Der Euro, nicht die Kanzlermehrheit, ist vorrangiges Zukunftsprojekt.

Die große Mehrheit des Deutschen Bundestages hat der Erweiterung des Europäischen Rettungsschirms zugestimmt. Der Präsident der „Frankfurt School of Finance and Management“, Professor Udo Steffens, bewertet dies so:

Die Bundesrepublik Deutschland, „das Ankerland in dieser krisenhaften Entwicklung“, habe eine „nationale Aufgabe“ wahrgenommen. Auch die Mehrheit der Opposition habe „zu Europa“ gestanden (dradio.de, Interview Dirk-Oliver Heckmann, 29.09.2011). Bei solch parlamentarischer Geschlossenheit kann man auch die Gewissensnot von MdB Bosbach respektieren, ohne rustikale Begleitmusik.

Es gibt schon gute Gründe, Herrn Bosbachs Überlegungen für verfehlt zu halten. Ebenso die bayerischer CSU-Größen, für die auch die Stunde schlagen wird. Das von Deutschland getragene Budgetrisiko von 210 Mrd. € ist sicher nicht gering zu reden. Aber für die kommenden Generationen ist die Bewahrung der Europäischen Währungsunion das vorrangige Zukunftsprojekt. Und eine ebenfalls ihrem Gewissen folgende große Mehrheit unserer Abgeordneten hat die Sorge der Kanzlerin ernst genommen: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“

Und dazu tobt Verdi-Chef Bsirske im Oktober-Cicero: „entfesselter Finanzkapitalismus“, und seine bohrende Frage: „Wer regiert und entscheidet tatsächlich – Banken oder Parlamente?“ Man muss es leider dem Oberheuchler immer wieder sagen: Vor allem und zuerst haben uns die von Verdi-Leuten und Politikern „kontrollierten“ Landesbanken reingeritten! Zuerst mit „Investition“ in US-Immobilien-Schrott und dann in Hellas – bei jedem Fiasko dabei! Und der Bundestag hat eindrucksvoll entschieden, nicht die Banken!

Kehren wir aus Gründen der Diskurs-Hygiene zum Sachverständigen zurück. Professor Steffens erinnert uns an die unheilvolle Sequenz: Platzen der US-Immobilienblase -Bankenkrise – Wirtschaftskrise – Staatsschuldenkrise – europäische Krise der Banken, Versicherungen und der  Rückversicherungen. Das gefährdet Geldvermögen der Bürger. Herr Steffens urteilt: Es könne „nicht in unserem nationalen und auch nicht in unserem europäischen Interesse sein“, dass mit den „Banken … eine wesentliche Infrastruktur moderner Gesellschaften zusammenbricht.“

Dem gewerkschaftlichen oder politischen Getöse hält Professor Steffens entgegen: „Man kann den Banken jetzt nicht wirklich vorwerfen, dass sie ihre vornehmste Aufgabe, nämlich die Staatenrefinanzierung, wahrgenommen haben.“ Leuchtet ein; primär liegt die Verantwortung für die öffentlichen Finanzen bei den Staaten. Allerdings sollten Banken für Risiken von Investitionen in Staatspapiere vollständig haften, wenn sie um deren Solvenzprobleme wissen mussten und im Vertrauen auf Garantie durch Staat und Steuerzahler billig am Sekundärmarkt kauften.

Professor Steffens fordert für Finanzmarktstabilität, „dass die Banken nicht die Politik .. zum Gefangenen nehmen“. Und „die Politik muss glaubhaft darlegen, dass sie von dieser Droge des immer weiteren Schuldenmachens zumindest perspektivisch“ ablässt. Und damit ist das Programm für Hellas definiert. Knapp die Kanzlerin: „Konditionalität und Solidarität – zwei Seiten einer Medaille.“

Es bleibt abzuwarten, ob das Programm für Hellas den Bedenken des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, hinreichend Rechnung trägt. Herr Weidmann sieht wohl im Beschwören der „Solidarität“ die Gefahr „gemeinschaftlicher Haftung und geringerer Disziplinierung durch die Kapitalmärkte, ohne dass im Gegenzug die Kontroll- und Einflussmöglichkeiten auf die nationalen Finanzpolitiken spürbar verstärkt werden.“ (Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags am 19. September 2011). Also: Konditionalität stärken, Einspar- und Reformzusagen prüfen. Langfristige Aufgabe für IWF-EU-EZB-Troika.

Leider trägt in dieser Lage wieder das schon sattsam bekannte Wechselspiel von Medien und Wissenschaftlern zur Verwirrung der Öffentlichkeit bei: „Der Wirtschaftsweise Bofinger spricht sich für einen Schuldenschnitt Griechenlands aus“ heißt es, und alle Weisen und Narren halten da mit. Fast so laut wie die Demonstranten in Hellas, die sich schon die Touristen aufs Korn genommen haben, vorzugsweise „deutsche Finanz-Nazis“.

Bis schließlich die Kanzlerin eingreift und auf die Gefahr der „Ansteckung“ verweist: „Das Wort Schuldenschnitt alleine sagt sich leicht“. Und dann hören wir: Schuldenschnitt – „habe ich nie gesagt“ oder „habe ich so (!!) nicht gesagt“. Wer kennt dies nicht schon aus dem täglichen Berufsleben! Und siehe da – Professor Bofinger: „Die Kanzlerin hat völlig recht. Ich sage mal …..“ (dradio.de, Interview Peter Kapern, 26.09. 2011). Künftig suche ich zu allererst, was die Persönlichkeiten sagen, die Verantwortung tragen.

Finanzminister Evangelos Venizelos trägt schwere Verantwortung: „Wir werden alles tun, ohne an politische Kosten zu denken – damit wir im Euroland bleiben können … Ja, wir brauchen neue Sparmaßnahmen. Wegen der Rezession, wegen der schwierigen Situation und wegen der Schwäche der Regierung, die nicht die verlangten Ergebnisse erzielt hat“ (bild.de). Ich möchte dieser griechischen Regierung vertrauen. Und vor allem dem Verstand der Hellenen selbst. Die randalierenden kommunistischen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes (Pame) mögen schon mal bei ihren russischen Freunden anfragen, wie es dort Anfang der 1990er Jahre zuging. Dann bekommen sie einen Eindruck, was auf sie zukommt, wenn sie dem „Euro-Faschismus“ sagen: αντίο.

Herr Uwe Angenendt, Chefvolkswirt der BHF-Bank, spricht sich gegen einen Schuldenschnitt aus (dradio.de, Brigitte Scholtes, Szenarien für eine Insolvenz Griechenlands, 4.10.2011). Wohl auch mit dem Interesse der Banken und der Sorge vor „Ansteckungsgefahr“ im Blick. Der in Finanzdingen nicht sachkundige Bürger fragt sich ohnehin, welches Schuldnerland Europas denn überhaupt so blöd wäre, nach der Schulden-Fiesta das schwere Tilgen zu tragen, wenn Krawall schon zum „Schnitt“ führen würde.

Dann beschreibt Herr Angenendt sein optimistisches Szenario: „Mein Weg wäre, Griechenland in Quarantäne zu packen, voll durchzufinanzieren aus dem EFSF, und dann über viele Jahre, zehn, zwanzig Jahre, Strukturreformen in diesem Land zu erzwingen, die dann langfristig dazu führen, dass wir da wieder eine ordentliche wirtschaftliche Entwicklung bekommen. Und wir kennen das ja mit Ostdeutschland, da ist es uns auch schon einmal gelungen.“ Wenn die Mehrheit der Hellenen zur Vernunft kommt, könnten sich dafür auch politische Partner finden …

Abschließend zwei alternative Sichtweisen auf die Zukunft:

Der Historiker Professor Voth meldet sich im englischen Spiegel mit für Hellas „Brüningesque dimensions“ des Zusammenbruchs zu Wort (spiegel.de/ international, 31.08.2011). Dem Euro gibt er noch 5 Jahre.

Die alternative Sicht fragt: Können wir darauf setzen, dass die Regierungen der Euro-Länder an den Programmen zur Reduzierung staatlicher Verschuldung und an Reformen zur Verbesserung wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit festhalten? Wenn das der Fall ist, sagt uns Klaus Regling, Geschäftsführer des EFSF, etwas ganz anderes als Herr Voth: „Es gibt gute Gründe zu hoffen, dass die Krise in zwei bis drei Jahren vorbei ist“ (spiegel.de/international, Christian Reiermann, 30.08. 2011, Interview, Übersetzung RS).

Zwei Einschätzungen – aber ich vertraue dem als „uneitel“ beschriebenen Finanzfachmann Regling, der Vernunft der Regierungen und vor allem der Vernunft der Bürgermehrheit im Euro-Raum. Wait and see!