GroKo und UN-Migrationspakt.

Zunächst: Ich befürworte den UN-Migrationspakt. Weil bekanntlich mit über 80 Prozent die weitaus meisten Flüchtlinge dieser Welt von Entwicklungsländern aufgenommen werden. Jedoch ist die Kommunikationspolitik von CDU/CSU und SPD (Groko-Bundesregierung) zu dieser wichtigen internationalen Vereinbarung empörend unwürdig.

Vorhaben der internationalen Politik sind vorausschauend und transparent zu erläutern, das Für und das Wider zu erklären, eine offene Debatte zu fördern — das muss Gebot gerade für eine Regierung sein, die für eine regelbasierte internationale Weltordnung und Zusammenarbeit eintritt. Vor allem in einem Umfeld zunehmend nationaler Abschottungstendenzen durch Populisten!

Stiekum, verstohlen jedoch hat das Auswärtige Amt in der UN den Migrationspakt verhandelt. Jetzt kommt nach einer AfD-Kampagne ans Licht, dass das Auswärtige Amt künftig falsche Informationen darüber richtig stellen wolle. *1) Allerhöchste Zeit für diese Erkenntnis! Bereits am 11.12.2018 soll der UN-Migrationspakt in Marrakesch unterzeichnet werden.

Ein Desaster für die Glaubwürdigkeit der GroKo-Regierungsführung. Der Vertrauensschaden ist deshalb so groß und nachhaltig, weil die Migrationspolitik in Deutschland ohnehin auf Misstrauen stößt. Die Gründe für dieses verbreitete öffentliche Misstrauen liegen offen zutage:

  • Einerseits stellte Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) im TV fest: „Das Thema Migration wird uns Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dominieren. Deshalb ist es eine der großen Aufgaben des neuen oder der neuen Parteivorsitzenden, die Konzepte für die nächsten fünf bis zehn Jahre für uns, und für Europa, zu entwerfen.“ Und gleichzeitig behauptet sie: „Migrationskrise gelöst!“ *2)
  • Nicht nur FDP-Chef Lindner („Sie reden die Probleme schön!“), sondern auch Hans-Peter Friedrich (CSU), Vizepräsident des Deutschen Bundestags, betonte den Vertrauensverlust *2): Die Korrektur des Migrationschaos 2015 sei nicht von Bundeskanzlerin Merkel durchgesetzt worden, sondern von der CSU. Dies ist wohl so, weil Merkel mehrfach öffentlich erklärt hatte, sie wüsste nicht, was sie 2015 hätte anders machen sollen. Deshalb, so Friedrich, glaubten die Menschen nicht, wenn Merkel sagt, das Jahr 2015 dürfe sich nicht wiederholen.
  • Neuerdings attackiert Bundesminister Jens Spahn, Kandidat für den CDU-Vorsitz, beschönigende Sichtweisen der Migrationspolitik Merkels: Die Frage der Migration sei „weder beendet noch gelöst“. Das zeige die „noch immer bestehende jährliche ungeordnete, überwiegend männliche Zuwanderung in einer Größenordnung von Städten wie Kassel oder Rostock“. (RS: Über 200 Tausend!) Diese müsse begrenzt werden. „Entgegen manchen Beschwichtigungen ist noch nicht alles wieder im Lot.“ *3)
  • Und in dieser Lage öffentlichen Misstrauens gegenüber der Flüchtlingspolitik wird der UN-Migrationspakt von der GroKo vereinbart — wie gesagt stiekum und verstohlen. Noch am 31.10.2018 heißt es im Deutschlandfunk: „Allgemein war das Thema bisher in Deutschland öffentlich kaum bekannt … Diese Schere (RS: im Kopf) wurde zuletzt gut deutlich bei der Diskussion mit ZDF-Chefredakteur Peter Frey und ARD-Aktuell-Chef Kai Gniffke in Dresden. Die beiden Top-Journalisten wurden von AfD-Anhängern auf den so bedrohlichen Pakt für Migration angesprochen — und konnten mit dem Thema nichts anfangen.“ *4)

So hatte die AfD Gelegenheit, gegen den von der GroKo mitgestalteten UN-Migrationspakt in der Landtagswahl Hessen aufzurufen: „Ihr Hessen, stoppt in einer Woche diesen Wahnsinn! Merkel will allen Migranten weltweit den Zugang nach Deutschland ermöglichen.“ *4) Das Ergebnis war abzusehen. CDU: minus 11.3 %-Punkte, SPD: minus 10.9 %-Punkte, den größten Zugewinn verzeichnete die AfD: + 9%-Punkte. Die CDU verlor fast, die SPD deutlich mehr als ein Drittel ihrer Wähler.

Und obendrein steht die Bundesregierung wie ertappt da. Während nun das Thema UN-Migrationspakt in den Mittelpunkt kontroverser Debatten rückt, ist die öffentliche Wahrnehmung und Bereitschaft für eine sachliche Auseinandersetzung schwer belastet.

  • Ist gegenüber den UN nicht ohnehin Misstrauen angebracht? Wurde dies nicht schon bestätigt? Z.B. durch Anti-Israel-Beschlüsse, die der deutschen „Staatsräson“ (Merkel) des Schutzes für Israel entgegen stehen. Ist nicht die Mehrheit der dem UN-Migrationspakt zustimmenden Länder undemokratisch, mit defizitärer Regierungsführung, häufig gewillt, Minderheiten oder politisch Andersdenkende gewaltsam aus dem Land zu vertreiben?
  • Welche Gründe haben die ohnehin geringe Zahl demokratischer, wohlhabender Zielländer von Flucht und Wirtschaftsmigration verringert? Weil bisher z. B. die USA, Australien, Dänemark, Österreich, Polen, die Tschechische Republik sich weigern, dem UN-Migrationspakt beizutreten. Werden noch weitere ökonomisch belastbare Aufnahmeländer dieser Ablehnung folgen?
  • Frau Merkel behauptet nun, der UN-Migrationspakt schütze uns vor illegaler Migration. Weiter wird versichert, dass der Pakt keine rechtlichen Verpflichtungen auferlege und allein den Mitgliedsländern ihre eigenständige Migrationspolitik überlasse. Überdies seien dessen sämtliche Forderungen zur menschenwürdigen Behandlung von Migranten in Deutschland ohnehin erfüllt.

Die nunmehr nachgereichten Begründungen für den Beitritt Deutschlands zum UN-Migrationspakt am 11.12.2018 werden die von der AfD betriebene Angstdebatte in unserem Land nicht mehr abwenden. Ein unwürdiges Deutschlandbild könnte sich vor den Augen der Welt abzeichnen. Das Jahr 2019 bringt die Europawahl (26. Mai) und Landtagswahlen in drei ostdeutschen Ländern — Brandenburg und Sachsen (jeweils 1. September) sowie Thüringen (27.Oktober). Jeder weiß, wie stark die AfD dort ist.

Ob halbwahr, unrichtig, übertrieben oder unverantwortlich, die Einwände der Gegner des UN-Migrationspakts bieten der AfD hinreichend Wahlkampfmunition.

Hier soll auf diese Einwände gar nicht näher eingegangen werden. Im Kern laufen sie auf eine für juristische Laien zwar schwer verständliche, aber gerade deshalb für eine Angstkampagne umso besser geeignete Argumentation hinaus: Es könnte sich auf der Grundlage des UN-Migrationspakts eine rechtliche und politische Praxis in Migrationsfragen entwickeln, die sich zu einem „Völkergewohnheitsrecht“ verfestige. Damit könnte es zu einem Recht auf Einwanderung in ein Land eigener Wahl kommen. Einen Unterschied zwischen illegaler und legaler (d.h. vom Aufnahmeland gewünschter) Migration gäbe es dann nicht mehr. Dieser Unterschied wäre damit rechtlich weg definiert.

Es dürfte kaum überraschen, wenn die AfD mit solchen Argumentationsmethoden und unter Berufung auf angeblich entstehendes Völkergewohnheitsrecht Merkels Aussage, der UN-Migrationspakt schütze uns vor illegaler Migration, als blanke Lüge und Zynismus diskreditiert.

So könnte die AfD weiterhin die Agenda der politischen Debatte bestimmen. Und sie wird immer wieder besonders öffentlichkeitswirksam das Misstrauen schüren. Und darauf verweisen, dass die Bundesregierung die Verhandlungen zum UN-Migrationspakt bewusst verheimlicht habe. Durch „schier unglaubliche Zensur: Redeverbot? Schreibverbot? Mainstream-Medien verschweigen den ´Globalen Pakt für Migration` der UNO.“ *4)

Gleich, ob die Einwände der AfD gegen den UN-Migrationspakt halbwahr, unrichtig, übertrieben oder unverantwortlich sind — die AfD kann belegen, dass die Bundesregierung die parlamentarische Debatte des Themas abgelehnt hat.

Auf eine Anfrage der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag (19. April 2018) zum „Globalen Pakt für Migration“ teilte die Bundesregierung mit: „Der Globale Migrationspakt soll rechtlich nicht bindend … sein. Rechtliche Verpflichtungen werden nicht begründet. Eine förmliche Befassung des Bundestages ist daher nicht erforderlich.“ *5)

Warum haben verantwortliche Parlamentarier der CDU/CSU und der SPD zur öffentlichen Kontrolle des Regierungshandelns eine Debatte über ein so „dominierendes Thema“ (von der Leyen) wie die Migration und den UN-Migrationspakt verweigert?

Bundespräsident Steinmeier hatte im April 2018 angesichts der national-populistischen Tendenzen in Deutschland die neue Groko-Bundesregierung zu besonders parlamentsfreundlichem Verhalten aufgefordert: *6)

  • Diese Regierung muss sich neu und anders bewähren. Bewähren nicht nur an der Größe der Aufgaben, sondern auch im Umgang mit Parlament und Öffentlichkeit — ganz besonders im direkten Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern — gerade mit denen, die Vertrauen verloren haben.
  • Die Regierung ist gut beraten, genau hinzuhören und hinzuschauen, auch auf die alltäglichen Konflikte im Land — fern der Weltpolitik, wo Gewissheiten geschwunden sind und das Leben schwieriger geworden ist. Nur so können Sie, nur so kann Reden und Handeln der Regierung die Fragen beantworten, die die Bürgerinnen und Bürger wirklich stellen.
  • Ich weiß, viele dieser Fragen sind ebenso kontrovers wie emotional: Gerechtigkeitsfragen, Flüchtlingspolitik und Migration, Integration und Heimat, und vieles andere. Über all das brauchen wir offene und ehrliche Debatten.
  • Kein Ort ist dafür so zentral wie der Deutsche Bundestag. Dort gehören die Debatten hin! Im Koalitionsvertrag habe ich gelesen, dass sich diese Regierung mehr als in der Vergangenheit der Auseinandersetzung im Parlament stellen will. Das ist ein gutes Signal!

Verweigerung der Parlamentsdebatte ausgerechnet beim „dominierenden Thema“ UN-Migrationspakt? Hat Bundespräsident Steinmeier vergeblich gemahnt? Kein Ort — so das Staatsoberhaupt — sei für die notwendigen Debatten „so zentral wie der Deutsche Bundestag. Dort gehören die Debatten hin!“ Die Ankündigung im Koalitionsvertrag 2018, „dass sich diese Regierung mehr als in der Vergangenheit der Auseinandersetzung im Parlament stellen will“ — leere Worte?

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat der GroKo zum Thema UN-Migrationspakt vorgeworfen, der „Umgang der Bundesregierung mit diesem Thema ist unverantwortlich. Populisten sorgen mit Falschinformationen für eine Protestwelle, weil keine öffentliche Debatte über diese internationale Vereinbarung geführt wird. Wie kann man bei einem so sensiblen Thema nur so technokratisch agieren? Die Lehre aus 2015 muss doch für die Bundesregierung sein: höchstmögliche Transparenz, Information und Diskussion im Parlament und der Öffentlichkeit.“ *7)

Nach den eindringlichen Worten unseres Bundespräsidenten zur demokratischen Debattenkultur und zur zentralen Rolle des Bundestags kann auch Ministerpräsident Kretschmer nur zugestimmt werden:

Zum UN-Migrationspakt hat sich die GroKo eine beschämend unwürdige Kommunikationspolitik geleistet.

*1) DEUTSCHLAND „STIMMUNGSMACHE“ BEFÜRCHTET. Auswärtiges Amt will „Falschmeldungen“ über Migrationspakt bekämpfen.

Der UN-Migrationspakt ist in einigen Ländern, wie den USA, oder auch Österreich umstitten. Auch die AfD äußert Kritik und soll „Falschmeldungen“ über den Pakt verbreitet haben. Das Auswärtige Amt will dagegen vorgehen. (Hervorhebung, RS).

Stand: 02.11.2018; https://www.welt.de/politik/deutschland/article183142826/Migrationspakt-Auswaertiges-Amt-will-Stimmungsmache-bekaempfen.html.

*2) MERKEL-TALK BEI „MAYBRIT ILLNER“. Flüchtlingsstreit zwischen Lindner und von der Leyen. Verteidigungsministerin sieht „Migrationskrise gelöst“ — der FDP-Chef entgegnet: „Sie reden die Probleme schön!“

Artikel von: JOSEF NYARY, veröffentlicht am 02.11.2018; https://www.bild.de/politik/talk-kritik/maybrit-illner-fluechtlingsstreit.

*3) CDU. Armin Laschet distanziert sich von Jens Spahns Thesen. 2. November 2018; https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-11/cdu-armin-laschet-jens-spahn-fluechtlingspolitik.

*4) Nachgefragt. Der Streit um den „Globalen Pakt für Migration“. 31. Oktober 2018;

https://www.deutschlandfunk.de/nachgefragt-der-streit-um-den-globalen-pakt-fuer-migration.2852.de.html?

*5) Deutscher Bundestag. Drucksache 19/1751. 19. Wahlperiode. 19.04.2018. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Martin Hebner und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/1499 — Globaler Pakt für Migration (Global Compact for Migration); https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/017/1901751.pdf. (Hervorhebung, RS).

*6) Bundespräsident zur neuen Groko. „Ein schlichter Neuaufguss des Alten wird nicht genügen“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der neuen Bundesregierung mahnende Worte mit auf den Weg gegeben. Wir dokumentieren seine Rede hier im Wortlaut. 14.03.2018; https://www.tagesspiegel.de/politik/bundespraesident-zur-neuen-groko-ein-schlichter-neuaufguss-des-alten-wird-nicht-genuegen/21070976.html. (Hervorhebungen, RS).

*7) Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) beklagt, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung zum UN-Migrationspakt, der im Dezember in Marrakesch angenommen werden soll, zu spät komme. DTS-Meldung vom 02.11.2018; http://www.dernewsticker.de. (Hervorhebungen, RS)