Wem vertrauen?

Die EU-Kommission, vertreten durch Präsident Jean-Claude Juncker, die Regierungschefs und Finanzminister der Eurogruppe, die von dem niederländischen Sozialdemokraten und Finanzminister Jeroen Dijsselbloem als Vorsitzendem koordiniert wird, sowie der Internationale Währungsfonds (IWF), vertreten durch dessen Geschäftsführende Direktorin, Frau Christine Lagarde, die Europäische Zentralbank (EZB) — das sind die maßgeblichen Akteure, die sich seit fünf Monaten abmühen, den Verbleib Griechenlands in der Eurozone zu ermöglichen.

Vor allem die politisch Zuständigen von 18 demokratischen Mitgliedsländern der Eurogruppe bemühten sich um das 19. Mitglied, Griechenland, das seit Ende Januar 2015 von Ministerpräsident Tsipras, Vorsitzender der extrem linken Syriza-Partei, regiert wird. Professor Yanis Varoufakis dient der Regierung als Finanzminister.

Es ist hinreichend bekannt: Griechenland hatte nach harten Konsolidierungsjahren seit 2009 im Jahre 2014 einen Primär-Überschuss (d.h. ohne Zins- und Tilgungs-Verpflichtung der Staatsschuld zu berücksichtigen) im Staatshaushalt erreicht, das Defizit im Außenhandel überwunden, eine leichte Zunahme der Wirtschaftsleistung und eine abnehmende Arbeitslosigkeit erarbeitet.

Somit hatte Tsipras eine sicher unter Opfern stabilisierte Wirtschaft übernommen. Fünf Monate später zeigt sich, welches Vertrauen seine Regierung mit ihren maßlosen Forderungen und ihrem erratischen Verhandlungsstil gegenüber den oben aufgeführten Hilfskreditgebern bei den Hellenen genießt.

Griechen stürmen seit Wochen die Banken, um ihre Euroguthaben ins Ausland oder unter die Matratze zu bringen. Heute fragte im TV ein Journalist einen griechischen Bürger, warum er sein Geld abhebe. Erbost schrie der Mann: „Was fragen Sie mich, fragt den Penner, der dieses Land regiert.“ Dieser Ausbruch stieß keineswegs auf Missfallen der Warteschlange vor den Bankautomaten. Schlimme Indizien einer Vertrauenskrise in Hellas also, wobei noch zu sehen bleibt, ob Syriza die Bürgerwut gegen die EU und vor allem gegen Deutschland drehen kann.

Ich darf hier sicher ein Bürgervotum als überzeugter Europäer gegen die Syriza-Regierung abgeben, zumal die Regierung Tsipras bedeutende Unterstützer in unserem Lande findet. Äußerstes Misstrauen gegen diese „spieltheoretisch“ beratenen und geschulten „Verhandlungspartner“ aus Hellas ist inzwischen angezeigt!

Es gibt aus dieser Syriza-Perspektive, v.a. wohl der des bedeutenden Spieltheoretikers Finanzminister Varoufakis — stellen wir es vereinfachend dar — offenbar zwei Wege zu erfolgreicher Verhandlung mit den europäischen Partnern.

Strategie I: Entweder man baut durch sein Verhalten eine Reputation der Glaubwürdigkeit, der Verlässlichkeit, der konstruktiven Suche nach einer fairen Lösung auf. Dass dieser Weg von Tsipras und Varoufakis angestrebt worden wäre, glaubt wohl keiner der Verhandlungspartner mehr.

Strategie II: Die andere Möglichkeit wäre, dass Syriza eine Reputation als gefährlicher, zu allem entschlossener Gegner aufbaut: Spiel mit nationaler Würde, mit fast irrer Dramatisierung von unterschiedlichen finanzpolitischen Auffassungen zu  anti-griechischer Entwürdigung durch die europäischen Verhandlungspartner; Getue mit Russland und Putin als Partner und Drohung mit katastrophalen geopolitischen Folgen für den Westen; mit Hinweisen auf deutsches Verbrechertum in Hellas; mit Anklagen gegen den IWF als „verbrecherische“ Organisation; mit Zerstörung des Euro und der europäischen Integration als Folge erzwungener griechischer Insolvenz und des Ausscheidens aus dem Euro („Grexit“); mit Parolen zur Umgestaltung der Europäischen Union nach den Ideen der kommunistischen Syriza … etc.

Ziel dieser Strategie könnte sein, die 18 Verhandlungpartner der Eurogruppe so zu zermürben, dass ihnen der Grexit schlimmer erscheint als dauerhafte Tributzahlungen in von Syriza-Hellas gewünschter Höhe gemäß den Kosten ihrer Wahlversprechen. Dazu tragen auch die wahnsinnig erscheinenden Transaktionskosten und physischen Dauerbelastungen durch den unberechenbaren “Zick-Zack“-Verhandlungsstil der Syriza-Regierung bei. In der EU, wird sicher an Stammtischen gesagt, wackelt der Schwanz mit dem Hund!

Ich kann nur den Hut ziehen vor Präsident Hollande, Frau Merkel, Frau Lagarde, Herrn Gabriel, Herrn Schäuble, Herren Finanzminister Dijsselbloem und Alexander Stubb und nicht zuletzt Herrn Jean-Claude Juncker, dass sie gemeinsam mit ihren Kollegen ein Kooperationsangebot für Wachstum, sozialen Ausgleich und Hilfe wie Beratung bei Reformen des griechischen Staates erarbeitet haben, über dessen Inhalt das griechische Volk genau informiert werden sollte. *1) Ihnen gilt das Vertrauen sicher der meisten europäischen Bürger.

Dass die Syriza-Seite diese beispiellose, gemeinschaftliche Leistung des Paket-Angebots — nach dem Prinzip der Europäischen Währungs- und Wirtschaftsunion als Stabilitätsunion: Solidarische Hilfen gegen zumutbare Eigenverantwortung und Reformleistung — mit Abbruch der Verhandlungen und einer regierungsseitigen Ablehnungsempfehlung für das kommende Referendum in Griechenland quittierte, das macht “fassungslos“, so Außenminister Steinmeier.

Schließlich werben in unserem Land noch viele andere Akteure um Vertrauen in ihr Urteil zur Krise um Hellas.

Nur eine bedeutende Persönlichkeit sei hier hervorgehoben, der besonders kluge Äußerungen zur Ressource „Vertrauen“ gelungen sind. „Dabei braucht insbesondere das unverzichtbare institutionelle Vertrauen den langen Vorlauf der persönlichen Verlässlichkeit. In der Politik- und der Wirtschaftswissenschaft nennen wir das „Sozialkapital“, eine entscheidende Ressource freiheitlichen und demokratischen Zusammenlebens.“ *2) Dies ist eine sehr interessante Überlegung, die Frau Professor Schwan sicher intensiv mit Herrn Minister Varoufakis anlässlich ihres Treffens bei einer Podiumsdiskussion am 8. Juni 2015 in Berlin erörtert hat.

Das Ergebnis einer solchen, von mir vermuteten Erörterung zwischen den Professoren Schwan und Varoufakis würde im studentischen Jargon leider als „Schuss in den Ofen“ bezeichnet werden müssen.

Denn, erstens, siehe oben Außenminister Steinmeiers Kommentar zum aktuellen Verhalten der Herren Varoufakis und Tsipras: „fassungslos“!

Zweitens, jedoch, und viel ärger noch, sieht Frau Schwan die Ursache für zerstörtes „Vertrauens- und Sozialkapital“ keineswegs auf griechischer Seite. Nein, Frau Schwan klagt an: „Finanzminister Wolfgang Schäuble hat von Anfang an die Absicht gehabt, Syriza an die Wand fahren zu lassen, damit es keine Ansteckungsgefahr in Spanien oder Portugal gibt.“ *3)

Wessen Urteilskraft sollte der Bürger nun vertrauen?

Dem Urteil von Frau Professor Schwan gegen Bundesfinanzminister Schäuble?

Vor genau einem Jahr, im Juni 2014, hat Prof. Schwan als Präsidentin ihre private „Humboldt-Viadrina School of Governance“ schließen müssen, diese insolvente Bildungseinrichtung sozusagen „an die Wand gefahren“. Der Presse sind wesentliche Ursachen des Desasters zu entnehmen: Keine Analyse der Konkurrenzangebote im nahen Umfeld, keine ausreichende Kontrolle der Ausgaben und Einnahmen, nachlassendes Vertrauen privater Mäzene, kein hinreichend zuwendungsfähiges Bemühen um öffentliche Mittel …

Ein Jahr nach ihrer Privat-Uni-Pleite solidarisiert sich Frau Professor Schwan nun mit der anscheinend zur Staatspleite entschlossenen Syriza-Regierung. Und wütet gegen den Bundesfinanzminister Schäuble, der für unsere Bundesregierung mit sämtlichen Kollegen der Eurogruppe, der EU-Kommission und dem IWF ein Angebot für Wachstum, sozialen Ausgleich und Reformen für Griechenland erarbeitet hat. Eine gewaltige finanzielle Solidarleistung, die von der Syriza-Regierung mit Abbruch der Verhandlungen gewürdigt wurde.

Weiß die bedeutende Dame, ehemalige Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, mehr als sämtliche politisch höchstrangigen Verhandlungspartner Syrizas, die seit fünf Monaten versuchen, Hellas‘ Verbleib in der Eurozone zu sichern?

Da hält sich ein Europäer, Bürger und Sozialdemokrat an einen Grundsatz, der schon die Vorläuferin der SPD, die Sozialistische Arbeiterpartei, gegen Verleumder leitete: „Trau! Schau! Wem?“ *4)

Dieser Grundsatz richtet sich heute gegen die bedeutende Sozialdemokratin Frau Professor Gesine Schwan und ihr verleumderisches Gerede über den Bundesminister der Finanzen.

*1) Präsident Juncker hat dieses Angebot in seiner heutigen Rede detailliert zusammengefasst, s. European Commission – Speech – [Check Against Delivery]. Transcript of President Jean-Claude Juncker’s press conference on Greece. Brussels, 29 June 2015.

Vor einigen Tagen wurde im TV von einem Wissenschaftler berichtet, der errechnet hatte, dass kein Land in der Eurozone mehr finanzielle Solidarität erfahren habe als Griechenland: Seit 1981 über 500 Mrd. heutige Euro!

230 Mrd. € (Subventionen; mehr aus EU erhalten als eingezahlt) + 150 Mrd. € (Schuldenschnitt 2012) + 125 Mrd. € (geldwerter Vorteil der Sonderkonditionen für Zins, Laufzeit, tilgungsfreie Zeit der Hilfsdarlehen gegenüber Marktkonditionen) = 505 Mrd. € (= ca. 50 Tsd. € für jeden Griechen!!)

(Quelle: Europäer versenken halbe Billion in Griechenland; 2. Jul. 2015, 18:23; http://www.welt.de/143098883)

*2) Webseite Gesine Schwan, Die Bedeutung von Vertrauen, Gesine Schwan, Januar 2009.

*3) DTS-Meldung vom 29.06.2015, 10:39 Uhr. Gesine Schwan: Schäuble wollte Syriza an die Wand fahren.

*4) M 3: Die Aktion in Heilbronn: Flugblatt vom 10. Juni 1878 der Sozialistischen Arbeiterpartei Heilbronn.Transkription. Trau! Schau! Wem? https://stadtarchiv.heilbronn.de/stadtgeschichte/unterrichtsmaterial/neuzeit/arbeiterbewegung/quellen-und-materialien.html.