Ein Pferd für ein Königreich.

Freunde Großbritanniens und seiner Monarchie waren TV-Zeugen, als Bundespräsident Gauck der Queen ein Gemälde von Nicole Leidenfrost verehrte. Das Bildnis zeigt Elizabeth als Kind auf einem Pferd mit ihrem Vater. Einiges Aufsehen in deutschen und britischen Medien folgte alsbald.

Der angesehene Alan Posener bescheinigte dem Bundespräsidenten „Gedankenlosigkeit“, der Malerin Leidenfrost, sie sei eine „unbekannte Kunstgewerblerin“, die ein „Billiggemälde“ verfertigt habe, und der Szene im Schloss Bellevue: „peinlicher Augenblick“.*1)

Mit dem britischen Autor und Kunstkritiker Mark Hudson widmete sich ein bedeutendes intellektuelles Kaliber dem Ereignis. Hudson fragte sich beim Anblick der Reproduktion des Gemäldes von Leidenfrost: Ist dies „ein echtes Werk des modernen Neo-Expressionismus — in würdiger Folge einer großen deutschen Tradition, die Giganten wie Klee und Kandinsky hervorbrachte — oder einfach grotesker Kitsch?“ *2)

Hudsons Urteil über das Gesamtwerk der Malerin Nicole Leidenfrost war leider negativ. Der „Expressionismus ist Deutschlands großer Beitrag zur Modernen Kunst, durch Wahrhaftigkeit geprägt. Künstler starben unter den Nazis und dem Stalinismus für die reine Ehrlichkeit. Es überrascht daher nicht, dass Deutschland solche Tradition mit dem Geschenk an die Königin ehren wollte. Der Beitrag von Frau Leidenfrost — sicher gut gemeint — wirkt dagegen schlicht unaufrichtig. Es ist eine Schande, dass die Deutschen nicht einen ihrer berühmten Maler gewinnen konnten, um jenem Gedanken und Anspruch den besten Ausdruck zu geben.“ *2)

Da haben nun das Auswärtige Amt und das Bundespräsidialamt gemeinsam den Besuch der Queen vorbereitet. Auf solchem Gebiet je Tätige kennen das Ausmaß an Sorgfalt, das diese Arbeit bestimmen muss.

Und dennoch wird unser Staatsoberhaupt einer Situation ausgesetzt, in der Queen Elizabeth II „geringschätzig (´with disdain`) auf das Geschenk des deutschen Bundespräsidenten Gauck reagierte, auf das Gemälde, das sie und ihren Vater zeigt.“ *2)

Dies Ergebnis wird nicht erträglicher durch den Hinweis Mark Hudsons, dass das Geschenk eines Werkes von „Künstlern wie Albert Oehlen oder Neo Rauch … wohl sehr viel teurer gewesen wäre, aber der Queen sicher noch viel weniger gefallen hätte.“ *2)

Warum ist der Vorgang für Freunde Großbritanniens so ärgerlich? Der Grund erschließt sich, wenn die Reproduktion des Gemäldes von Leidenfrost mit Hilfe einer Lupe betrachtet wird. In dem Gesicht der kleinen Ponyreiterin vermag ich nicht Elizabeth, die spätere Queen, zu erkennen, sondern — je länger ich hinschaue, desto deutlicher — die kindlichen Gesichtszüge der kleinen, blonden Margaret Thatcher, der späteren Premierministerin Großbritanniens.

Für diese Hypothese könnte sprechen, dass die stets sehr präsente Queen Elizabeth II sich gar nicht erst mit ihrem Konterfei aufhielt, sondern sich pointiert auf die Frage beschränkte: „Und das soll mein Vater sein?“

Wenn diese Vermutung zuträfe, müssten wir die im Telegraph beschriebene Reaktion der Queen auf das Gastgeschenk unseres Bundespräsidenten — „with disdain“ — weniger rücksichtsvoll, dafür wohl zutreffender als „mit Verachtung“ übersetzen.

Sollte Frau Leidenfrost in ihrem Gemälde eine derart untergründige Spitze gegen die britische Monarchie versteckt haben können? Das würde sogar links-intellektuelle Briten überraschen, wahrscheinlich sogar für die Malerin Nicole Leidenfrost einnehmen.

Wurden Künstler nicht schon immer aufgefordert: „Überraschen Sie mich!“?

*1) Alan Posener, Ein stiller Besuch, Die Welt, Samstag, 27. Juni 2015, Seite 5.

*2) Nicole Leidenfrost’s portrait of the Queen: ‚patently insincere‘. By Mark Hudson, 7:39PM BST 24 Jun 2015; http://www.telegraph.co.uk/culture/art/art-reviews/11696381/Nicole-Leidenfrosts-portrait-of-the-Queen-patently-insincere.html. (Übersetzung, RS).