Ethik: Pecunia non olet!

Dem Arbeitsauftrag eines Freundes verdanke ich die Erkenntnis, wozu Ethikräte da sind.

Um den Verdacht vorweg zu nehmen: Ethikräte mögen vor allem in gemeinnützigen Vereinen die Aufgabe haben, die Spenden nehmende Hand um jeden Preis offen zu halten. Das heißt, die gemeinnützige, von Geldgier oder -mangel getriebene Erkenntnis “Geld stinkt nicht — Pecunia non olet!“, vom moral highground bis auf die unterste Stufe noch legaler Machenschaften zu dehnen.

„Schreibe doch bitte einen Beitrag über Herrn Tönnies“, hieß es, und sofort fiel mir Ferdinand Tönnies ein — aus dem Mai 1964. Da hörte ich als noch suchender Student, beeindruckt von Professor Dr. Heinz Kluth, dessen Vorlesung über Soziologie. Die begann mit dem von den Nazis verfolgten Sozialdemokraten Ferdinand Tönnies (1855 – 1936) und seinen Grundbegriffen Gemeinschaft, Willkür — Gesellschaft, Kürwille. *1)

Kaum hatte ich darüber mit der geschätzten Kommilitonin aus Hamburg geklönt, erfuhr ich schon, dass ich wieder einmal nicht ganz auf dem laufenden sei — bei dem Arbeitsauftrag müsse der Schlachthof-Unternehmer Clemens Tönnies gemeint sein. Als ich meinen Kenntnisstand darüber aktualisiert hatte, neigte ich dazu, statt über den “Herrn“ besser über den “Fall Tönnies“ zu schreiben.

Dazu betone ich, dass ich seit der Kindheit die größte Hochachtung vor dem Handwerk und auch vor dem Stand der Fleischer, Schlachter, Metzger habe. Das Schlachten von dazu bestimmten Tieren für die Ernährung ist eine saubere, von Hygienevorschriften geprägte Arbeit. Das habe ich bei “Hausschlachtungen“ selbst erlebt: Frühmorgens wurde das Schwein vom Schlachter mit einem einzigen aufgesetzten Bolzenschuss getötet. Der Tierarzt kam und kontrollierte auf Trichinen-Befall. Abends fanden sich Freunde und Verwandte zum Schlachtfest zusammen: köstliche Brühe, Mett, Bauchfleisch, Schnitzel, Wurst verschiedenster Sorten.

Seitdem missfällt mir der in den 1950er Jahren noch oft gehörte Spruch “Dummheit frisst, Intelligenz säuft“. Vielleicht sagten das frühe Vorläufer heutiger grün-ökologischer Erzieher zu unseren Ess- und Trinkgewohnheiten, die mit ihrer neuen Kampagne gegen unseren Einkauf beim Schlachter nerven.

Als Student erlebte ich im Geschäft des angesehenen Schlachters — Quellental, Klein-Flottbek, neben dem Jenisch-Park gelegen — eine ewig über die Preise nörgelnde Kundin, bis dem Meister der Geduldsfaden riss: „Was glauben Sie, welche Preise wir für Schlachten, Verarbeiten und Verkaufen den Kunden anbieten dürfen? Immer hin und her zwischen Einkauf, Transport, Kühl- und Schlacht-Haus, Arbeits- und Verkaufsräumen? 16 bis 20 Stunden jeden Tag auf den Beinen. Hier, sehen Sie sich meine Beine an!“ Der unerfreuliche Zwischenfall hat meine Achtung vor diesem Schlachtermeister nur gehoben.

Zunächst kommt daher bei mir der Respekt vor der international ausgreifenden unternehmerischen Leistung des niedersächsischen Fleischfabrikanten Clemens Tönnies.

Der “Fall Tönnies“ — umstrittenes Handeln: von angeblichem Betrug bis zu wettbewerbs- und  arbeitsrechtlichen Verstößen — und öffentliche Kritik begleiteten diesen Aufstieg regelmäßig. Einen Betriebsrat gebe es in dem Unternehmen nicht. Arbeitnehmer würden video-überwacht. Gezielt würden durch Subunternehmen ausländische Arbeitskräfte massenhaft z. B. in der Fleischzerlegung beschäftigt. Zu für Deutsche unzumutbaren Arbeitsbedingungen — Niedriglohn, Überstunden, fehlende Krankenversicherung, Kündigungsandrohung, Kündigung im Falle von Krankheit sowie gefährliche Arbeitsbekleidung und unwürdige Unterbringung in Lagern.*2)

Das erinnert an das sicher zeitgebundene Urteil des großen Soziologen Ferdinand Tönnies: Er verglich „die Fabrikbesitzer, die ihre Arbeiter entlassen, mit Kannibalen“. *1a) Hoffen wir, die wir uns für den Tierschutz und die Soziale Marktwirtschaft engagieren, dass der Großunternehmer Clemens Tönnies seine Arbeitnehmer inzwischen nicht schlechter behandelt als seine Schweine.

Es mag nicht verwundern, dass Unternehmer, die Fleisch, wie Herr Clemens Tönnies, oder aber alkoholische Getränke anbieten, sich oft gemeinnützig engagieren, weil sie um ihr Ansehen in der stark ethisch-kirchlich bestimmten Öffentlichkeit besorgt sind.

Daher traf der Unternehmer Clemens Tönnies eine besonders öffentlichkeitswirksame Wahl: Engagement im Ruhrpott, wo wenige dem traditionellen Fleischgenuss abhold sind, beim kulthaft beliebten Fußballclub Schalke 04: seit 1994 ist Tönnies dort Mitglied des Aufsichtsrates und seit 2001 dessen Vorsitzender. Eine damals unternehmerisch gewiss nützliche Verbindung mit dem Schalke-Fan Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem Schalke-Sponsor Präsident Putins Gazprom.

Bei schon benannten Begriffen kann dem Unternehmer Clemens Tönnies zweierlei bescheinigt werden: Intelligenz als Unternehmer und bei der Auswahl seines gemeinnützigen Strebens, Dummheit im öffentlichen Auftritt, vor allem bei Festreden.

Nicht einmal zur Information über Zweck, Aufgabe und Leitbild des gemeinnützigen Vereins Schalke 04 hat es bei Tönnies gelangt: Der Fußballclub Gelsenkirchen-Schalke 04 e. V. „bekennt sich zu den Grundsätzen der Menschenrechte. Er tritt rassistischen, verfassungs- und fremdenfeindlichen Bestrebungen sowie diskriminierenden oder menschenverachtenden Verhaltensweisen gegenüber anderen Menschen, insbesondere auf Grund ihrer Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Geschlecht, sexuellen Orientierung oder Behinderung, aktiv entgegen. In diesem Sinne ist er insbesondere bestrebt, die soziale Integration ausländischer Mitbürger zu fördern.“ *3)

Ende Juli 2019 hatte Fleischfabrikant Clemens Tönnies beim „Tag des Handwerks“ in Paderborn seine ohnehin dümmliche “Festrede“ gegen die Klimapolitik mit dem Vorschlag an die Bundesregierung gekrönt, jährlich 20 Kraftwerke in Afrika zu finanzieren. „Dann würden die Afrikaner aufhören, … wenn`s dunkel ist, Kinder zu produzieren.“ *4)

Selbst einem abgebrühten Fußballfan wie mir verschlägt es die Sprache, wie der Chef-Schalker Clemens Tönnies, diese Dreckigkeit seinem von uns allen hoch geschätzten Gerald Asamoah, heute Team-Manager bei Schalke 04, zufügen konnte. “Asa“, aus Ghana stammend, war bekanntlich über 15 Jahre hinweg glänzender Spieler bei Schalke 04, danach dort erfolgreicher Jugendtrainer, einer der treuesten der Treuen in der wechselhaften Geschichte des Vereins. Mit Gerald Asamoah hatte der FC Schalke 04 2001 und 2002 sogar den DFB-Pokal gewonnen.

Ein lehrreicher Skandal, der Fall des Vorsitzenden des Aufsichtsrats von Schalke 04, des Fleischfabrikanten und Festredners Clemens Tönnies. Und dennoch anscheinend ein ganz komplexer Fall für die Ethikräte Schalkes und des DFB (DFB heißt nicht, wie ich einmal vermutete, “dreckig, fies, brutal“, sondern Deutscher Fußball-Bund).

Wird unser anfangs geäußerter Verdacht zur Gewissheit?

Haben DFB-Ethikräte die von gemeinütziger Geldgier getriebene Erkenntnis “Geld stinkt nicht — Pecunia non olet!“ vom moral highground bis auf die unterste Stufe noch legaler Machenschaften zu dehnen? Und dem superreichen und rassistischen Festredner Clemens Tönnies den Rauswurf vom Vorsitz des Aufsichtsrates von Schalke 04 zu ersparen?

Nikolaus Schneider, Theologe und langjährig hochrangiger Vertreter und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), meint als Vorsitzender der DFB-Ethik-Kommission, er stehe vor einer ganz schwierigen Abwägung: „Wir brauchen noch Hintergrund-Informationen. Das ist eine Sache von Wochen“ *4)

„Nachtigall, ick hör dir trapsen“, heißt es dazu in Berlin. Und den alten Römern folgend, heißt Ethik: Pecunia non olet!

*1) Vgl.: *1a) Michael Plöse. Der Gegensatz von „Gemeinschaft und Gesellschaft“ nach F. Tönnies; s://akj.rewi.hu-berlin.de/projekte/seminararbeiten/ploese2.pdf und *1b) Artikel “Gemeinschaft und Gesellschaft“; https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinschaft_und_Gesellschaft.

*2) Vgl.: Artikel “Tönnies Holding“; https://de.wikipedia.org/wiki/Tönnies_Holding.

*3) Fußballclub Gelsenkirchen-Schalke 04 e. V.: § 2 Zweck und Aufgabe des Vereins; https://schalke04.de/verein/schalke-04-e-v/satzung/

*4) DONNERSTAG, 15. AUGUST 2019. „Eine Sache von Wochen“. DFB-Ethiker vertagen den Fall „Tönnies“; https://www.n-tv.de/sport/fussball/DFB-Ethiker-vertagen-den-Fall-Toennies-article21209798.html