Emil Nolde muss hängen.

Linksgewirkte Zeitgenossen behaupten von sich nicht selten: Unter den Nazis wäre ich im KZ gelandet. Hypothetische Märtyrer auf dem moral highground …

Entsprechend rabiat urteilen sie über Menschen, die in jener Zeit unter der Nazi-Herrschaft leben mussten. Gegen derartige Anmaßungen hilft ein Wort, das der große Journalist Günter Gaus prägte: “Gnade der späten Geburt“. *1)

Dieser Gnade wurde der Maler Emil Nolde, der von 1867 bis 1956 lebte, nicht teilhaftig. Viele Menschen ehren das Werk großer Künstler, weil es ihnen unschätzbare Freude bereitet, den Alltag zu verlassen, um sich in der Sphäre der Kunst zu erholen. Emil Nolde hat der Welt ein Werk gegeben, für das wir danken, das wir ehren.

Unvorstellbar hart war der Weg dieses Bauernsohnes vom kleinen nordfriesischen Dorf in die Welt seiner Berufung. „Ich hatte gerungen mit allen Hindernissen und Widrigkeiten des Lebens die vielen langen Jahre, immer nur mit dem einen großen: Maler und Künstler zu werden.“ (S. 68, *2).

  • Oft auf dem Weg zum Maler abgewiesen: „Was die Lehrer wollten, konnte ich nicht, und was ich selbst wollte, auch nicht.“ (S. 69). So Noldes Bilanz mit 30 Jahren.
  • Mit 40 Jahren noch musste Emil Nolde zurückblicken auf ein Leben in bitterster Armut. Für Essen hatte er bei Bauern “Tagelohndienste verrichtet“, auch verzweifelte Versuche mit “Verkaufsbildern“ halfen nicht. (S. 115). Oft verbargen sich die Eheleute Nolde vor Verwandten, damit diese ihre Armut nicht sahen.
  • 1927, beim „Vollenden der sechzig Jahre, mit dem letzten Drittel des Lebens beginnend, war es, als ob die Sonne etwas freundlicher scheinen wolle. Es war ein Trugbild …“ (S. 371, *2).

Alte Konflikte und Feindseligkeiten richteten sich noch immer gegen Nolde. Am Tag vor seinem 60. Geburtstag waren „aus Berlin eine ganze Reihe von Rezensenten dagewesen, von denen nun manche spöttelnd und auch gehässig nach Nord und Süd und West berichteten. Mein fast zwanzig Jahre zuvor gewesener Kampf für die Kunst im allgemeinen und die der Jugend war noch nicht vergessen. Ich fragte ein wenig bitter: ´Soll meine Verfolgung ewig dauern, ist es noch immer nicht genug?`“ (S. 371, *2).

Nolde hatte 1910 — sein Verständnis von einer neuen, deutschen Kunst durchkämpfend — in etwas schäbiger Weise gegen Max Liebermann polemisiert, dass dieser dem Fortschritt entgegenstehe.

Zwar habe seit längerem ein “Generationenkonflikt zwischen Impressionisten und Expressionisten“ geschwelt, in dem der “Impressionist“ Liebermann „die junge Bewegung der abstrakten Kunst, insbesondere den Expressionismus, entschieden ablehnte“. Dennoch bewirkte Liebermanns offene Haltung, dass 1910 „erstmals Werke Pablo Picassos, Henri Matisses, Georges Braques und der Fauvisten“ in Berlin gezeigt wurden. *3) Eine europäisch-fortschrittliche Initiative für die Kunst!

Auf die Konflikte im feindseligen Wettbewerb der Kunstmärkte jener Zeit kann hier nicht näher eingegangen werden. Nolde wurde jedenfalls gegen den noblen Einspruch des Präsidenten der Berliner Secession, Max Liebermann, mit größter Zustimmung von dieser Künstlervereinigung ausgeschlossen. *4) Alfred Kerr spottete über Nolde: „Jung; gehängt; o schnödes End`. (Doch auch jetzt noch kein Talent.)“ (S. 181, *2).

Emil Nolde schreibt verbittert über seine Kritik an Liebermanns vermeintlich “diktatorischen Mitteln und künstlerischer Machtstellung“: „Ich hätte geschickter schreiben können, vielleicht auch milder, der Brief wäre in den Papierkorb gewandert, — das wollte ich nicht.“

Paul Cassirers Urteil wird Nolde besonders getroffen haben: „Krasse Heuchelei. Unehrenhafte Handlung. Hinterlist und Niedertracht. Reklame für sich.“ Gewiss war Nolde in seiner Verbitterung nicht imstande, die selbst gestellte Frage klar zu analysieren: „Was aber hatte ich Maler angerichtet?“ (S. 180, *2).

Nein, Nolde hatte eben nicht als Maler gehandelt. Sondern sich “verwegen“ (Nolde), eher aber wohl sehr töricht, auf kunstpolitische Kontroversen eingelassen. Und sah sich nun als Opfer der ihm an Erfahrung und Einfluss auf dem Kunstmarkt weit überlegenen Berliner Gegner: „Meine Verwegenheit und der Idealismus sollten in niedrigsten Egoismus verwandelt werden … Das nächste war, dass ich als wütiger Antisemit verschrien wurde, das ich nie gewesen bin.“ (S. 180 f., *2).

Es kann vermutet werden, dass Emil Nolde damals ein durchaus enges Bild von “deutscher“ Kunst verinnerlicht und kämpferisch betrieben hatte. Dieses künstlerische Leitbild und vor allem die künstlerische, kunstgeschäftliche und kunstpolitische Gegnerschaft, die er fatal unterschätzt hatte, mögen Nolde nach weiteren zwei Jahrzehnten zum aktiven Anhänger der Nationalsozialisten gemacht haben.

“Aktiv“ wird bei Nolte lediglich bedeutet haben, dass er durch Opportunismus gegenüber der Nazi-Diktatur sein Lebenswerk schützen wollte. Vor allem weil bald nach der Machtergreifung 1933 deutlich wurde, dass die Nazis dem Maler Nolde misstrauten und sein Werk spätestens ab 1937 öffentlich der “entarteten Kunst“ zuwiesen. Im 70. Jahr seines Lebens sah sich Nolde von den Nazis verfemt. Wer weiß heute noch, was dies damals bedeuten konnte?

Auf dem Höhepunkt der Nazi-Kriegssiege, im August 1941, teilte der Präsident der Reichskammer der bildenden Künste Nolde per Einschreiben mit: *5)

  • Anlässlich der vom Führer aufgetragenen Ausmerzung der Werke entarteter Kunst in den Museen mussten von ihnen allein 1052 Werke beschlagnahmt werden.
  • Die vom Führer wiederholt klar und eindeutig herausgestellten Richtlinien zur künftigen künstlerischen Haltung und Zielsetzung kultureller Förderung in Verantwortung gegenüber Volk und Reich, müssten auch ihnen bekannt sein.
  • Wie die Einsichtnahme Ihrer hergereichten Originalwerke der Letztzeit ergab, stehen Sie auch heute noch diesem kulturellen Gedankengut fern.
  • (Daher) schliesse ich Sie wegen mangelnder Zuverlässigkeit aus der Reichskammer der bildenden Künste aus und untersage ihnen mit sofortiger Wirkung jede berufliche — auch nebenberufliche — Betätigung auf den Gebieten der bildenden Künste.

So also sieht eine Zwischenbilanz zum Erfolg des Malers Emil Nolde aus:

  • Bitterste Armut bis in das 40. Lebensjahr.
  • Rauswurf 1910 mit 43 Jahren aus der Berliner Künstlergruppe Secession, begleitet von publizistischem Hohn und Spott.
  • Mit 70 Jahren 1937 von den Nazis öffentlich als “entarteter Künstler“ verfemt.
  • Mit 74 Jahren Rauswurf aus der Reichskammer der bildenden Künste. Verbot jeglicher beruflichen und nebenberuflichen Tätigkeit auf dem Gebiet der bildenden Künste.

Und nun mag man seit 2014 staunen über den Eifer von “Museumsmachern“ und Kunsthistorikern, die in höchst zweideutiger Manier, Emil Nolde als Nazikünstler und sein Werk als Nazikunst der “Blut und Boden“-Ideologie beurteilen, genauer, wissenschaftlich und kunsthistorisch klassifizieren.

“Schon 1934“ sei Nolde der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig beigetreten.*5) “Schon“ nennen die das … Alles Damen und Herren, die vielleicht nicht malen können, dafür aber viel von der Kunstgeschichte verstehen, und sämtlich durch die “Gnade der späten Geburt“ gesegnet sind. Und die sogar wissen wollen, dass das “Malverbot“ der Nazis eher liberal gehandhabt wurde. Denn der leidenschaftliche Maler Nolde habe ja geschafft, es zu umgehen und mit Hilfe von Freunden heimlich weiter zu malen.

Aus diesem Umfeld urteilt der “Museumsmacher“ Felix Krämer, Generaldirektor des Kunstpalastes in Düsseldorf, hin und her gewunden über Emil Nolde; changierend, oszillierend, nuancierend nennt man diesen Redestil: *6)

  • Seine Bilder, glaube ich, (sind) in ihrer oberflächlichen Betrachtung einfach wahnsinnig schön.
  • Er war ein überzeugter Nationalsozialist. Wir haben es hier mit einem Antisemiten, einem Rassisten zu tun, der bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs fest daran glaubte.
  • Seine Bilder wurden beschlagnahmt. Er war in der ersten Ausstellung zur entarteten Kunst sehr präsent. Darauf basierte diese Legende des Opfers, des Verfolgten und die wurde sehr geschickt nach dem Zweiten Weltkrieg bis wirklich auch in die jüngste Gegenwart gestrickt.
  • Natürlich ist so ein Bild, so eine Blumendarstellung auf den ersten Blick natürlich erst mal harmlos. Wenn man dann aber über seine Blut- und Boden-Vorstellung, Vorstellung von Heimat, Vorstellung von Rasse weiß, dann, finde ich, kommt man schon noch ins Nachdenken. Um nicht missverstanden zu werden: Ich glaube, Nolde hat einen festen Platz in der Kunstgeschichte und der ist auch unstrittig.
  • In dem Moment, wo er gemalt hat – und das kann man auch im Werk sehen: das Werk verändert sich nach 1933, zwischen 1933 und 1945 –, dass er natürlich der Überzeugung war, dass er im Sinne seiner Gesinnung handelt. (RS: Krämer meint Nazi-Gesinnung).
  • Krämer zur Frage “Nazi-Kunst, oder die Kunst eines Nazis?“: Genau das ist eine interessante Frage … Und ich finde es einfach grenzenlos naiv zu glauben, man könnte die Überzeugung eines Künstlers von seinem Werk trennen.
  • Ich finde, es ist wichtig, dass wir uns in den Museen damit auseinandersetzen. Ich finde es auch wichtig, dass die Bilder besprochen werden, dass sie hängen. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob das Bundeskanzleramt der richtige Ort dafür ist.

Die Analyse Krämers erlaubt also folgende Schlüsse:

  • Die Nazis, die Emil Nolde verfemten und mit Berufsverbot bedachten, waren zu blöd, in Nolde den Nazi, den Rassisten, den Antisemiten zu erkennen. Obwohl er, wie Krämer meint, seine Malerei zwischen 1933 und 1945 im Sinne der Nazis angepasst habe. Sogar offensichtlich zu blind und zu dumm waren die Nazis, um in Noldes vielfach zwischen 1900 und 1925 gemalten Blumen-, Garten- und Landschaftsbildern, den “Blut und Boden“-Nazi zu erkennen.
  • Und Nolde sei trotz alledem Nazi-Anhänger geblieben — bis zum Ende des Krieges! Ein schwerer Vorwurf des “Museumsmachers“ Krämer. Erwartete der am Ende noch, dass sich der 77-jährige Greis dem Aufstand des 20. Juli 1944 anzuschließen hatte? Warum billigen Krämer und seinesgleichen dem Maler Emil Nolde nicht die (meinetwegen opportunistische) Angst um sein beschlagnahmtes Werk und sein Schaffen zu? Zumal schon hunderte seiner Arbeiten im alliierten Bombenkrieg verbrannt waren?
  • Im Bundeskanzleramt und wohl auch in staatlichen Museen, müsse “man sich schon fragen, ob das der Künstler ist, der die Bundesrepublik im Jahr 2019 repräsentiert.“ Also: Noldes Bilder abhängen, angefangen im Büro von Bundeskanzlerin Merkel.

Solche kunsthistorische, sicher politisch korrekte Analyse treibt mich zum Leitbild der “l’art pour l’art“ — der Kunst um der Kunst willen. Bloß weg von den politischen, religiösen und moralischen Vorgaben obiger Damen und Herren “Museumsmacher“ und Kunsthistoriker bei dem Urteil über Künstler und Werk.

Lasst Emil Noldes Bilder hängen!

*1) „Nationalist zu werden, ist mir wie den meisten meiner Generation, soweit sie links von der politischen Mitte  siedeln, nicht möglich. Die Gnade der späten Geburt, unter der diese Jahrgänge leben — um 1930 geboren; zu jung, um den Versuchungen des Nationalsozialismus widerstehen zu müssen; alt genug, um die letzte Kriegszeit und die Besinnungsjahre danach bewusst aufzunehmen —, schließt einiges aus.“ Zitiert nach: DER SPIEGEL 38/1986. 15.09.1986. KANZLER. Verschwiegene Enteignung. Wer erfand die Wendung von der „Gnade der späten Geburt“? https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13519977.html (Hervorhebung, RS).

*2) Emil Nolde. Mein Leben. Mit einem Nachwort von Martin Urban. Herausgegeben von der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde. Dumont Dokumente. Köln. 11. Auflage 2000.

*3) Siehe Wikipedia. Max Liebermann. Dieser Artikel wurde am 18. Mai 2008 in dieser Version in die Liste der exzellenten Artikel aufgenommen; https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Liebermann

*4) Die “Berliner Secession“ war 1898 aus der Rebellion gegen das damalige akademische Kunstverständnis gegründet worden.

*5) Brief des Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, Adolf Ziegler, an Emil Nolde, 23.8.1941, Nolde Stiftung Seebüll. Abgedruckt in: EMIL NOLDE IM NATIONALSOZIALISMUS. KEINE SCHWARZ-WEISS-MALEREI. Ein Anliegen der Sonderausstellung „Emil Nolde. Retrospektive“ ist es, Noldes Verhältnis zum Nationalsozialismus offen anzusprechen und sich damit umfassend auseinanderzusetzen. Wir sprachen für das Städel Blog mit Felicity Grobien, Projektleiterin der Retrospektive, über dieses weitreichende Thema. Felicity Grobien. 19.03.2014; https://blog.staedelmuseum.de/keine-schwarz-weis-malerei-emil-nolde-im-nationalsozialismus/

*6) Diskussion um NS-Verstrickung. Nolde, die Nazis und das Kanzleramt. Er war ein bedeutender Maler und er war Rassist. Emil Noldes berühmte Blumenbilder könnten nicht von seiner Blut-und-Boden-Ideologie getrennt werden, sagte der Düsseldorfer Museumsdirektor Felix Krämer im Dlf. Noldes Gemälde im Kanzleramt seien keine gute Wahl. Felix Krämer im Gespräch mit Maja Ellmenreich; 29.03.2019; https://www.deutschlandfunk.de/diskussion-um-ns-verstrickung-nolde-die-nazis-und-das.691.de.html?dram:article_id=444961