Ein “Fehler“?

Vizekanzler Habeck sei “ein mutiger Mann“. *1) So der einflussreiche Autor Ulrich Wickert zu dessen Weigerung, Staatssekretär Graichen (sog. Trauzeugen-Affaire) zu entlassen. Der Begriff “Mut“ war von Beginn verfehlt und hielt nicht lange vor.

Denn der Minister wusste nicht oder es interessierte ihn nicht, dass Beschäftigte im Staatsdienst durch die Leitungsebene und die Führungskräfte auf folgende Verpflichtungen hinzuweisen sind: *2)

  • Alle Beschäftigten haben ihre Aufgaben .. unparteiisch und gerecht zu erfüllen.
  • Es ist bekanntermaßen besonders schwierig, eine „Gefälligkeit“ zu verweigern, wenn man sich privat hervorragend versteht und man selber oder die eigene Familie Vorteile und Vergünstigungen erhält. Trennen Sie strikt Dienst- und Privatleben. Prüfen Sie, ob Ihre Privatinteressen zu einer Kollision mit Ihren Dienstpflichten führen.
  • Prüfen Sie daher bei jedem Verfahren, für das Sie mitverantwortlich sind, ob Ihre privaten Interessen oder solche Ihrer Angehörigen oder z. B. auch von Organisationen, denen Sie verbunden sind, zu einer Kollision mit Ihren hauptberuflichen Verpflichtungen führen können. Vermeiden Sie jeden bösen Schein möglicher Parteilichkeit.
  • Unabhängig davon schadet es früher oder später Ihrem Ansehen und damit dem Ansehen des gesamten öffentlichen Dienstes, wenn Sie im Konfliktfall Ihren privaten Interessen den Vorrang gegeben haben. Das gilt in besonderem Maße, wenn Sie an einflussreicher Stelle tätig sind.
  • Verhalten, (das) diesen Verpflichtungen widerspricht, .. schädigt das Ansehen des öffentlichen Dienstes. Es zerstört das Vertrauen in die Unparteilichkeit und Objektivität der Staatsverwaltung und damit die Grundlagen für das Zusammenleben in einem staatlichen Gemeinwesen.

Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes werden über diese Verpflichtungen und die dienstrechtlichen Folgen von Verstößen in ernster Form durch Vorgesetzte belehrt.

Was sollen sie und die Öffentlichkeit, die auf Überparteilichkeit und Objektivität des Staatsdienstes angewiesen ist, von dem mutmaßlichen Fehlverhalten eines Staatssekretärs im Ministerium des Vizekanzlers halten?  Der nach Pressemeldungen genau das betrieben habe, wovor der zitierte „Verhaltenskodex“ ausdrücklich warnte.

Vizekanzler Habeck hat zu den Vorwürfen gegen sein Ministerium (Verwandtschaftsverhältnisse und fragwürdige Vergabe von honorierten Aufträgen an befreundete Institute) vor einem Ausschuss des Deutschen Bundestages erklärt: *3)

  • Es geht um Macht und Machtinteressen, das ist unser Beruf und insofern auch in Ordnung. Es ist Teil des politischen Betriebes. Aber ab und zu muss man sich eben auch selbst fragen und hinterfragen, ob man dem eigenen Umgang mit der Macht immer genügt. … Deshalb haben wir Fehler eingeräumt, wo sie passiert sind.
  • Die Abteilungsleitungen wurden schriftlich darüber informiert, dass Vergabeverfahren, die das Ökoinstitut und den BUND e.V. betreffen, nicht über den Schreibtisch des Staatssekretärs gehen dürfen.

Jede Führungskraft einer staatlichen Behörde weiß, was die Leitungsspitze will und was sie nicht auf ihrem Schreibtisch sehen will. Diese Aussagen von Vizekanzler Habeck über eine von ihm gezogene “Brandmauer“ (Habeck) gegen den Anschein korrumpierenden Fehlverhaltens dürfte verbreitete Heiterkeit über seine Urteilskraft auslösen.

Das Skandal-Gewühle in Medien darf nicht vom entscheidenden Problem ablenken: der Diskrepanz von Anspruch und politischer Wirklichkeit in der Führung der GRÜNEN.

Im Koalitionsvertrag von SPD, GRÜNEN und FDP, “Mehr Fortschritt wagen“, wurde zugesagt: „Von der Leitung der Ministerien und den Führungskräften im Öffentlichen Dienst erwarten wir, dass sie eine moderne Führungs- und Verwaltungskultur vorantreiben … Wir wollen durch mehr Transparenz unsere Demokratie stärken.“ *4)

Gemessen an diesem selbst proklamierten Ziel offenbart sich ein Führungsversagen des Vizekanzlers, das er unglaubwürdig verharmloste: als “Fehler“.

*1) Siehe die Vizekanzler Habeck betreffende Äußerung von Ulrich Wickert. 10. 05. 2023; https://twitter.com/maischberger/status/1656422126943977536?ref_src=twsrc%5Etfw

*2) Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung vom 30. Juli 2004. Anlage 1: Verhaltenskodex gegen Korruption; https://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/BMI-O4-0001-NF-673-KF-001-A001.htm (RS: hier in Auszügen wörtlich zitiert).

*3) Deutscher Bundestag. 20. Wahlperiode. Wirtschaftsausschuss. Ausschuss für Klimaschutz und Energie. Bericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zu der aktuellen Berichterstattung zur Personalpolitik und Stellenbesetzung durch das BMWK. Wortprotokoll. Berlin, den 10. Mai 2023, S. 2 ff. https://www.bundestag.de/resource/blob/948832/e39e54dff61dc5a3d2a797612d1ed392/Wortprotokoll_64_Sitzung-data.pdf. (RS: hier in Auszügen wörtlich zitiert).

*4) Koalitionsvertrag 2021 – 2025. Mehr Fortschritt wagen; https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf. S. 8, 9.