Demokratie braucht Demokraten!

Im Verlauf der Brexitdebatte mögen viele Deutsche an der britischen Demokratie gezweifelt und die Abwesenheit eines Verfassungstextes — nach Vorbild unseres Grundgesetzes — bemängelt haben.

Aber Großbritannien hat den Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland (Supreme Court of the United Kingdom). Und das UK hat große Demokraten, die für ihre Demokratie und die Freiheit ihrer Insel kämpfen. Deshalb hat es dort nie einen Hitler gegeben, und der Nazi-Krieg scheiterte gewiss nicht zuletzt am Widerstand Großbritanniens.

Ein Vorbild für Demokraten in aller Welt ist heute die Britin Gina Miller, geboren 1965 in Guyana, mit 10 Jahren zur Schule nach England geschickt, wo sie sich später mit ihrem Bruder neben dem Schulbesuch hart durchschlagen musste. Denn den Eltern in Guyana war verboten worden, ihren Kindern Geld in das UK zu schicken. Sie schuftete als Zimmermädchen in Hotels, er als Zeitungsjunge und Tellerwäscher. Wer als Kind und Jugendlicher ähnliche Erfahrung gesammelt hat, weiß, was das bedeutet. Außerdem muss bedacht werden, wie hart jeglicher Broterwerb in Großbritannien ist. *1)

So ist Gina Miller zu einer starken Persönlichkeit, herausragenden Demokratin und Unternehmerin geworden.

In zwei großen Streitfragen während des Brexit-Verfahrens hat Gina Miller eine führende Rolle gespielt, um vor Gerichten die Rechte der Bürger und ihres Parlamentes gegen die Regierung zu verteidigen. *1)

  • Im ersten Fall bestritten die Kläger um Gina Miller der Regierung das Recht, den Brexit nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages der EU ohne Zustimmung des Parlamentes einzuleiten. Nur das Parlament dürfe die Entscheidung treffen, den Briten ihre EU-Rechte zu nehmen. Im Dezember 2016 bekamen Gina Miller und die Mitkläger vor dem Obersten Gerichtshof des UK Recht, und die Regierung unterlag.
  • Im zweiten und neuesten Fall wandten sich Gina Miller und Mitkläger, unterstützt auch vom ehemaligen Premierminister Sir John Major, gegen die Entscheidung des Premiers Boris Johnson, das Parlament vom 9. September bis zum 14. Oktober 2019 “stillzulegen“. Gina Miller: Ein „Versuch wahrhaft historischer Dreistigkeit, das Parlament zu hindern, von der Regierung Rechenschaft für ihre Brexit-Politik zu fordern! … Es geht darum, ob künftig irgendeine Regierung, irgendein Premierminister den Menschen Rechte entziehen kann ohne Zustimmung, ohne Befragung des Parlamentes. Eine derartige Vorstellung von Demokratie ist uns nicht zumutbar. Das ist keine Demokratie, das grenzt an Diktatur.“ *1)

Heute hat der Oberste Gerichtshof des UK einstimmig und ohne jede Einschränkung gegen die Regierung von Premier Boris Johnson entschieden. In aller Kürze, hier der Kernsatz des Urteils: Es habe für den Premier „keinen Grund – geschweige denn einen guten Grund – gegeben, Ihrer Majestät der Königin zu raten, das Parlament für fünf Wochen zu beurlauben … Daher war die Entscheidung rechtswidrig.“ *2)

Hut ab vor Gina Miller und ihren Mitstreitern! Sie brauchten keine geschriebene Verfassung. Mit ihrer Klage vor dem Obersten Gerichtshof des UK kämpften sie erfolgreich als Demokraten für ihre Demokratie, für die Rechte des britischen Parlamentes gegen die Regierung.

Bereits morgen um 11.30 Uhr (London-Zeit) tritt das Parlament wieder zusammen.

Gina Miller wollte nicht für eine Seite der Brexit-Bremain-Kontroverse kämpfen, sondern allein für die Demokratie, die Rechte des Parlamentes und die europäischen Rechte der wählenden Bürgerinnen und Bürger im Vereinigten Königreich.

Gina Miller wurde in gefährlichster Weise von Fanatikern bedroht. Sie blieb standhaft — eine ganz große Europäerin!

*1) Brexit Supreme Court cases: Who is Gina Miller? 17 September 2019; https://www.bbc.com/news/uk-politics-37861888 (Übertragung RS).

*2) Supreme Court: Lady Hale’s statement on ‚unlawful‘ Parliament suspension; 24 September 2019; https://www.bbc.com/news/uk-politics-49810680. The „Supreme Court judgement said: „It is impossible for us to conclude on the evidence … that there was any reason – let alone a good reason – to advise Her Majesty to prorogue Parliament for five weeks.“ (Übertragung RS).