Der Wert der Freiheit …

 

… zeigte sich vor drei Jahrzehnten bei der Wahl am 18. März 1990 zur DDR-Volkskammer. Bevor das 30. Jahr der deutschen Wiedervereinigung endet, soll dieser Tag erinnert werden.

1. 18. März 1990: Wahl für die Freiheit.

An diesem Tag konnten die Menschen in der DDR erstmals wieder wählen: „in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl“. Nach dem Grundsatz für “faire und freie“ Wahlen, wie ihn Artikel 38 (1) unseres Grundgesetzes festlegt.

93,4 Prozent der Wahlberechtigten wählten mit gut 75 Prozent die Freiheit. Durch die Entscheidung für Parteien, mit denen die DDR-SED-Diktatur beendet und Deutschland vereint werden konnte. *1)

Der 18. März 1990: Ein Tag bleibend erinnerter Würde als Sternstunde der deutschen Geschichte.

2. Otto Schilys Bananen-Kommentar.

Den Spitzenpolitiker Otto Schily (Grüner bis November 1989, dann Sozialdemokrat) mag der 47 %-Wahlsieg für die ostdeutschen Christ-Parteien (CDU, DSU) verärgert haben. Deshalb glaubte er wohl, das historische Wählervotum für die Freiheit auf seine Weise kommentieren zu müssen: Er hielt eine mitgebrachte Banane in die TV-Kameras. Mit dieser vorbereiteten und damit bewusst herabsetzenden Geste unterstellte er den ostdeutschen Wählerinnen und Wählern als entscheidendes Wahlmotiv, endlich Bananen kaufen zu können.

3. Bewertung des “Bananen-Wahlmotivs“ (Schily).

Selbst wenn Schilys Bananen-Meinung über die ostdeutsche Wählerschaft und ihre Entscheidung vom 18. März 1990 zuträfe, so zeigte dieser Tag dennoch eine große, historische Entscheidung für die Freiheit.

Die Rechte der Freiheit sind Teil der Grundrechte, die durch unsere Verfassung geschützt sind. *2) Freiheit umfasst nicht nur das Recht auf hohe Phrasen aller politischen Couleur oder auf Schilys Bananen-Kommentar zur ersten freien Wahl für die DDR-Bürger.

Freiheit ist auch als freie Konsumwahl ein hohes Gut. Die freie Konsumwahl schätzte auch die DDR-SED-Führung in ihrem abgeschotteten Refugium Wandlitz: für günstigsten Einkauf mit DDR-Mark im wohlgefüllten Warensortiment des dortigen “Supermarkts“. Auch dicke Bananenbündel fehlten bekanntlich nicht.

Solch` privilegierten Zugang zu Waren (und auch zu Bananen) hatten die Bürgerinnen und Bürger der DDR nicht, noch schlechter war die Versorgungslage für die unterdrückten Menschen in den übrigen “sozialistischen“ Ostblockstaaten.

Rumänien litt am schlimmsten unter Entbehrungen, auferlegt von der brutalen Diktatur Nicolae Ceausescus, der mit seiner Ehefrau nach der von Gruppen des Machtapparates gesteuerten “Revolution“ am Weihnachtstag des 25. Dezember 1989 hingerichtet wurde.

Was sozialistische Zwangs- und Mangelwirtschaft mit den Menschen macht, konnte ich Anfang 1990 auf einer Dienstreise nach Rumänien begreifen. Die Reise hatte den Zweck, nach der politischen Wende rumänische Partner für soziale Demokratie zu gewinnen.

Zurück in Bonn waren Berichte und Analysen zu schreiben. Aus einem Brief-Bericht vom 16. März 1990, zwei Tage vor Schilys Bananen-Auftritt, sei hier auszugsweise zitiert: *3)

„Der von Ihnen über die Deutsche Botschaft Bukarest übermittelten Bitte um dringenden Kontakt mit Professor G. T. bin ich mit folgendem Resultat nachgekommen. Durch Hilfe eines Journalisten fanden wir den sympathischen alten Herrn auf der Zuschauertribüne des Parlaments. … Sein Anliegen an die SPD kleidete er in folgende Worte: ´Diese herrliche Revolution hat mir eine zweite Jugend beschert. Diese Kraft möchte ich einsetzen, der SPD, insbesondere Herrn Vogel, Bericht zu erstatten über mein Land. Welche Freude würde es mir bereiten, Deutschland wiederzusehen. Diese Weine, diese wunderbaren Käse, lieber Herr!` An dieser Stelle übermannte den Professor die Erinnerung. Nur mühsam konnte ich Abschied nehmen von Professor G.T.“

Auch in Rumänien, ähnlich wie in der DDR, war die Idee der Freiheit mit dem Wunsch nach lange entbehrten Lebensmitteln verbunden. Doch selbst in der Ausprägung scheinbar kleiner Münze von Konsumfreiheit und dem Wunsch nach Bananen, Käse oder Wein steht der Wert der Freiheit als Menschenrecht hoch über den Phrasen von Sozialismus, Gleichheit etc., mit denen die Einparteien-Herrschaft der Ostblock-Länder ihre Privilegien bei gleichzeitiger Unterdrückung der Völker rechtfertigte.

4. Urteil über Schilys Bananen-Kommentar.

Die Wahl des 18. März 1990 zur Volkskammer der DDR bleibt auch im Rückblick nach drei Jahrzehnten eine Sternstunde deutscher Geschichte! Denn die mit 93,4 Prozent „einmalig hohe Wahlbeteiligung, die es weder davor noch danach jemals bei einer freien Parlamentswahl in Deutschland gegeben hat, … (strafte) all diejenigen Lügen, die behaupten, die Wiedervereinigung sei ein ´kalter Anschluss der DDR` gewesen.“ *4)

Ob Otto Schily bei seiner Bananen-Geste im TV vom 18. März 1990 Hungerjahre der Nachkriegszeit oder den Anstand vergessen hatte, sei dahingestellt.

Schilys Bananen-Geste zu der historischen Wahl des 18. März 1990 ist einzuordnen in das mittlerweile häufiger in Deutschland erlebte politische Schema von unerträglicher Beleidigung und nachträglicher Entschuldigung.

Schily hat nicht nur die freiheitsliebende ostdeutsche Wählerschaft am 18. März 1990 beleidigt. Schily hat die bleibend erinnerte Würde des 18. März 1990 verletzt.

Eine niederträchtige Haltung des Spitzenpolitikers Schily zu dem Wert der Freiheit.

*1) 18. März 1990: Erste freie Volkskammerwahl. Politik / Hintergrund aktuell / März 2010 / Erste freie Volkskammerwahl (17.03.2010). Vor 20 Jahren durften die Menschen in der DDR zum ersten Mal die Abgeordneten der Volkskammer frei wählen. Der Tag markierte das Ende der SED-Herrschaft und war ein wichtiger Schritt zur Wiedervereinigung; https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/69143/erste-freie-volkskammerwahl-17-03-2010

*2) Siehe: Model, Creifelds, Lichtenberger. Staatsbürger-Taschenbuch. Sechsundzwanzigste, neubearbeitete Auflage, München 1992: Kapitel D. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. I. Verfassungsgrundsätze. Grundrechte. 46. Die Grundrechte im Allgemeinen. 47. Die Freiheitsrechte (Beispiele: Freie Entfaltung der Persönlichkeit und persönliche Freiheit; Freie Meinungsäußerung; Freiheit von Kunst und Wissenschaft; Versammlungsfreiheit; Koalitionsfreiheit; Freizügigkeit im Bundesgebiet; Freie Berufswahl).

*3) Reinhold Sohns, Brief vom 16. März 1990. Auftraggeber und Adressaten sind nach über 30 Jahren hier nicht zu benennen. (Zum kulturellen Hintergrund von Herrn Professor G. T. nach dessen Angaben: „Philosoph, Altphilologe, korrespondierendes Mitglied der Akademie von Córdoba, der Grillparzer-Gesellschaft, der Theodor-Storm-Gesellschaft, Goethe-Forscher.“ (RS: Bei meiner nächsten Reise nach Bukarest 1990 konnte ich ein persönlich-privat zusammengestelltes Päckchen in der Wohnung von Prof. G. T. für ihn übergeben.)

*4) Siehe die beeindruckende Analyse zu dieser “Schicksalswahl“ von Sabine Drewes. “18. März 1990: Nein, es war nicht Schilys Banane!“ Publiziert am 18.03.2020; https://www.achgut.comartikel18._maerz_1990_nein_es_war_nicht_schilys_banane