Demokratieschule TV

Im deutschen öffentlich-rechtlichen TV gibt es eine Reihe fähiger Journalisten, Frauen und Männer, die Konfrontation politischer Gegner moderieren können. Deren Dienst für unsere Demokratie anerkennend, erscheint eine Intervention von Kurt Beck gegen bestehende politische TV-Programme mehr als fragwürdig.

Diese Auffassung bedarf einiger Erläuterungen.

Kurt Beck ist bekanntlich ehemaliger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrats und Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung, die nicht nur in Deutschland, sondern in über 100 Ländern gesellschaftspolitisch tätig, der Sozialdemokratie verbunden ist.

Damit gehört Kurt Beck (SPD) zu den führenden Persönlichkeiten in den Aufsichtsgremien des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF), also in einem wichtigen Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien des ZDF — Fernsehrat und Verwaltungsrat — soll nach unserem Grundgesetz gewährleisten, dass die Programme folgende Grundsätze wahren: Sicherung der Vielfalt und Pluralität sowie staatsferne Offenheit für Divergenz und Diversifikation in unserer freien Zivilgesellschaft. *1)

Daher sei — so das Bundesverfassungsgericht — „der Einfluss der staatlichen und staatsnahen Mitglieder in den Aufsichtsgremien konsequent zu begrenzen (und der) Anteil der staatlichen und staatsnahen Mitglieder darf insgesamt ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums nicht übersteigen.“ *1) Sachkenner beziffern deren Anteil auf „knapp die Hälfte.“ *2)

In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts heißt es: „Die besondere staatliche Verantwortung für die Sicherung von Vielfalt in diesem Bereich hat ihren Grund in der herausgehobenen Bedeutung, die dem Rundfunk – und insbesondere dem Fernsehen – wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft zukommt …“. *1, Abschnitt 34)

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe in unserer demokratischen Ordnung eine zentrale Funktion: Insbesondere „als Gegengewicht zu den privaten Rundfunkanbietern ein Leistungsangebot hervorzubringen, das einer anderen Entscheidungsrationalität als der der marktwirtschaftlichen Anreize folgt und damit eigene Möglichkeiten der Programmgestaltung eröffnet. Er hat so zu inhaltlicher Vielfalt beizutragen, wie sie allein über den freien Markt nicht gewährleistet werden kann.“ *1, Abschn. 36)

Gerade auch „wegen des erheblichen Konzentrationsdrucks im privatwirtschaftlichen Rundfunk und den damit verbundenen Risiken einer einseitigen Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung hat das Bundesverfassungsgericht Vorkehrungen zum Schutz der publizistischen Vielfalt als geboten angesehen.“ *1, Abschn. 36)

Dieser Schutz publizistischer Vielfalt, der Offenheit auch für streitige Themen und Positionen aus der Meinungsvielfalt unserer Zivilgesellschaft erscheint im Lichte der Urteilsbegründung unseres Bundesverfassungsgerichts besonders gegenüber politischen Parteien notwendig.

Der Fernsehrat ist für die Einflussnahme durch politische Parteien und verbandspolitische Großorganisationen besonders interessant. Denn hier werden die Programmrichtlinien und -grundsätze erlassen und überwacht, der Intendant in Programmfragen „beraten“, der Haushaltsplan genehmigt.

Die vom Fernsehrat gewählten acht Mitglieder des Verwaltungsrats überwachen dort neben fünf Ländervertretern und einem des Bundes die geschäftliche Tätigkeit des Intendanten.

Den parteipolitischen Einfluss im Fernsehrat beschreibt das Bundesverfassungsgericht höchst anschaulich:

„Beim Fernsehrat haben sich .. – außerhalb gesetzlicher Grundlagen – zwei sogenannte ´Freundeskreise` etabliert, die auch als ´CDU-Freundeskreis` und ´SPD-Freundeskreis` bezeichnet und regelmäßig von jeweils einem politisch erfahrenen Mitglied der CDU oder CSU beziehungsweise der SPD koordiniert werden. Nahezu jedes Mitglied des Fernsehrats gehört einem der beiden Freundeskreise an. Die Freundeskreise treffen sich üblicherweise nach den Ausschusssitzungen am Vortag der Sitzungen des Gesamtgremiums und stimmen die im Gesamtgremium zu treffenden Beschlüsse im Voraus informell ab.“ *1, Abschn. 10) Hier kann durchaus von Machtdominanz der Parteien gesprochen werden.

Die Brutalität der parteipolitischen Personalpolitik, die 2009 von CDU/CSU-nahen Verwaltungsräten und dem damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch demonstriert wurde, ist der Öffentlichkeit noch in böser Erinnerung: Gegen den Wunsch des Intendanten wurde der Vertrag des angesehenen Chefredakteurs Nikolaus Brender nicht verlängert.

Bei solch ungeschminkt brutaler parteipolitischer Einflussnahme bedarf es neben institutionellen Vorkehrungen besonderen Rückgrats der für die TV-Programme verantwortlichen Führungskräfte und Mitarbeiter, um nicht in byzantinisch vorauseilenden „Gehorsam“ gegenüber Rat-Schlägen und Willensbekundungen mächtiger „Aufseher“ zu verfallen.

Und vor allem — wie das Bundesverfassungsgericht betont — bedarf es einer wachsamen Öffentlichkeit, um „Tendenzen von Machtmissbrauch oder Vereinnahmungen durch Partikularinteressen frühzeitig entgegenzuwirken. Der Öffentlichkeit kommt insoweit eine wesentliche, die interne institutionelle Kontrolle ergänzende Kontrollfunktion zu.“ *1, Abschn. 84).

Damit sind wir Bürger, wir Zahler der Rundfunk-Gebühren aufgerufen, unseren Beitrag zu leisten, um für Vielfalt, offene Streitkultur und Gehör auch für die zivilgesellschaftlichen Stimmen jenseits der Großorganisationen einzutreten. Gegen eine konformistische, parteipolitisch geprägte „Dominanz von Mehrheitsperspektiven“ *1, Abschn. 72).

So viel zum rundfunkpolitischen Kontext, zum „Gebot der staatsfernen Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, (um) eine politische Instrumentalisierung des Rundfunks (zu) verhindern“. *1, Abschn. 47).

Nunmehr wird versucht, die TV-politische Intervention des Vorsitzenden des ZDF-Verwaltungsrats, Kurt Beck, zu beurteilen.

Im Interview mit ZEIT ONLINE hatte der Vorsitzende Kurt Beck seine Rat-Schläge für TV-Programme erteilt.

ZEIT ONLINE: Malu Dreyer weigert sich, mit AfD-Spitzenkandidat Uwe Junge in einer Talkshow aufzutreten. Hätten Sie genauso entschieden?

Kurt Beck: Ja. Von solchen Sechserrunden mit Gott und der Welt halte ich überhaupt nichts. Die zwingen ja geradezu zu Plattitüden, die die Bürger Politikern oft zu Recht vorhalten.

ZEIT ONLINE: Was spricht gegen eine direkte kritische Auseinandersetzung mit AfD- Politikern?

Kurt Beck: Eine Talkshow mit fünf, sechs Gästen bietet nicht den richtigen Rahmen, um die wahre Gesinnung von radikalen Kräften wie der AfD aufzudecken. Denen geht es ja nicht um den Austausch von Argumenten und das ernsthafte Ringen um die beste Lösung. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Vor seinem Deutschlandfahnen-Auftritt bei Günter Jauch kannte den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke kaum jemand. Obwohl er in der Sendung nicht unkritisch behandelt wurde, war es nichts anderes als eine Präsentationsplattform für rechtsextreme Inhalte im Gewand eines angeblich besorgten Bürgers.

ZEIT ONLINE: Mit den richtigen Fragen und argumentativ starken Gegnern müsste das doch nicht so sein.

Kurt Beck: Ich glaube, wir brauchen andere Formate – jedenfalls vor Landtagswahlen. Ich wünsche mir, dass zwei, drei Journalisten ein messerscharfes Interview mit einem Spitzenkandidaten führen. Da kann man auch Leuten wie dem hiesigen AfD-Mann Junge auf den Zahn fühlen, die in der Öffentlichkeit so auftreten, als hätten sie gerade Kreide gefressen. Das Publikum wäre deutlich besser informiert als in einer Talkshow, in der alle durcheinander reden und im Zweifel der Diskutant mit den radikalsten Thesen in Erinnerung bleibt.“ *3)

Damit stellt Beck nicht nur den bewährten Moderatoren, sondern auch profilierten Vertretern bei politischen Diskussionsrunden ein diffamierend schlechtes und sehr ungerechtes Zeugnis aus. Wer ist denn dort zu “Platitüden“ gezwungen, die ohnehin von den Bürgern übel vermerkt würden? Überdies weiß Beck offenbar besser als “das Publikum“, ob wir uns durch die Talkshows hinreichend informiert fühlen oder schon seit Jahren auf Becks “Wunsch“ warten, das Debatten-Format zu ändern.

Machen wir TV-Nutzer uns glasklar: Der mächtige Vorsitzende des ZDF-Verwaltungsrats, Kurt Beck, wünscht vom TV: Vor Landtagswahlen kein Talk mit den bewährten Moderatoren! Keine Runden, in denen sich in kontroversen Debatten erprobte politische Protagonisten im Wettbewerb gegenüberstehen. Beck wettert gegen seit Jahrzehnten („Elefantenrunden“) bewährte Debatten-Formate, die an Politik interessierten Bürgern helfen, aus der beobachteten Konfrontation der Positionen und der Persönlichkeiten ihre Schlüsse zu ziehen. 

Statt dessen will Kurt Beck, „dass zwei, drei Journalisten ein messerscharfes Interview mit einem Spitzenkandidaten führen.“

Bei allem Respekt. Dieser Blogger und um politische Information bemühte Sozialdemokrat beurteilt den Beitrag Becks als ganz unsinnige Vorgabe für politische Information im TV gerade vor Wahlen. Für dieses Urteil sprechen drei Gründe.

Erstens: Damit wird die politische Debatte unnötig fragmentiert. Nicht der Journalist, sondern der politische Kontrahent ist am besten geeignet, „messerscharf“ (Beck) die Schwächen in der gegnerischen Argumentation vorzuführen. Der streitige Talk der parteipolitischen Gegner ist das beste TV-Instrument, sofern intelligent moderiert, das bisher viele Bürger überzeugt hat. Der Kandidat oder die Kandidatin mit den besten Argumenten wird in Debatten gewinnen — durch den direkten Vergleich von Qualität der Argumente und der Persönlichkeit.

Zweitens: Das von Beck empfohlene TV-„Format“ — zwei Journalisten, ein Spitzenkandidat — gewinnt leicht den Charakter eines freundlich geführten Informationsgesprächs zur Selbstdarstellung des Kandidaten. Ein Beispiel dafür ist ein Interview mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer, das Journalisten von Phoenix-TV führten. *4)

Drittens: Die von Beck erwartete „messerscharfe“ Zerlegung einer Persönlichkeit durch Journalisten funktioniert nicht einmal in den USA. Geschweige denn in dem im Vergleich dazu eher „handzahmen“ deutschen TV-Journalismus.

Dies illustriert der Versuch der Redaktion (Editorial board) der Washington Post, im Gespräch am 21. März 2016 „messerscharf“ den Republikaner Donald Trump zu zerlegen. *5)

Natürlich schwadronierte der unbeeindruckt-gleichgültige Trump zum Fenster hinaus. Er redete, worüber er wollte. Hauptsache Trump, „the Donald“, stand im Mittelpunkt.

Kein Vergleich mit dem Ertrag einer Debatte, in der Trump und seine Positionen durch eine Persönlichkeit wie etwa Hillary Clinton konfrontiert worden wären. Da könnte Trump zwar auch schwadronieren, aber nicht allein und nicht die ganze Zeit. Und das überlegene Format der politischen Gegnerin würde dem Publikum sicher deutlich werden.

Welchen politischen Ertrag hatte nun der Versuch der Washington Post, Trump vorzuführen? Die Antwort gibt zwei Tage nach dem Gespräch die Washington Post selbst: „Mit jedem Tag, der vergeht, erscheint Donald Trump als stärkerer Kandidat, um die Nominierung (als Präsidentschaftskandidat) durch die Republikaner zu gewinnen.“ *6)

Aus den dargelegten Gründen wird hier Kurt Becks Vorschlag widersprochen, das Debatten-Format der Kandidatenrunden im TV vor Wahlen zu ändern.

Überdies sollte die Öffentlichkeit nach den üblen Erfahrungen mit der Intervention der CDU/CSU im öffentlichen TV (Fall Nikolaus Brender!) besonders wachsam sein.

Und Rat-Schläge durch mächtige Vorsitzende von TV-Aufsichtsgremien, die in die Programmarbeit hineinwirken sollen, zurückweisen. Denn die sind fast immer von engeren parteipolitischen Interessen motiviert.

Wir sind das TV-Publikum, wir sind die Zahler der Rundfunk-Gebühren, wir sind die Stakeholder des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ja, uns gehört das TV!

*1) 1 BvF 1/11 – Bundesverfassungsgericht. 25.03.2014 – Leitsätze. zum Urteil des Ersten Senats vom 25. März 2014. – 1 BvF 1/11 -. – 1 BvF 4/11 -. Die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG am Gebot der Vielfaltsicherung auszurichten. Danach sind Personen mit möglichst unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungshorizonten aus allen Bereichen des Gemeinwesens einzubeziehen.

https://www.bundesverfassungsgericht.de/…/2014/…/fs20140325_1bvf0…

*2) 25.03.2014. Urteil. ZDF muss Einfluss von Staat und Politik einschränken. Das Bundesverfassungsgericht hat den ZDF-Staatsvertrag in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt. Nun muss der Anteil von Politikern und „staatsnahen Personen“ reduziert werden. http://www.welt.de/126160875.

*3) Deutschland. Kurt Beck. „Der Hass erinnert an die späte Weimarer Republik“.
Der frühere Ministerpräsident Beck ist nur noch parteiischer Beobachter des Wahlkampfs. Warum er die Demokratie für bedroht und Talkshows mit der AfD für unsinnig hält. Von Monika Pilath. 11. März 2016. (Hervorhebungen RS).

*4) Phoenix-Länderforum Rheinland-Pfalz mit Malu Dreyer am 14.06.2015; https://www.youtube.com/watch?v=eXawXj1e-PI.

Veröffentlicht am 15.06.2015.

Seit Januar 2013 ist Malu Dreyer Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Als „überraschende Erbin“ wurde die SPD-Politikerin damals in den Medien bezeichnet. Nicht wenige waren irritiert, als Kurt Beck 2012 seinen Rücktritt bekannt gab und ausgerechnet von einer Frau abgelöst werden sollte, die an Multipler Sklerose leidet. Ein leichtes Erbe trat Dreyer auch politisch nicht an. Vor allem das verlustreiche Projekt um den Nürburgring ist aus der Ära ihres Vorgängers im Gedächtnis geblieben. Inzwischen ist ihre Krankheit nur noch selten Thema in der Öffentlichkeit. Mit Michaela Kolster und Michael Hirz spricht sie im Länderforum über Persönliches, ihre nächsten politischen Ziele in Rheinland-Pfalz und die Bundespolitik.

*5) PostPartisanOpinion. A transcript of Donald Trump’s meeting with The Washington Post editorial board. By Post Opinions Staff. March 21 (2016)

Republican presidential front-runner Donald Trump visited the editorial board of The Washington Post on Mar. 21. Here is audio of the full, unedited interview. (Gillian Brockell/The Washington Post)

*6) The Washington Post.The 5-Minute Fix: Have Republicans begun to accept the inevitable on Donald Trump? 2016-03-23. By Amber Phillips. With each passing day, Donald Trump appears to be a stronger candidate to win the Republican nomination.