Cum-panei.

Wer sich noch über Politikverdrossenheit wundert, hat wohl den Schrei „Verrat am Steuerzahler“ *1) überhört. Und wenn die „Verräter“ nicht alsbald merken, „you can run but you can`t hide“, dann werden unsere regierenden Volksparteien ein politisches Erdbeben erleben.

Was war „Verrat am Steuerzahler“?

In Medien, Wissenschaft und Politik werden Sachverhalte debattiert, die den zitierten „Verrat am Steuerzahler“ ausmachen mögen. Beschränken wir uns hier darauf, die als „kriminell“ angeprangerten Geschäfte, die der Steuerhinterziehung gedient hätten, stark vereinfacht zu erläutern.

1. Methode „Cum-Ex“: Jahrzehntelang, bis zu einer erschwerenden Gesetzesänderung 2012, konnten folgende Aktiengeschäfte getätigt werden: Aktien wurden vor dem Zahltag der Dividenden gekauft, aber erst danach geliefert. Buchhalterisch schien es mit Käufern und Verkäufern gleichzeitig mehrere Eigentümer für eine Aktie zu geben. Für die auf die Aktie anfallende Dividende wurde dann nur 1-mal automatisch 25 % Kapitalertragsteuer an den Staat/Fiskus abgeführt. Aber jeder dieser Schein-Eigentümer verfügte über eine Bescheinigung, mit der er sich die Steuer erstatten lassen konnte. Die 1-mal automatisch abgeführte Kapitalertragsteuer wurde vom Fiskus mehrfach erstattet, weil auch der Schein-Eigentümer (bzw. sein fähiger Berater) gegen mutmaßlich doppelte Steuerbelastung einwenden konnte, dass er auf seine Kapitalerträge bereits Einkommensteuer (Private) oder Körperschaftssteuer (Unternehmen) zahle. Der Staat erhielt also bei Dividenausschüttung einmal Kapitalertragsteuer je Aktie, erstattete sie aber mehrfach. *2)

„Ein milliardenschweres Minusgeschäft auf unser aller Kosten, Geld, das wir von der LINKEN deutlich sinnvoller hätten verwenden wollen, zum Beispiel für die Sanierung von Schulen und Krankenhäusern und vieles mehr“, empörte sich zu Recht MdB Richard Pitterle (DIE LINKE).*3)

2. Methode Cum-Cum: Hier übertrugen ausländische Investoren, die auf Dividenden deutscher Aktien 15 % Kapitalertragsteuer zahlen müssen, kurz vor Auszahlung der Dividende ihre Aktien einer deutschen Bank. Geschäftliches Motiv: Weil sich inländische im Gegensatz zu den ausländischen Finanzinvestoren ihre Kapitalertragsteuer erstatten oder anrechnen lassen konnten. Direkt nach Ausschüttung der Dividende gingen die Aktien an den ausländischen Investor zurück, einschließlich (cum) der Dividende. Die deutsche Bank und der ausländische Investor teilten sich dann die „gesparte“ Kapitalertragsteuer von 15 %. *2)

3. Verluste der Staaten: Allein deutschen Finanzämtern sind nach Berechnungen von Prof. Christoph Spengel, Universität Mannheim, „zwischen 2001 und 2016 mindestens 31,8 Milliarden Euro entgangen.“ *4) Für die Länder der Europäischen Union insgesamt erreiche der Schaden durch Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte mindestens 55,2 Milliarden Euro. Ein wahrhaft „europäischer Raubzug“, so Prof. Spengel: „Es handelt sich um den größten Steuerraub in der Geschichte Europas.“ *5)

Die Verräter des Steuerzahlers.

Eine „Elite“ von Bankern, Börsenhändlern, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Rechtsanwälten sei für ein Heer millionenschwerer Anleger gegen angemessene Gebühr als „Transaktionsberater“ aufgetreten. Ihr transaktionales und beratendes Können zeigte sich wohl durch Schaffen einer Akten-, Beleg- und Beweislage, die erklären mag, warum die „organisierte Kriminalität in Nadelstreifen“ *5) noch immer nicht hinter Schloss und Riegel sitzt.

Ein Kronzeuge, dem Jahre der Haft drohen, fängt an auszupacken: „Jeder, der Kredite geliefert hat, der als Aktienhändler mitgewirkt hat, der als Depotbank nur Aktien verwahrt hat, jeder Anleger, der Geld zur Verfügung gestellt hat, wusste im Kern, dass man hier Rendite aus dem Steuersäckel holt.“ *5)

Das Beispiel macht Schule: Weitere Insider melden sich, um den Kronzeugen-Status mit Strafmilderung zu bekommen. Fach-Journalisten beschreiben, wie über Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte „Banker, Berater und Anwälte über Jahrzehnte den deutschen Staat plünderten.“ *5)

Politisch explosiv erscheinen zunehmende Vorwürfe, dass Regierungen das massenhafte Treiben besonders wohlhabender Kreise und ihrer kriminellen Netzwerke „auf unser aller Kosten“ (MdB Richard Pitterle, LINKE) *3) zu lange geduldet hätten. Denn dieser „Elite“ unserer „Sozialen Marktwirtschaft“ —  mutmaßlich beteiligte Banker, Börsenhändler, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte sowie gern öffentlich und im Umfeld hochrangiger Politiker auftretende „Investoren“ — reicht es nicht, Steuern zu “sparen“. Nein, sie holen sich über die unberechtigte Erstattung der Kapitalertragsteuer „auch noch das Geld derer, die so blöd sind, Steuern zu zahlen.“ *5)

Wegen des beim einzelnen Aktiendeal geringen Gewinns lohnt sich das Geschäft nur bei sehr großem Anlage-Volumen. Und damit nur für superreiche „Investoren“, die auch die besonders befähigten „Transaktionsberater“ bezahlen können.

Ein gefundenes Fressen für Klassenkampf-Politiker oder Populisten! Zu befürchten ist deshalb, dass der „größte Steuerraub in der Geschichte Europas“ (Prof. Spengel) die Akzeptanz unserer Wirtschafts- und Rechtsordnung zerstört. Zumal Berater der Steuern hinterziehenden Oberschichten auch noch mit juristischer Verjährung zu kalkulieren scheinen.

Nun endlich ermitteln Staatsanwaltschaften und sind den „Cum-panei-Eliten“ auf den Fersen: „you can run but you can`t hide“.

Bewertung.

Vertreter der GroKo-Regierungsfraktionen im 4. Untersuchungsausschuss (Cum-Ex) des Deutschen Bundestags haben im Juni 2017 nach Beratungen auch auf der Grundlage eines Gutachtens von Prof. Christoph Spengel, Universität Mannheim, Stellung genommen. *3) *6) Damit hat die Öffentlichkeit Informationen für eine eigene Bewertung der Vorgänge um die Aktiendeals zwecks Hinterziehung von Steuern:

  • MdB Fritz Güntzler (CDU/CSU), Steuerberater, verwies auf das Finanzgericht Hessen: „Die doppelte Anrechnung von Kapitalertragsteuer sei ´abwegig`, wenn sie nur einmal abgeführt worden ist … Insofern ist für mich klar, dass sich diejenigen, die diese Cum/Ex-Geschäfte initiiert haben, auch der Steuerhinterziehung nach § 370 Abgabenordnung schuldig gemacht haben. Ich hoffe, die Strafverfolgungsbehörden werden dem nachgehen. Wir haben Hinweise, dass es so ist.“
  • MdB Christian Hirte (CDU/CSU), Fachanwalt für Steuerrecht: „Schon jedem Laien erschließt sich sofort, dass man von etwas einmal Gezahltem, nämlich Kapitalertragsteuer, nicht mehrmals etwas zurückverlangen kann … Das war offenkundig auch für die Beteiligten so klar, dass sie ihr Handeln mit extremem Aufwand verschleiert haben … Die Untersuchungen haben nämlich gezeigt, dass durch einen kleinen, aber lauten Kreis von Beratern — mit Professoren, mit Gefälligkeitsgutachten — und Steuerpflichtigen der Versuch unternommen wurde, Steuergesetze und entsprechende finanzgerichtliche Entscheidungen bewusst gegen deren Sinn auszulegen.“
  • MdB Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD), Jurist: Es sei beunruhigend, „wie viele kriminelle Energie Finanzmarktakteure an den Tag gelegt haben, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die nur ein einziges Ziel hatten: den Staat zu betrügen … Jedem rechtschaffenen Menschen ist klar: Für eine einmal gezahlte Steuer gibt es nur einmal eine Bescheinigung. Die entgegenstehende Geschäftspraxis war verwerflich, kriminell. Den Akteuren gehört insofern das Handwerk gelegt.“
  • MdB Andreas Schwarz, Diplom-Betriebswirt, SPD-Obmann im 4. Untersuchungsausschuss (Cum-Ex) des Deutschen Bundestags, stellte fest, „dass Banken, Steuerberater und Wissenschaftler durch ´bandenmäßige Steuerhinterziehung` den Staat ausgeplündert haben. Dabei habe es sich um organisierte Kriminalität gehandelt.“ Den an Cum-Ex-Geschäften teilnehmenden Akteuren bescheinigte Andreas Schwarz „moralische Verkommenheit“. *6)

Zweifellos bedarf das mir grundsätzlich widerstrebende Werturteil „moralische Verkommenheit“ von MdB Schwarz über die an Cum-Ex-Geschäften beteiligten Akteure der Erläuterung. Schwarz begründet sein Urteil mit den folgenden Belegen: *6)

  • MdB Gerhard Schick (Grüne) habe einen Steuerrechtsexperten vor dem Untersuchungsausschuss gefragt, „ob man sich denn Gedanken darüber gemacht habe, dass die Rendite dieser Geschäfte von dem Geld ehrlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgebracht wird“. Antwort des Steuerrechtsexperten: „Es ist diskutiert worden, und es ist hingenommen worden, ja.“
  • DIE ZEIT zitiere aus einem Banker-Treffen den Steueranwalt Dr. Hanno Berger, der inzwischen in der Schweiz lebt, und gegen den wegen Steuerhinterziehung ermittelt wird: „Wer sich nicht damit identifizieren kann, dass in Deutschland weniger Kindergärten gebaut werden, weil wir solche Geschäfte machen, der ist hier falsch.“
  • Beispiel Commerzbank: „Ein Skandal allererster Güte bleibt, dass die Commerzbank, die sich im Jahre 2009 vom Staat mit über 18 Milliarden Euro retten ließ, über Jahre hinweg selbst Cum/Ex-Geschäfte betrieben hat, den Staat also mit ausgeplündert hat, der sie zuvor gerettet hat.“

So also wird eine „Elite“ unserer „Sozialen Marktwirtschaft“ beurteilt, gegen die jetzt wegen Wirtschaftskriminalität ermittelt wird: Banker, Börsenhändler, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte sowie gern öffentlich und im Umfeld hochrangiger Politiker auftretende „Investoren“.

Welche Folgen hat die offenkundig kriminelle Gier dieser „Elite“ für die gesellschaftliche Akzeptanz unserer „Sozialen Marktwirtschaft“ und Rechtsordnung?

Hat diese Cum-panei-„Elite“ je darüber nachgedacht? Da muss die Gier den Verstand abgesetzt haben.

Feine Cum-panei.

*1) 19. Wahlperiode. HESSISCHER LANDTAG. Drucksache 19/5258.12.09.2017. Berichtsantrag der Fraktion der SPD betreffend Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte; http://starweb.hessen.de/cache/DRS/19/8/05258.pdf

*2) Zu diesen sogenannten Cum-Ex-Geschäften siehe: Milliardenschwere Steuertricks. Das steckt hinter Cum-Ex-Geschäften. Banken und Investoren haben ein Schlupfloch bei der Besteuerung von Aktiendividenden genutzt — jahrelang prellten sie den Fiskus um Milliarden. Wie funktionierten die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte? 18. Oktober 2018; http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/cum-ex-so-funktionierten-die-milliardenschweren-steuertricks-a-1233939-druck.html.

*3) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. Juni 2017. Tagesordnungspunkt 32. Beschlussempfehlung und Bericht des 4. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes. Drucksache 18/12700; http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18241.pdf.

MdB Richard Pitterle (DIE LINKE) erläutert: Cum/Ex, das heißt auf Deutsch „mit“ und „ohne“ und steht für mit und ohne Dividende. (Aber immer mit betrügerisch nutzbarer Bescheinigung für abgeführte Kapitalertragsteuer, RS).

Siehe auch: Bundestag nimmt Be­richt des Cum/Ex-Aus­schusses zur Kennt­nis; https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw25-de-cum-ex-bericht/509824. *6)

*4) Cum-Ex und Cum-Cum. Steuertricks kosten europaweit mehr als 55 Milliarden Euro. Der organisierte Griff in die Steuerkasse mithilfe von Aktiengeschäften reichte viel weiter als bisher angenommen. Denn auch in anderen Ländern haben Banker die gesetzlichen Schlupflöcher genutzt.

18. Oktober 2018; http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/cum-ex-geschaefte-kosteten-steuerzahler-mehr-als-55-milliarden-euro-a-1233860.html.

*5) Cum-Ex. Der Coup des Jahrhunderts. Ganz Europa wurde von Steuerräubern geplündert. Auch weil Deutschland die Partnerländer erst viel zu spät warnte, entstand ein Schaden von mindestens 55 Milliarden Euro. Von Manuel Daubenberger, Karsten Polke-Majewski, Felix Rohrbeck, Christian Salewski und Oliver Schröm. 18. Oktober 2018; DIE ZEIT Nr. 43/2018; https://www.zeit.de/2018/43/cum-ex-steuerbetrug-aktiengeschaeft-europa-finanzpolitik/komplettansicht.

*6) Bundestag nimmt Be­richt des Cum/Ex-Aus­schusses zur Kennt­nis. Der Bundestag hat am Freitag, 23.Juni 2017, den Abschlussbericht des 4. Untersuchungsausschusses (Cum/Ex) zur Kenntnis genommen. „Finanzbetrügereien ohnegleichen“; https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw25-de-cum-ex-bericht/509824.

Der Bericht war am 22. 06. 2017 an Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert übergeben worden. „Dabei würdigte Lammert die Arbeit des Ausschusses, die ein ´eindrucksvoller Beleg` dafür sei, dass Untersuchungsausschüsse zur Aufklärung komplizierter Sachverhalte beitragen können. Besonders bitter sei, dass bei diesen Geschäften Banken in einer Zeit mitgemacht hätten, die im selben Zeitraum von Steuerzahlern gestützt worden seien und die Steuerzahler dann auch noch betrogen hätten.“ (Hervorhebung RS).

Siehe auch: *3) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 241 . Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. Juni 2017. Tagesordnungspunkt 32. Beschlussempfehlung und Bericht des 4. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes. Drucksache 18/12700; http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18241.pdf.