenhang geht von den gewählten Abgeordneten aus; er verläuft mit dem demokratischen Legitimationsstrang vom Deutschen Bundestag hin zur Bundesregierung, nicht hingegen umgekehrt von der Regierung zum Parlament.
  • Eine demokratische „Kontrolle“ des Parlaments erfolgt vor allem durch die Wähler, die im Akt der Wahl gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG die Konsequenz aus ihrer Beurteilung der Tätigkeit von regierender Mehrheit und Opposition ziehen.

Der gegen eine Reihe von Abgeordneten der CDU/CSU in schwerster Wirtschafts- und Pandemiekrise erhobene Verdacht der Bestechlichkeit und der Korruption kann also das Vertrauen des Volkes in die gewählten Abgeordneten und in die parlamentarische Demokratie schwer beschädigen.

Wie sind  solche Entgleisungen möglich?

3. Bundeskanzlerin Merkel und CDU/CSU zu lange an der Regierungsmacht?

Lange Regierungsmacht kann personelle Machtverfilzung, Ja-Sagerei, Verantwortungsscheu, Abwendung fähigen Führungspersonals, Vetternwirtschaft, Klientelpolitik mit Verlust der Führungs- und Reformdynamik, Korruption und schließlich den wirtschaftlichen Niedergang eines Landes bewirken. Solche Hinweise mehren sich in den Medien, was nicht heißen soll, dass die bald 16-jährige Kanzlerschaft Merkels Deutschland in eine korrupte Stabilitäts-Trägheit geführt hat.

Ähnliche Forderungen nach Machtwechsel kannten wir unter Bundeskanzler Helmut Kohl, der allerdings entscheidend für die deutsche Einheit und die europäische Integration wirkte: 25 Jahre CDU-Parteichef (1973 – 1998), 16 Jahre Bundeskanzler (1982 – 1998). Der Eindruck wuchs, dass Angela Merkel diesem Rekord nachstreben könnte. 18 Jahre CDU-Vorsitzende, jedoch „16 Jahre Kanzlerschaft von Angela Merkel sind einfach zu lang“, *6) lautet eine Schlagzeile in der Presse.

Hat die seit 2005 gewachsene Machtgewissheit Vetternwirtschaft und “Amigo-Filz“ in der CDU/CSU begünstigt? Und Parlamentarier zu der Dreistigkeit verleitet, sich ausgerechnet in schwerster Wirtschafts- und Pandemiekrise persönlich zu  bereichern?

Sollte bei derartigen Fehlentwicklungen aufgrund sehr gedehnter Regierungsdauer das Amt des Bundeskanzlers nach dem Modell des US-Präsidenten auf nur eine Wiederwahl, also höchstens zwei mal vier Regierungsjahre, gesetzlich begrenzt werden? Angesichts der von Florian Harms *6) aufgemachten Bilanz der überlangen Regierungszeit Merkels könnte solcher Vorschlag einleuchten.

Dem steht allerdings entgegen, dass dazu das Grundgesetz geändert werden müsste, was völlig aussichtslos erscheint. *7) Zumal wenn die Neuwahl eines bewährten Bundeskanzlers in eine schwere Krisenzeit fiele. Außerdem ist sehr fraglich, ob sich eine dreimalige “Große Koalition“ wie die zwischen CDU/CSU und SPD je wiederholen wird. Vor allem sozialdemokratische Bereitschaft zur GroKo hatte Frau Merkels 16-jährige Kanzlerschaft gesichert.

Deutschland mit alternder Bevölkerung hat gewiss eine hohe Vorliebe für Stabilität und Kontinuität in der Regierungsmacht. Doch werden die dabei gemachten Erfahrungen die “checks and balances“ unserer Demokratie, insbesondere eine kritische Öffentlichkeit mit ihren vielfältigen Medien, geschärft haben.

4. Fazit.

Sollte angesichts christpolitischer Korruption die Regierungsmacht gesetzlich befristet werden? Eine kaum realistische Überlegung. Dann besser hoffen und verschärft prüfen, ob die “Machtworte“ empörter CDU/CSU-Granden nachhaltige Wirkung gegen den Hang zur korrupten Bereicherung zeigen. Und vertrauen wir auf das Urteil der Wählerinnen und Wähler. Sie werden, wie das Bundesverfassungsgericht feststellt (*5, Ziffer 101), „im Akt der Wahl … die Konsequenz aus ihrer Beurteilung der Tätigkeit von regierender Mehrheit und Opposition ziehen.

*1) Stand 1. Juli 2019: Aufwandsentschädigung/Diäten (entspricht Gehalt) € 10.083,45/Monat plus Kostenpauschale € 4.418,09/Monat für Bürokosten von Wahlkreisbüros außerhalb des Sitzes des Deutschen Bundestages (Miete, Porto, Inventar, Literatur), für Mehraufwendungen für Unterkunft und Verpflegung am Sitz des Bundestages und bei Reisen, Fahrtkosten für Fahrten in Ausübung des Mandats, soweit sie nicht erstattet werden sowie für sonstige Kosten wegen anderer mandatsbedingter Aufwendungen (Repräsentation, Einladungen, Wahlkreisbetreuung usw.). Hinzu kommen Geld- und Sachleistungen für das Abgeordnetenbüro und seine laufenden Kosten in Berlin, sowie für Mitarbeiter im Wahlkreis und in Berlin; vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Abgeordnetenentschädigung.

*2) Der Fall Amthor, die Abgeordneten und der Lobbyismus. Warum der Bundestag dringend neue Regeln braucht. Die Amthor-Affäre zeigt, wie groß die Lücken in den Regeln für Abgeordnete und für Lobbyisten sind. Die Koalition muss endlich handeln. Ein Kommentar. CLAUDIA VON SALZEN. 21.06.2020; https://www.tagesspiegel.de/politik/der-fall-amthor-die-abgeordneten-und-der-lobbyismus-warum-der-bundestag-dringend-neue-regeln-braucht/25936840.html

*3) In einem gemeinsamen Brief an die Fraktion, über den die Presse am 05.03.2021 berichtete, schreiben der Fraktionsvorsitzende von CDU und CSU im Bundestag, Ralf Brinkhaus, und der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt, zum Verhalten der MdBs Löbel (CDU) und Nüßlein (CSU): „Ein Tätigwerden im Rahmen des Mandats darf nicht mit persönlichen finanziellen Interessen verbunden werden. Wir sagen daher sehr deutlich, das Beziehen von Geldleistungen für die Vermittlung von medizinischer Schutzausrüstung im Rahmen der Pandemiebekämpfung von Abgeordneten stößt auf unser vollkommenes Unverständnis und wird von uns entschieden verurteilt. So ein Verhalten entspricht nicht unseren Standards, schadet dem Ansehen der Politik insgesamt und ist nicht zu akzeptieren.“ Vgl.: „Nicht zu akzeptieren“. Maskenaffäre: Brinkhaus und Dobrindt attackieren Unions-Politiker. 05.03.2021; https://www.t-online.de/nachrichten/

*4) Maskengeschäfte. CDU-Spitzenkandidatin will härtere Konsequenzen im Maskenskandal. Susanne Eisenmann fordert Nikolas Löbel dazu auf, seine Bundestagskandidatur zurückzuziehen. Er habe das Vertrauen in die Demokratie erschüttert. 6. März 2021, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-03/maskengeschaefte-cdu-spitzenkandidatin-susanne-eisenmann-niklas-loebel-kritik (Hervorhebung RS).

*5) Grundlage des freien Mandats der deutschen Parlamentarier ist Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz. Das Gebot freier Willensbildung des Abgeordneten gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG steht in engem Zusammenhang mit dem Grundsatz der parlamentarischen Demokratie gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, betont das Bundesverfassungsgericht. Siehe: BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 17. September 2013 – 2 BvR 2436/10 -, Rn. 1-185, http://www.bverfg.de/e/rs20130917_2bvr243610.html (Siehe insbesondere die Ziffern 92 ,93, 97,98, 101) (Hervorhebungen, RS).

*6) MEINUNG. Tagesanbruch. 16 Jahre sind einfach zu lang. Von Florian Harms. 06.03.2021; Harms schreibt: „Angela Merkel hatte im Winter 2019 ihre besten Jahre als Bundeskanzlerin schon lange hinter sich. Sie … verwaltete mehr als dass sie gestaltete, geizte mit neuen Ideen, bremste Nachwuchskräfte aus … Den Klimaschutz versäumt, die Energiewende vermurkst, die Digitalisierung vertrödelt, die Konflikte in Nahost und Nordafrika nicht ernst genug genommen, zu wenig Impulse für eine Lösung des Migrationsproblems, die Liste der Versäumnisse wurde immer länger … Sie sehen es ja jeden Tag in den Nachrichten: schleppende Impfungen, fehlende Tests, nicht ausgezahlte Staatshilfen.“ https://www.t-online.de/nachrichten/

*7) „Formal ist eine Grundgesetzänderung nur durch ein Gesetz möglich, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt (ausgenommen bestimmte völkerrechtliche Verträge). Ein solches Gesetz zur Änderung oder Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes kann nur mit Zweidrittelmehrheit des Bundestages und des Bundesrates verabschiedet werden.“ Siehe: Deutscher Bundestag. 13. Grundgesetzänderungen. Übersicht; https://www.bundestag.de/dokumente/parlamentsarchiv/datenhandbuch/13/kapitel-13-475960