Partnerschaft ohne Gegenseitigkeit?

 

Von US-Präsident Trump war man die leere Drohung gewohnt, die Artikel 5 und 6 des NATO-Vertrags, d.h. die Beistandspflicht im Falle eines bewaffneten Angriffs, gingen ihn und seine “America first“-Politik nichts an.

Nun hören wir ähnliche Töne: „Gabriel — Nord Stream 2 geht USA nichts an“. *1) Gerade Transatlantiker, die hoffen, dass Trump und seine lügnerische Rhetorik Geschichte sind, fühlen sich von Sigmar Gabriel getäuscht. Denn solche Töne sind in einer Partnerschaft, die für Deutschland und Europa existenzielle Bedeutung hat, nicht nur beleidigend, sondern beschädigen die notwendige partnerschaftliche Denkweise in den amerikanisch-deutschen Beziehungen.

Für diesen Vorwurf an Gabriel gibt es schwerwiegende Gründe.

  1. Ex-Außenminister Gabriel galt ab 2014 als Anhänger der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), das an linkem Widerstand gescheiterte Freihandels- und Investitionsschutzabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA. In solch enger transatlantischer Wirtschaftspartnerschaft, die 50 % der Weltproduktion umfasst hätte, könnte kein Partner dem andern sagen: „Geht euch nichts an!“ Ist transatlantische Gesinnung, für die Gabriel zum Vorsitzenden der “Atlantik-Brücke“ berufen wurde, vorgetäuscht worden? Dies scheint angesichts des starken Einsatzes für TTIP durch Gabriel ausgeschlossen. Und dennoch steht der für transatlantische Partnerschaft unglaubwürdige Ton des “Geht euch nichts an!“ durch Gabriel im Raum.
  2. Ex-Außenminister Gabriel ist seit 2019 Vorsitzender der “Atlantik-Brücke“. Deren Ziel ist seit 1952 „ein gutes transatlantisches Verhältnis … In den USA wurde zeitgleich mit der Atlantik-Brücke der American Council on Germany (ACG) als amerikanische Schwesterorganisation gegründet, die dort das Verständnis für und den Austausch mit Deutschland zu fördern begann.“ *2) In der Führungsposition dieser amerikanisch-deutschen Partnerorganisationen erscheinen Töne Gabriels wie “Geht euch nichts an!“ geradezu destruktiv.
  3. Nord Stream 2 ist als energiepolitisches Projekt fraglos wichtiger Teil der deutschen internationalen Wirtschaftspolitik. Zu Nord Stream 2 liegen kritische Stellungnahmen beider Parteien des USA-Parlaments vor, da die Gas-Einnahmen in Russlands Staatshaushalt fließen und u. a. Landraub an der Ukraine und Kriegsverbrechen in Syrien finanzieren. Wenn nun Artikel 2 des NATO-Vertrags fordert: „Die Parteien … werden bestrebt sein, Gegensätze in ihrer internationalen Wirtschaftspolitik zu beseitigen“, dann ist Gabriels Aussage „Nord Stream 2 geht USA nichts an“ offensichtlich verfehlt. Es sei denn Gabriel hielte die NATO-Partnerschaft ähnlich wie Trump für obsolet.
  4. Schließlich bemüht Gabriel noch Europa, indem er zu Nordstream 2 behauptet: „Vom Gesichtspunkt europäischer Souveränität geht es die USA erst einmal nichts an“. Dabei unterschlägt er die scharfe Kritik an Nordstream 2 nicht nur durch osteuropäische EU- und NATO-Mitglieder, sondern auch die Einwände, die Frankreich und Großbritannien erheben. *3) Außerdem werden Transatlantiker die “europäische Souveränität“ ohne die Verbundenheit mit den USA als leere Phrase beurteilen.

Ist für den “Geht euch nichts an!“-Gabriel die transatlantische Partnerschaft eine Partnerschaft ohne Gegenseitigkeit? Warum ist Gabriel dann Vorsitzender der Atlantik-Brücke?

*1) „Eine europäische Entscheidung“. Gabriel: Nord Stream 2 geht USA nichts an. Sigmar Gabriel erwartet von Biden, dass er sich wieder stärker als Partner der Europäer begreift als Vorgänger Trump. DONNERSTAG, 18. FEBRUAR 2021; https://www.n-tv.de/politik/Gabriel-Nord-Stream-2-geht-USA-nichts-an-article22369575.html

*2) ATLANTIK-BRÜCKE. Geschichte der Atlantik-Brücke; https://www.atlantik-bruecke.org/geschichte-der-atlantik-bruecke/

*3) JOSEF JOFFE. Germany’s Empty Pipeline Logic. Feb 19, 2021; https://www.project syndicate.org/commentary/germany-nord-stream-2-strategic-mistake-by-josef-joffe-2021-02