Dünkel oder Respekt?

 

Diese Frage wirft derzeit das Verhalten Dr. Robert Habecks, Stellvertreter des Bundeskanzlers und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, gegenüber der Öffentlichkeit auf.

Nicht zum ersten Mal übrigens:

Bei einer Pressekonferenz in Berlin am 07.06.2021 habe Habeck das schwache Abschneiden der Grünen (5,9 %) bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt mit “Unzulänglichkeiten der letzten Wochen“ erklärt. *1)

Ein Journalist der Nachrichtenagentur Reuters fragte Habeck, was genau er denn mit dem Begriff “Unzulänglichkeiten“ gemeint habe. Darauf folgender Wortwechsel (wörtlich nach der Quelle *1) zitiert): „´Sie dürfen gerne spekulieren`, antwortete Habeck zunächst süffisant lächelnd. Der Journalist .. blieb hartnäckig: Spekulieren sei nicht seine Aufgabe, vielmehr sei es Habecks Job, zu erklären, was er denn meint.“ *1)

Habeck wird mit “Unzulänglichkeiten“ gemeint haben: die geballte Medienkritik an der geschönten Selbstdarstellung im Lebenslauf der Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, sowie Baerbocks Versäumnisse gegenüber der Verwaltung des Deutschen Bundestages, ihre Nebeneinkünfte korrekt anzugeben. Dazu gehörte auch ein Corona-Bonus in Höhe von 1500 Euro aus Parteimitteln der Grünen.

Die Presse musste dem langjährigen (seit 2013) MdB Annalena Baerbock erklären:

„Artikel 38 Grundgesetz bestimmt, dass Abgeordnete ´Vertreter des ganzen Volkes` sind, aber gerade nicht Vertreter einer Partei. Entsprechend handelt es sich bei den Sonderzahlungen für ihre Parteidienste als Vorsitzende durchaus um ´Einnahmen von Dritten`“. „Die Bundestagsverwaltung aktualisiert die Angaben zu Nebeneinkünften auf der Webseite. Frau Baerbock hat nichts ´selbst öffentlich gemacht`. Im Gegenteil. Sie hat, trotz Twitter-Account, MdB-Büro und Grünen-Pressestelle dazu nichts von sich aus mitgeteilt. Es bleibt der schlechte Eindruck, sie habe gehofft, es merke keiner.“ *2)

Habeck und die übrigen Mitglieder des Bundesvorstands der Grünen (MdBs!), die sich ebenfalls 2020 Corona-Boni in Höhe von 1500 Euro/Person aus der Parteikasse genehmigt hätten, fielen angesichts der Attacken auf Kanzlerkandidatin Baerbock nicht weiter auf.

Erst Strafanzeigen empörter Bürger haben im deutschen Rechtsstaat nunmehr die Staatsanwaltschaft Berlin verpflichtet, Ermittlungen gegen den gesamten Bundesvorstand der Grünen wegen des Anfangsverdachts der “Untreue“ einzuleiten. Denn die an sich selbst ausgezahlten Corona-Boni in Höhe von 1500 Euro/Person waren offenbar gesetzwidrig, wie Rechnungsprüfer der Grünen selbst festgestellt hätten.

Gewiss ist dem Führungspersonal der Grünen, auf das sich die staatsanwaltliche Ermittlung bezieht, keine Geldgier zu unterstellen, zumal die unberechtigten Coronaboni zurückgezahlt worden seien.

Der Vorgang mag Staatsbürger jedoch aus drei Gründen beschäftigen:

  1. Die Grünen sind bekannt für Ihre Vorliebe, sich auf dem “moral highground“ zu positionieren; deshalb müssen sie sich die Frage nach ihrem Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit gefallen lassen.
  2. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft richten sich gegen derzeitige MdBs der Grünen, darunter Vizekanzler Habeck und Außenministerin Baerbock. Das schmälert das ohnehin gefährlich geringe Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die politische Führung Deutschlands: Laut Umfrage der Körber-Stiftung vertrauen nur 50 Prozent der Deutschen der Demokratie, 30 Prozent vertrauen ihr weniger bis gar nicht. Lediglich 32 Prozent setzen Vertrauen in Bundestag und Bundesregierung, nur 20 Prozent vertrauen den Parteien. *3)
  3. Die Höhe der selbstgewährten Corona-Boni von 1500 Euro/Person an den Bundesvorstand der Grünen mögen dessen Führungskräfte als geringfügig empfinden, sie könnte aber im sozialpolitischen Kontext anders bewertet werden: Die sogenannte Standardrente (Eckrente) erhalten Rentenbezieher, wenn sie 45 Jahre lang gearbeitet und das Durchschnittseinkommen verdient haben: Sie betrug rechnerisch am 01.07.2020 in den alten Bundesländern 1.538,55 Euro/Monat brutto, in den neuen Bundesländern 1.495,35 Euro/Monat brutto. Von diesem Betrag sind jedoch noch die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung zu zahlen.

Gründe genug für den Vizekanzler Habeck, sensibel mit den aktuell sicher misslichen Meldungen zu staatsanwaltlichen Ermittlungen umzugehen? Dies sind Habecks Äußerungen im TV und für die Erinnerung der Öffentlichkeit: „Schon im Wahlkampf … alles mehrfach politisch durchgenudelt“.

Dünkel oder Respekt?

*1) DEUTSCHLAND. GRÜNEN-CHEF NACH SACHSEN-ANHALT. Auf Nachfragen zu Baerbocks Lebenslauf reagiert Habeck schmallippig. Stand: 07.06.2021 (Hervorhebung rs); https://www.welt.de/politik/deutschland/article231642325/Baerbocks-Lebenslauf-Auf-Nachfragen-reagiert-Habeck-schmallippig.html

*2) Grünen-Zahlungen an Kanzlerkandidatin. Wie Baerbock ihr Versäumnis mit zwei neuen Fehlern verteidigt. Sie habe es „nicht auf dem Schirm“ gehabt, die Einkünfte zu melden, sagt die Politikerin. Warum nicht? Weil sie Volk und Partei verwechselt. Ein Kommentar. JOST MÜLLER-NEUHOF. 30.05.2021; https://www.tagesspiegel.de/politik/gruenen-zahlungen-an-kanzlerkandidatin-wie-baerbock-ihr-versaeumnis-mit-zwei-neuen-fehlern-verteidigt/27239708.html (Hinweis: Coronaboni waren für das besonders belastetete Pflege- und Krankenhaus-Personal vorgesehen; das macht die Zahlung an das politische Führungspersonal der Grünen fragwürdig).

*3) Gefährdete Demokratie: Nur jeder zweite Deutsche vertraut dem politischen System. 15.12.2021 (Repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes policy matters vom Oktober 2021 im Auftrag der Körber-Stiftung); https://www.rnd.de/politik/demokratie-in-deutschland-nur-jeder-zweite-deutsche-vertraut-politik.