SPD: Was ändern?

Für Deutschland und die EU ist die Vorausschau auf die Wirtschaftslage eher düster. Zugleich laufen den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD die Wähler davon. Vor allem die SPD ist davon schwer getroffen.

Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) kommt durch Befragungen von Finanzmarktexperten zum Ergebnis, dass die erwartete Konjunkturentwicklung stark nachlässt. In Deutschland und in der Eurozone sei sie sogar deutlich unter den langfristigen Durchschnitt der Indikatoren für die wirtschaftlichen Aussichten abgesunken. Die eingetrübte Export- und Konjunkturlage resultiere vor allem aus dem weltwirtschaftlich gefährlichen Handelskonflikt USA-China sowie dem zunehmend wahrscheinlichen „harten Brexit“ und erschwertem Handel mit Großbritannien. *1)

Das ifo-Institut ermittelt einen Geschäftsklima-Index aus Befragungen von Unternehmen und deren per Saldo gesammelten Positiv-Urteilen gegenüber Negativ-Urteilen zu Geschäftslage und -erwartungen. Auch dieser Index für das Geschäftsklima zeigt eine eingetrübte Stimmung unter Firmenchefs.*2)

Für die Industrie (Zwischenprodukte, Investitions- und Konsumgüter) und vor allem für den Einzelhandel habe sich nicht nur das Urteil über die aktuelle Lage, sondern auch über die Geschäftsaussichten verschlechtert. Auftragseingänge und Auslastung der Produktionskapazitäten hätten sich abgeschwächt. Entsprechend werde die aktuelle Lage im Sektor für unternehmensnahe Dienstleistungen (ohne Handel, Staat und Finanzdienste) ungünstiger gesehen als die Aussichten.

Nur im Bauhauptgewerbe sei das Geschäftsklima besser denn je. *2) Dies bewerten manche Beobachter allerdings als Zeichen einer drohenden spekulativen Nachfrage-Blase. Deren Platzen könne, wie die Krise ab 2008 zeigte, ernste Rückschläge nicht nur in der Real-, sondern auch der Finanzwirtschaft auslösen.

Schwächere wirtschaftliche Aussichten nähren Sorgen vor einer neuen Finanz- und Wirtschaftskrise. Und zugleich wachsen Zweifel an der politischen Stabilität. Denn die WählerInnen fliehen die regierenden Parteien CDU/CSU und SPD.

Wieso eigentlich? Wo doch die sogenannte Große Koalition (GroKo) seit 2013 die Sozialausgaben im Bundeshaushalt — frei nach Wilhelm Busch — höher stets und höher treibt, bis man vor Erstaunen schweigt: Von 145.7 Mrd. € (2013) auf 175.1 Mrd. € (2018). Und die Folgekosten dieser expansiven, SPD-getriebenen Sozialpolitik wachsen weiter: Für 2020 werden bereits 186.8 Mrd. € kalkuliert. Der Anteil der Sozialausgaben an den Primärausgaben (ohne Zinsausgaben) des Bundeshaushalts wird dann von 52.7 % (2013) auf das Allzeithoch von 57.3 % (2020) gestiegen sein. *3)

Die SPD-Chefin Andrea Nahles, 2013 als Arbeits- und Sozialministerin in diese „Politik im Interesse der Bürgerinnen und Bürger“ (Nahles) eingestiegen, fordert für den SPD-Kurs von der CDU/CSU einen „verbindlichen Fahrplan“. Und droht mit dem Ende der GroKo, wenn der nicht umgesetzt wird. *4)

Diese Sozialpolitik — anscheinend starker Ausgabenanstieg ohne sozialpolitische Strategie — muss auch sozialdemokratische Politikbeobachter verwundern. Schon deshalb, weil selbst die SPD-Chefin einräumt, dass sie nicht wisse, wie „die Neuausrichtung des Sozialstaates aussehen soll. ´Was kommt nach Hartz IV?'“ Hier liege ein Themenfeld, bei dem „die Position der Partei nicht eindeutig ist.“ *5)

Eine Regierungspartei SPD, die auf dem Gebiet ihrer Kernkompetenz, der Sozialpolitik, nicht weiß, was sie will? Ja, zu welchem Zweck wird denn eine SPD-Führung auf Parteitagen gewählt? Damit sie nicht führt, weil sie nicht weiß, wohin? Sondern nur eines will: Immer mehr Sozialausgaben?

Wer wundert sich dann über die neue Massenflucht der dafür zahlenden WählerInnen von der SPD — mehr als die Hälfte in Bayern, mehr als ein Drittel im einstigen SPD-Stammland Hessen.

Sicher muss sich „was ändern“. Der frühere Erste Bürgermeister Hamburgs, Klaus von Dohnanyi (SPD), hat seine Partei zu einer inhaltlichen Neuausrichtung und zu stärkerer Betonung der Wirtschaftspolitik aufgefordert.

Von Dohnanyi spricht sicher für viele Sozialdemokraten, die sich — siehe oben zu den unerfreulichen ZEW- und ifo-Konjunkturindikatoren — mit den gesamtwirtschaftlichen Fragen befassen: „Themen wie Kita und Rente sind wichtig, aber die SPD liegt schief, wenn sie meint, dass sie allein mit Sozialfragen vorankommt … die erfolgreichen Bundestagswahlen 1969 und 1972 wurden von einem sozialliberalen SPD-Wirtschaftspolitiker Karl Schiller und einem charismatischen Außenpolitiker Willy Brandt gewonnen, nicht mit Debatten über sozial wichtige Einzelheiten“. *6)

Sigmar Gabriel, Vor-Vorgänger von SPD-Chefin Andrea Nahles, scheinen solche Kontroversen als günstige Gelegenheit, sich zurückzumelden. Gegen das Ziel seiner „Parteifreundin“ Andrea Nahles, „die Erneuerung der Partei zu beschleunigen“. *5) Gabriel führt zur von Nahles angestrebten programmatischen Erneuerung der SPD aus: „Die Inhalte sind im Augenblick eher Nebensache, denn alles Reden und gutes Regieren in der Koalition in Sachen Rente, Mieten, Pflege, Vollzeit, Arbeit, Weiterbildung, Schule, Kitas haben der Sozialdemokratie leider nicht geholfen“. *7)

Wie soll man Sigmar Gabriel, MdB, verstehen? Wenn „die Inhalte im Augenblick eher Nebensache sind“, dann kann „im Augenblick“ wohl nur eines Hauptsache sein: die Personalfrage … nämlich die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles.“ Wollte er diesen Gedanken mit seiner Stellungnahme zum Verzicht der Bundeskanzlerin Merkel auf die erneute Wahl als CDU-Vorsitzende verknüpfen?

Nun weiß man, dass Gabriel, wenn er fies wird, dies nicht direkt macht. So ging er gegen seinen Nachfolger als SPD-Chef, Martin Schulz, über sein Töchterchen vor, die kleine Marie: „Der Mann mit den Haaren im Gesicht.“

Gegen SPD-Chefin Andrea Nahles hat solche Geschäfte nicht Gabriels kleine Marie, sondern die seinerzeit Bundeswirtschaftsminister Gabriel (2013 bis 2017) als Parlamentarische Staatssekretärin verbundene Brigitte Zypries besorgt. Zypries, Mitglied einer langjährigen Seilschaft — Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel — scheute sich nicht, über BILD zu verbreiten: „Mein Umfeld findet Andrea Nahles unsympathisch.“ *8) Man beachte, dass die Genossin Zypries derart widerwärtig erst gegen die SPD-Vorsitzende Nahles hetzt, nachdem sie aus dem Bundestag und der Politik ausgeschieden ist.

Dies alles lässt erkennen:

1. Wie es unter hochrangigen SPD-Genossen zugeht.

2. Vor welcher Herausforderung Andrea Nahles steht, wenn sie in der SPD „was ändern“ will. In einer tief gespaltenen Partei, in der persönliche und sachliche Differenzen — untrennbar verquickt — Feindschaften begründen, die sogar über die aktive Amtszeit hinausreichen.

Was ändern? In der SPD? Aber wie?

*1) ZEW. Erhebliche Verschlechterung der Erwartungen. Oktober 2018. https://www.zew.de/de/presse/pressearchiv/erhebliche-verschlechterung-der-erwartungen/. (Hervorhebung RS)

*2) ifo Geschäftsklimaindex sinkt. 25.10.2018; http://www.cesifo-group.de/de/ifoHome/facts/Survey-Results/Business-Climate/Geschaeftsklima-Archiv/2018/Geschaeftsklima-20181025.html. (Hervorhebung RS).

*3) Entwicklung der Sozialausgaben im Bundeshaushalt (Primärhaushalt); https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/2016/04/Bilder/b01-abb02-Entwicklung-Sozialausgaben-Bundeshaushalt.html.

*4) 28.10.2018. Konsequenz aus Landtagswahlergebnis Hessen. Nahles kündigt „verbindlichen Fahrplan“ für Berlin an; https://www.spd.de/aktuelles/detail/news/nahles-kuendigt-verbindlichen-fahrplan-fuer-berlin-an/28/10/2018/

*5) 29.10.2018. Nach den Landtagswahlen. „Es muss sich was ändern“. Nach den schweren Wahlniederlagen in Bayern und Hessen will die SPD-Spitze die Erneuerung der Partei beschleunigen und für eine klare Handschrift der SPD in der großen Koalition sorgen. „Wir werden jetzt Tempo machen“, sagte SPD-Chefin Andrea Nahles am Montag in Berlin; https://www.spd.de/aktuelles/detail/news/es-muss-sich-was-aendern/29/10/2018/.

*6) Von Dohnanyi will inhaltliche Neuausrichtung der SPD. DTS-Meldung vom 30.10.2018, 12:10 Uhr. Der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) hat seine Partei zu einer inhaltlichen Neuausrichtung aufgefordert.

*7) Gabriel rechnet mit Jamaika-Koalition in Berlin. DTS-Meldung vom 30.10.2018, 14:09 Uhr. Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel rechnet damit, dass Angela Merkel nach ihrem Verzicht auf den Parteivorsitz bald auch als Kanzlerin abtritt. (Hervorhebung RS).

*8) EX-SPD-MINISTERIN BRIGITTE ZYPRIES IM BILD-TALK. „Mein Umfeld findet Andrea Nahles unsympathisch“. 22.10.2018; https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/. Zypries folgte Gabriel als Wirtschaftsminister nach, als dieser im Januar 2017 das Amt des Außenministers antrat, nachdem Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten gewählt worden war.