Deutschlandbild.

Bundeskanzlerin Merkel hatte Anfang September 2015 ohne Absprache mit europäischen Nachbarn, geschweige denn mit den Bundesländern und Gemeinden, aus „ihrem Herzen“ heraus die Willkommenskultur für Flüchtlinge als Richtlinie der Bundesregierung verkündet.

Die deutsche Bundeskanzlerin war weltweit mit Flüchtlingen auf Handy-Selfies zu sehen. Namhafte Wissenschaftler und Kritiker dieser Politik machten Merkel für die krisenhaften Folgen solch grotesker Gesten verantwortlich.

Schlepper leiteten auch unbegleitete Minderjährige (unter 18 Jahren) nach Deutschland. Die sollen dann den Nachzug der Eltern ermöglichen, die sonst wohl kein Aufenthaltsrecht in Deutschland hätten. Etwa 70 Tausend „UMFs“, Abkürzung für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge, werden derzeit von Jugendämtern betreut. *1)

Gestern beschloss der Bundestag mit der Mehrheit der Parteien der Großen Koalition (GroKo) Korrekturen der Flüchtlingspolitik: „dieses furchtbare Asylpaket II, das so ungefähr das Gegenteil ist von der Willkommenskultur des Jahres 2015 … Menschenfeindlichkeit (attestieren) die Kirchen und Hilfsorganisationen diesem Asylpaket II“. *2) Weil damit z.B. der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt und Abschiebungen erleichtert werden können.

Und schon beklagte die Erfinderin des „Septembermärchens 2015″, MdB Katrin Göring-Eckardt, gestern im Bundestag: „Was sagt der 14-Jährige zu seiner Mutter am Telefon?“ Manch fassungsloser Bürger hat dazu eine ganz andere Frage: „Was sind das für Eltern, die ein minderjähriges Kind allein auf eine lebensgefährliche Reise schicken?“

Nun hat die, nicht zuletzt durch die Kanzlerin mitverursachte, Flüchtlingskrise in Deutschland Ausmaße angenommen, die unsere gesellschaftlichen und politischen Traditionen als weltoffenes Land erschüttern.

Die Bundesregierung fordert in dieser Lage europäische Solidarität. Unsere östlichen EU-Nachbarn, die zur deutschen Willkommenskultur nicht befragt wurden, sehen dazu wenig Anlass. Sie empfinden den deutschen Ruf nach Solidarität in der Flüchtlingskrise inzwischen so: „schroff, grob und aggressiv“ sei der Ton aus Deutschland. *3)

So lasen wir es gestern erst vom ungarischen Premierminister Victor Orbán. Hat er unrecht? Wohl leider nicht!

Nehmen wir nur den Ton, den Martin Schulz, sozialdemokratischer Präsident des EU-Parlaments, gegenüber gewählten Regierungen östlicher Nachbarländer angeschlagen hat:

„Putinisierung der europäischen Politik“; „rechtspopulistische Parteien“, von denen der Zerfall der EU drohe; dem Ergebnis der Wahl in Polen und ersten, sicher umstrittenen Maßnahmen bescheinigte Schulz vorschnell „Staatsstreichcharakter“. *4)

Weil europäische Nachbarn nicht deutscher Flüchtlingspolitik folgen wollen, warnt Schulz vor deren Nationalismus: „Manche in Europa versuchen auf ein globales Problem nicht gemeinsam als Ganzes zu antworten, sondern sich auf nationale Lösungen zurückzuziehen“. *5)

Und die absurdeste Behauptung, die sich Schulz gegenüber den EU-Nachbarn leistet: Die seien wohl gegen Deutschland von Rache getrieben! Die Ablehnung deutscher Flüchtlingspolitik sei nämlich die Quittung („Payback-Time“, so Schulz) für Finanzminister Schäubles Beharren auf dem EURO-Stabilitäts- und Wachstumspakt. Etwa bei den Verhandlungen von EU-Kommission, IWF, EZB und der Euro-Gruppe mit Griechenland über weitere Kredite für Reformen. Damit Hellas in der EURO-Zone bleiben kann. *6)

Victor Orbán und sein Politikstil mögen uns missfallen. Aber in der Ablehnung solch deutscher Tonart hat er nicht durchweg unrecht.

Gewiss sind in dem europäischen Staatenverbund EU demokratische Werte und die demokratische Verfassung der Mitgliedsländer gemeinsame Anliegen und damit auch Gegenstand des europäischen politischen Dialogs.

Leider scheint jedoch die behutsame, auf europäischen Konsens gerichtete Verhandlungs- und Dialogmethode des „Gründervaters“ der Europäischen Gemeinschaften, Jean Monnet, gelegentlich außer Gebrauch zu kommen.

Öffentliche Kritik in der Form wie sie z. B. von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz vorgebracht und von unseren östlichen Nachbarn vielfach als beleidigend empfunden wird, bringt in der EU nichts, nada, null!

Fassen wir zusammen:

Bei uns beklagen wegen des GroKo-Asylpakets II Kirchen, Caritas, Diakonie, Jesuiten-Flüchtlingsdienst, Amnesty International, Deutsches Institut für Menschenrechte, Arbeiterwohlfahrt, Paritätischer Gesamtverband usw. „Menschenfeindlichkeit“ als Element des Deutschlandbildes! *2)

Östliche EU-Nachbarn mögen — wie Ministerpräsident Orbán — den deutschen Ruf nach Solidarhilfe und die teilweise damit verbundene Tonart als „schroff, grob und aggressiv“ empfinden. *3)

So hat die Flüchtlingskrise das Deutschlandbild bereits beschädigt.

*1) ZEITGESCHEHEN. MINDERJÄHRIGE FLÜCHTLINGE. Die Ärmsten und die Schlimmsten. Von Mariam Lau. 14. Februar 2016, http://www.zeit.de/2016/07/minderjaehrige-fluechtlinge-familiennachzug.

*2) DEUTSCHLAND. Kommentar: Vielsagend schweigen. Marko Langer, 25.02.2016; http://dw.com/p/1I1cp.

*3) Siehe den BILD-Titel „Der Ton aus Deutschland ist schroff, grob, aggressiv“. BILD-Interview mit Ungarns Premierminister Victor Orbán. 25.02.2016.

*4) Martin Schulz zu Polen. „Das ist gelenkte Demokratie nach Putins Art“. 09.01.2016, von Thomas Gutschker, faz.net.

*5) DTS-Meldung vom 21.12.2015, Schulz warnt vor Nationalismus in der Flüchtlingspolitik.

*6) 30. November 2015, EU-Parlament. Zoff um Martin Schulz. Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber, wirft dem Parlamentspräsidenten vor, „den Spaltpilz zu säen“. Von Robert Roßmann; http://www.sueddeutsche.de/politik/eu-parlament-zoff-um-martin-schulz-1.2761056