“Der“ Varoufakis.

Auf bekannte, oft benannte und belegte Missstände im Staate Hellas angesprochen *1), mahnte Yanis Varoufakis, Verallgemeinerungen zu vermeiden. Es gäbe nicht „die“ Griechen, nicht „die“ Deutschen … Aber es gibt „den“ Varoufakis. Oder nicht?

Stephan Klapproth hat uns durch das meisterlich geführte Gespräch „den“ Varoufakis vermittelt — partiell allerdings.

Als „libertärer Marxist“ überragt Varoufakis die Vertreter der europäischen Linken. Durch Bildung, Wissen, Eleganz und Kunst der Debatte.

Einige Momente der „Sternstunde“, die Varoufakis zu danken sind:

• Varoufakis zitiert den liberalen Nobelpreisträger für Ökonomie Friedrich von Hayek: Sozialisten hätten zur Verwirklichung des Sozialismus im 20. Jahrhundert Praktiken angewandt, die kein Sozialist akzeptieren könne. Varoufakis dazu: „Ich trage die Schuld des Gulag in mir … Aber auch kein Christ muss sich ständig für die Spanische Inquisition entschuldigen.“

• „Vernunft wird irrational, wenn man sie von der Ethik abspaltet“ (Varoufakis).

• Churchill habe zur Staatsform festgestellt, dass etwas Besseres als die Demokratie nicht bekannt sei. Aber über den Kapitalismus habe er dies nicht gesagt.

• Freiheit sei für Varoufakis der wichtigste Wert. Der Kapitalismus habe uns von der feudalen Abhängigkeit befreit und Kräfte der Innovation freigesetzt. Aber die Übergriffe des Ökonomischen, der Kategorie des Preises statt des Lebenswertes, in den gesellschaftlichen Bereich habe die Arbeiter entfremdet.

• Wir können über die Fehler Griechenlands diskutieren. Aber: Dürfte ich einen Vorschlag machen, dass wir Verallgemeinerungen vermeiden. Auf „die“ Griechen sind … folgt „die“ Deutschen sind … Dies verletzt die Würde der Nationalstaaten und endet in europäischer Desintegration. „Kein moralisierender Finger! Der gehört abgehackt!“ Diese Bemerkungen waren nicht nur angemessen, sondern auch — Debatte um den Varoufakis-Finger in Deutschland — hohe Schule der Ironie.

• Wir brauchen Wachstum und Investition. Sie können weder Unternehmen noch einen Staat reformieren, ohne zu investieren. „Nur Investition schafft Hoffnung!“ (Varoufakis).

Jedoch wurde „der“ Varoufakis dieser ausgewählten Momente der „Sternstunde“ zum Irrlicht, wenn Stephan Klapproth ihn beim Wort nahm: „Wir können über die Fehler Griechenlands diskutieren.“

Und erst recht irrlichterte Varoufakis, wenn es um Episoden seiner Amtsführung als Finanzminister ging, um die Troika *2) und die Verhandlungen mit Hellas über Kredit für Wachstum und Reformen in Griechenland.

Varoufakis behauptete: Ich bin überzeugter Europäer … Aber die Interessen der Bürokratie in der EU-Kommission und in der EZB treiben Europa auseinander … Jene, die wollen, dass Berlin über Paris dominiert, die EU-Mitglieder unterdrücken, zerstören Europa.

Und dann krönte Varoufakis seine Positionen zu den Troika-Hellas-Verhandlungen, die ihn zum Rücktritt als Finanzminister brachten, mit dem anmaßenden Anspruch: „Es ist Zeit, der Wahrheit eine Chance zu geben.“ Da blitzt Erinnerung auf an ein großes Buch der Professoren Heinz von Foerster und Bernhard Pörksen: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. *3)

Und „der“ Varoufakis bedeutender Momente im Sternstunden-Gespräch tritt zurück hinter das Bild eines irrlichternden Politik-Demagogen, der das in Jahrzehnten von großen Staatsmännern aufgebaute Europa zerstören würde. Hätten er und die Links-Parteien Europas denn die Macht dazu.

*1) TV-Moderator Stephan Klapproth im Gespräch mit Professor Dr. Yanis Varoufakis. 3sat — Sternstunde Philosophie am 21.02.2016.

*2) Die Troika bestand aus den Vertretern der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des internationalen Währungsfonds.

*3) Heinz von Foerster, Bernhard Pörksen, Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker. Heidelberg 1998.