Roma und Europäische Sozialunion.

Wenn Nachrichten über das größte soziale Elend in Europa uns erreichen, dann erinnern wir uns der Worte unseres DGB-Vorsitzenden Michael Sommer über „Gerechtigkeit im Sozialen Europa“. Dann also suchen wir im Web Orientierung beim DGB oder beim EGB. Dort finden wir schnell das Wort „Roma“. Als Zielort für Reisen oder Kongresse!

11 bis 12 Millionen Roma leben als sesshafte Staatsbürger in Europa, 6 bis 7 Millionen in der Europäischen Union. Diese Zahlen sind wichtig, um unbestreitbare Randerscheinungen einzuordnen, statt zu skandalisieren.

Unter dem „Sammel-Begriff“ Roma werden von Sachkennern Roma, Sinti, „Ägypter“, Ashkali, Kalé, Traveller unterschieden. Die Heterogenität dieser größten Minderheit Europas ist zu respektieren. Von diesen Menschen hervorgebrachte Leistungen als Handwerker, Künstler, Wissenschaftler sowie Leistungen in vielen anderen Berufszweigen sind zu würdigen.

Diese Menschen und Staatsbürger leben in Europa, aber überwiegend am Rande ihrer Gesellschaften. Diskriminiert im Zugang zu Arbeit, Bildung, Wohnraum, Gesundheitsdiensten. Das Ausmaß ihrer Ausgrenzung in Europa und der EU angemessen zu beschreiben, ist hier nicht möglich. Nur ein Satz: „Im Durchschnitt leben Roma 10 bis 15 Jahre weniger als andere“ (James D. Wolfenson, George Soros, Roma People in an Expanding Europe).

Mindestens die Hälfte der Roma ist jünger als 20 Jahre. In einigen Ländern Europas hätte ihre Integration nach Berechnungen der Weltbank ökonomische Vorteile von etwa 500 Mio. € pro Jahr durch verbesserte Produktivität, verringerte Sozialausgaben und erhöhte Steuereinnahmen (europa.eu/…, IP/11/400, Strasbourg, 5. April 2011).

Solche Integrationsgewinne und dann aber ausgegrenzt vom Zugang zu Arbeit? Das muss Thema der Gewerkschaften in ihrem Kampf für soziale Gerechtigkeit in Europa sein!

Annelie Buntenbach, DGB-Vorstand und als Vorsitzende des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit mit den Möglichkeiten des Zugangs zu Arbeit bestens vertraut, macht Hoffnung für die Roma: „Soziale Rechte, sozialer Zusammenhalt und der soziale Dialog – sind die Kernelemente des ´Europäischen Sozialmodells`… Für die Gewerkschaften bilden diese Werte die Grundvoraussetzung für die Unterstützung der europäischen Integration.“ (Interview, 16.5.2011, EGB-Kongress in Athen).

Noch gewichtiger sind die richtungweisenden Festlegungen auf europäische Solidarität mit den Schwachen und Benachteiligten durch den DGB-Vorsitzenden.

In einer bedeutenden Rede auf dem 1. Parlamentariertag der Linken (27. Februar 2011) holt er zunächst weit aus.

Er redet vom „staatsmonopolistischen Kapitalismus“, von der „alten Gramschithese“ (so protokollierte die Linke! Rührend das genügsame deutsch-kommunistische Eigengewächs; nie von dieser Ikone des Euro-Kommunismus, Antonio Gramsci, gehört?)

Michael Sommer beschreibt, wie er in der Krise 2008-2009 „gegen den Mainstream Konjunkturprogramme durchgebracht“ (bitte, nicht gehässig interpretieren!) hat. Wie er „gegen den Mainstream in SPD und CDU die Abwrackprämie durchgesetzt … die Kurzarbeit als Mittel genutzt“ hat. Olaf Scholz und Peer Steinbrück sind mir entfallen, so fesselt mich Sommers Würdigung seiner eigenen Leistung in der Krise, als er sagt, „dass wir stolz sind und ich auch stolz durch die Gegend gehe“. Natürlich habe ich höchste Achtung vor der tarifpolitischen Zurückhaltung der Gewerkschaften und der Arbeitnehmer in ihrer Gesamtheit; auch der maßvollen Lohnentwicklung verdanken wir unsere stabile Wirtschaftslage.

Doch mit vertiefter Lektüre der Rede ahne ich, dass Herr Sommer zum Thema Roma kommen wird. Er denkt an seine Jugendzeit, an „dieses Lied von Franz Josef Degenhardt, wo er sang: ´Der Arbeiter 2000 wird ein Nomade sein`.“  Und weiter: „Da ist es wichtig, dass man auch programmatisch in Gewerkschaften Minderheiten mit betrachtet …“. Und deshalb sein Credo „Europa wird sozial sein, oder gar nicht sein“ (St. Klecha, Europas Sozialpolitik …, FES-WISO, Bonn 2007, S. 5). Zu beachten ist die „empirische Relevanz“, die Klecha diesen „in Anlehnung an Kurt Schumacher gewählten pathetische(n) Worten des DGB-Vorsitzenden Michael Sommer“ beimisst.

Was Frau Buntenbach und Herr Sommer zum „Sozialen Europa“ sagen, muss die Roma aufhorchen lassen; das kann nicht bloß große Spur und hohles Pathos sein! Jetzt sucht das für die Roma engagierte Gewerkschaftsmitglied den Beleg … und findet.

Bei Annelie Buntenbach: „Um was geht es wirklich: Am 1. Mai 2011 fielen die letzten Schranken, die den freien Zugang … auf den Arbeitsmärkten aller Mitgliedstaaten blockierten. … Wir brauchen in Europa dringend gleichen Lohn und gleiche Rechte.“ Bei Michael Sommer: „Mein Baby ist schlicht und ergreifend …, die Absicht ´gleicher Lohn für gleiche Arbeit`… im Bundesgesetzblatt zu sehen.“

Nur so kann weiterhin die Arbeitsmarkt-Blockade, die Abschottung, die Ausgrenzung zum Schutz der organisierten „Insider“ gegen die Außenseiter des Arbeitsmarktes funktionieren. Da ist endlich die Katze aus dem Sack! Der DGB-Vorsitzende: „Wir sind Interessenvertretung“. Das ist in Ordnung. Dafür zahlen die Mitglieder. Aber dann redet doch wie Interessenvertreter. Und nicht wie Gralshüter des sozialen Europa! Wir zahlenden Gewerkschaftsmitglieder legen keinen Wert auf große Spur und hohles Pathos. Wir wollen, dass Anspruch und Wirklichkeit bei DGB und EGB halbwegs übereinstimmen. Sonst enden unsere Organisationen im Kabarett.

Die Dekade der Roma-Inklusion 2005 bis 2015 hat gezeigt, dass die Roma bedeutende Freunde und Förderer haben. Das große Engagement von Günter Grass ist zu nennen. Die internationalen Institutionen – UNDP, Weltbank, EU, Europarat – und viele politische und zivilgesellschaftliche Initiativen.

Und immer wieder hören wir, so bei den Übergriffen Sarkozys, eindringliche Stimmen, „gegen das tief verwurzelte Vorurteil, das den europäischen Diskurs vergiftet und die europäischen Werte untergräbt.“ (James A. Goldston, Roma and the E.U., NYT, 15. Sept. 2010, Übersetzung RS). Ja, hören wir ruhig mal auf Stimmen aus Amerika. Auf das so gern anklagend von den Phraseologen der Gerechtigkeit gezeigt wird. Dorthin sind nicht wenige Tausend Roma ausgewandert.

Was würde ein Kopf wie Bill Clinton zur Groß-Rhetorik über das soziale Europa und die Sozialunion sagen? It´s the Roma People, stupid!