Echte Kopfjäger.

„Ahua ist mein Vater. Er ist ein großer Krieger. Er verteidigte unser Land mit der Lanze. Heute schütze ich unser Land und den Regenwald. Mit Dokumenten und dem Recht. In spanischer Sprache. Und weit, weit reisend wie unser großer Adler, die Harpie.“ *1)

Bewegende Worte von Penti Baihua, der heute für die Gemeinschaft der Waorani in Bameno kämpft, einer der entlegensten Regionen im Regenwald Ecuadors.

Dieser Spross eines Geschlechtes von Kriegern aus einer fernen Zeit führt seine Gemeinschaft, um ihre Lebensweise zu schützen. Von ihrer Kultur handeln die Lieder und Riten der Altvorderen in der Waorani-Sprache. Sie mögen an Kopfjagden, an Kämpfe mit feindlichen Stämmen, an todesmutige Jäger des Kaiman und des Jaguar erinnern. Aber sie werden auch die Spuren eines seit Jahrhunderten andauernden Wandels überliefern.

Indigene Akteure wie Penti Baihua haben heute zunehmend Wissenschaftler, Umweltschützer und die internationale Politik an ihrer Seite. 1989 wurde die Region Yasuní im nordöstlichen Amazonien Ecuadors von der UNESCO als Biosphärenreservat ausgewiesen.

Das Biosphärenreservat umfasst den Nationalpark Yasuní als Kernzone, das Territorium der indigenen Gemeinschaft der Waorani als ethnisches Schutzgebiet sowie die unantastbare Zone der Tagaeri und Taromenane genannten Waorani-Gruppen, die jeden Kontakt mit der sogenannten Zivilisation ablehnen. Insgesamt ein Gebiet von 2.7 Mio. Hektar, was gut der Hälfte des Landes Niedersachsen entspricht. *2)

Die überwiegend sesshaften Waorani-Gemeinschaften werden auf dreitausend Menschen geschätzt, die isoliert lebenden Tagaeri und Taromenane auf wenige Hundert. Jagen und Sammeln, ergänzt durch Feld- und Gartenbau, bilden noch heute ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage. Bis in die Gegenwart haben sich Waorani gegen Angriffe auf ihre Kultur und ihre Umwelt, die sie durch Missionare und wirtschaftliche Interessen (Kautschuk, Edelholz, Erdöl) bedroht sahen, auch gewaltsam gewehrt *3) *4).

In der von „außen“ wirkenden strukturellen Gewalt nicht nur gegen die Waorani, sondern gegen alle indigenen Bewohner des Amazonastieflandes lassen sich drei Phasen unterscheiden: (*1), S. 207 ff)

  • Die Eroberung (conquista) durch die Spanier und die folgende Kolonialzeit mit der Suche nach Gold. Trotz eher geringer Kontakte hätten eingeschleppte Krankheiten einen starken Rückgang der indigenen Bevölkerung ausgelöst.
  • Der Ende des 19. Jahrhunderts einsetzende Kautschukboom, der zu großflächigem Missbrauch und Übergriffen führte.
  • Seit Anfang der 1980er Jahre wurde Amazonien zunehmend von der Globalisierung und der Ausbeutung von Ressourcen erfasst: Von der Suche nach Edelhölzern, Erdöl, pharmazeutischen Rohstoffen und schließlich nach Erlebnissen durch den weltweiten Tourismus.

In der Weltliteratur und der Wissenschaft sind die Schäden dieser staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Invasion, strukturelle Gewalt genannt, in unberührte Naturräume beschrieben und analysiert worden.

  • „Ein Kontinent altert schnell, sobald wir kommen. Die Eingeborenen leben mit ihm in Harmonie. Aber der Fremde zerstört, fällt die Bäume, zieht das Wasser ab … die Erde ermüdet, wenn man sie ausnutzt. Ein Land verbraucht sich schnell“. *5)
  • „Warum haben die Indigenen nicht den Aufstand versucht? … Sie rebellierten nicht. Aus den gleichen Gründen wie in Afrika … Denn wenn das System der Ausplünderung extremste Brutalität erreicht, wird der Geist der Menschen noch vor dem Körper zerstört. Die Gewalt, der sie zum Opfer fielen, vernichtete den Willen zum Widerstand, den Instinkt zu überleben. Die Gewalt verwandelte die Indigenen in Automaten, gelähmt und verwirrt durch den Schrecken.“ *6)

Gondecki (*1) S. 247 ff) referiert Untersuchungen zu den Schäden der Erdölförderung in Ecuador:

  • „Über Jahrzehnte wurden Ölrückstände und hochtoxisches Formationswasser, das beim Bohren der Explorations- und Förderbrunnen entsteht, einfach in die umliegende Gegend oder in offene aus der Erde ausgehobene Becken ohne Abdichtung geleitet.“
  • „Da das ecuadorianische Amazonastiefland starke Niederschlagsintensitäten aufweist, laufen die Auffangbecken regelmäßig über, wodurch Ölrückstände und verseuchtes Schmutzwasser in die Umwelt gelangen.“
  • „Die häufig nur dünnen Bodenschichten können die toxischen Schad- und Giftstoffe nicht gut auffangen und absorbieren, die sich zudem durch die zahlreichen Bäche und Flüsse sowie das oftmals nahe der Erdoberfläche verlaufende Grundwasser schnell weitflächig verbreiten.“
  • „Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass auf Grund der angewandten Verfahrenstechnik sowie menschlichem Versagen in Verbindung mit zahlreichen Unfällen mit Leckagen, die Exposition der Bevölkerung mit toxischen Substanzen der Erdölproduktion in den Erdölgebieten Ecuadors erheblich ist. Messungen in den Gewässern der betroffenen Kommunen haben dies bestätigt. Offensichtlich ist die betroffene Bevölkerung unter diesen Bedingungen einem erheblich erhöhten Krankheits- und Sterblichkeitsrisiko insbesondere für Krebskrankheiten ausgesetzt.“

Hier ist sofort dem folgenden Argument entgegenzutreten: Aber Erdöl fördert doch seit 1987 das Unternehmen RWE Dea/Wintershall im geschützten Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Offenbar ohne Probleme, da das Recht, dort Erdöl zu fördern, im Jahr 2010 um weitere 30 Jahre verlängert wurde. *7) Auch Norwegen könnte, dieser verfehlten Argumentation folgend, als Beispiel für eine erfolgreiche Verbindung von Erdölwirtschaft und Schutz der dort besonders empfindlichen Umwelt angeführt werden.

Alberto Acosta, international viel beachteter ecuadorianischer Ökonom und Politiker, stellt dazu überzeugend fest: Hier müsse der entscheidende Unterschied zu den Öl- oder Bergbau-basierten Ländern verarmter Teile der Welt beachtet werden. In Deutschland, Norwegen oder anderen Ölförderung und Bergbau betreibenden hochentwickelten Industriestaaten seien längst „solide demokratische politische und ökonomische Institutionen verankert.“ *8)

Auf der Grundlage solcher stabilen demokratischen Institutionen lässt sich leicht postulieren: „Handel fördert das Wachstum, und Wachstum lindert die Armut.“ *9)

Jedoch ist Widerstand geboten, wenn unser Wirtschaftswachstum und unsere Rohstoffimporte in armen Ländern die natürlichen Lebensgrundlagen von Menschen gefährden. In solchen Fällen sei die Wertschätzung der Umwelt im Verhältnis zum wachsenden Einkommen anzuheben, empfiehlt Bhagwati als glaubwürdigen und angemessenen umweltpolitischen Ansatz. ( *9) S. 229)).

Und deshalb verdienen führende Kritiker des Raubbaus von Ressourcen in armen Ländern wie Alberto Acosta entwicklungspolitischen Beistand, wenn sie wissenschaftliche und politische Unterstützung für die indigene Bevölkerung mobilisieren. Für Menschen, die durch Gier, politischen Klientelismus und autoritäre Regierungsführung zugunsten mächtiger Erdöl- und Bergbau-Unternehmen geschädigt werden.

Die Auswirkungen der Nachfrage nach Ressourcen aus Entwicklungsländern („Extraktivismus“, so Acosta) durch die reichen Industrieländer müssen zur Kenntnis genommen und für beteiligte Unternehmen mit harten Sanktionen belegt werden, wenn diese fahrlässig mit dortiger Umwelt und Menschen umgehen.

Und dies gilt auch für Partner unserer Industrie-Gewerkschaften, die sich stets in das Banner der sozialen Gerechtigkeit hüllen: „Trade union groups linked to this type of extractivist activity, known as the „labour aristocracy,“ likewise obtain significant benefits. And, as it is easy to understand, this struggle over the distribution of rents, which may be more or less conflict-ridden, provokes new political tensions. All this helps to weaken democratic governance, as it ends up establishing or facilitating the perpetuity of authoritarian governments and greedy and clientelistic enterprises which are equally prone to authoritarian practices.“ *8)

In Deutschland wird bekanntlich rechtmäßiger Braunkohletagebau mit Auflagen für Rekultivierung verknüpft. Bereits vorliegende Erfahrungen zeigen, trotz aller Opfer von Menschen, die in ein neues Heim umziehen mussten, dass Acker- und Forstflächen, touristisch und ökologisch wertvolle Seenlandschaften entstehen werden.

Gerade weil die Deutschen zwar großen Wohlstand genießen — nicht zuletzt mit gierigen Bündnissen für extraktive Wirtschaft in armen Ländern — und vor Verständnis triefen, wenn im eigenen Land gegen rechtmäßigen Braunkohletagebau durchaus gewaltsam protestiert wird, sei an dieser Stelle gefordert:

Zieht euren Hut vor wirklichen Helden des Protestes unserer Zeit, den Söhnen und Töchtern der echten Kopfjäger, den Waorani dieser Welt. Die ihre Kultur, ihre Lebensform und ihre Natur verteidigen müssen, weil ihnen unser Luxuskonsum und ein gedankenloser Tourismus schweren Schaden zufügt.

*1) Philip Gondecki: Wir verteidigen unseren Wald. Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn. Bonn 2015;

hss.ulb.uni-bonn.de/2015/3874/3874.pdf. S. 557 (Übertragung aus dem Spanischen, RS.)

*2) Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Und: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Sonderprogramm Biosphärenreservat Yasuní. Deutsch-ecuadorianische Zusammenarbeit; https://www.bmz.de/de/mediathek/publikationen/archiv/themen/klimaschutz/FlyerYasuni.pdf

*3) „Weltweite Aufmerksamkeit erregten die Waorani durch ihre extrem kriegerische Kultur, insbesondere durch die Ermordung der ersten fünf SIL-Missionare (des evangelikalen Summer Institute of Linguistics (SIL) aus den USA) im Jahr 1956. Etliche tödliche Angriffe auf Siedler und vor allem auf Mitarbeiter der Erdölgesellschaften fanden bis ins beginnende 21. Jahrhundert hinein statt. Neben den Missionaren hatte die seit den 1960er Jahren einsetzende Erdölförderung im gesamten Waoraniland die größten Auswirkungen auf die Lebensweise und den Lebensraum des Volkes.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Waorani)

*4) Der spanisch-ecuadorianische Kapuziner-Bischof, Mons. Alejandro Labaca Ugarte (geb. 1920), hatte sich seit 1953 der Missionstätigkeit in Ecuador gewidmet. Viele Jahre hatte er mit Waorani und für ihre Werte und Interessen gearbeitet. 1987 fiel er den Lanzen von Tageari bei einem Besuch in ihrem Gebiet zum Opfer.

Siehe: Mons. Alejandro Labaca, Cronica Huaorani, Quito, Ecuador, 1988. S. 11. (Huaorani ist nur eine andere Schreibweise des im Deutschen üblichen Waorani, RS).

*5) Ernest Hemingway. Die grünen Hügel Afrikas. Übertragung von Annemarie Horschitz-Horst. Bertelsmann Lesering. Gütersloh, Buch Nr. 5739. S. 304, 315.

*6) Mario Vargas Llosa. El sueño del celta. Madrid. Primera edición: octubre 2011. S. 220 f. (Übertragung RS).

*7) https://www.nationalpark-wattenmeer.de/schleswig-holsteinisches-wattenmeer/nationalpark/nutzungen/oelfoerderung.

*8) Extractivism and neoextractivism: two sides of the same curse. Alberto Acosta; in: Beyond Development. Alternative Visions from Latin America; https://www.tni.org/files/download/beyonddevelopment_extractivism.pdf. S. 75f. (Übertragung RS).

Latin America is at the forefront of thinking on how to build a new sustainable economy that rejects consumerism and extractivism. An exciting compilation on new ideas such as Buen Vivir that are reshaping the global debate on how to live in harmony with each other and nature.

A book by the Permanent Working Group on Alternatives to Development. Edited by M. Lang and D. Mokrani; http://www.tni-books.org/reports/26-beyond-development.html.

*9) Jagdish Bhagwati. Verteidigung der Globalisierung. Mit einem Vorwort von Joschka Fischer. Aus dem Englischen von Werner Roller. 1. Auflage. München 2008, S. 100. Diese Thesen, so Bhagwati, seien von Ökonomen und Politikern „aus ganz verschiedenen Lagern gestützt“ worden.