Ernst Litfaß.

Vor 70 Jahren, im Februar 1943, erzwangen mutige Ehefrauen durch eine denkwürdige Protestaktion, dass ihre jüdischen Ehemänner freigelassen wurden.

Die hatten – nach einer heimtückischen Schnüffelei in Fabriken von Nazi-Schergen eingesperrt – bereits einem bösen Schicksal entgegengesehen. Das Denkmal, das diese Frauen ehrt, steht am Litfaßplatz in Berlin.

Daran musste ich denken, als ich heute zu einer Litfaß-Säule auf dem Bad Honnefer Rathausplatz ging, um Information über eine große Veranstaltung im Kurhaus zu finden, auf die ich im Vorüberfahren aufmerksam wurde. Doch lassen wir diesen unwichtigen Punkt für später vielleicht, wenn überhaupt.

Viel wichtiger ist der Namensgeber des historischen Berliner Platzes: Ernst Litfaß (1816 – 1874). Gelegentlich einfallslos, wenn auch zu Recht als das „erste Marketinggenie“ oder als „Reklamekönig“ bezeichnet. *1) Origineller textet Wikipedia: „Ernst Theodor Amandus Litfaß … hat sich … einen Namen als der „Säulenheilige“ gemacht.“ Und informiert, dass es „noch 67.000 Litfaßsäulen in ganz Deutschland gibt, wovon etwa 50.000 zur Werbung für kulturelle Veranstaltungen genutzt werden.“

Doch die beste Würdigung ist Steffen Damm gelungen:

„Ernst Litfaß war eine der erfolgreichsten und kreativsten Berliner Unternehmerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Und doch steht er heute im Schatten der Siemens, Halske, Borsig oder Rathenau. Daran mag sein Gewerbe schuld sein, denn Litfaß war kein Großindustrieller. Sein Familienimperium hatte bestenfalls mittelständische Dimensionen. Sein Produktportfolio jedoch war zukunftsweisend. Litfaß vereinte in seiner Firma Druck- und Buchkunst, Werbetechniken, Eventmarketing, Künstlermanagement und Verlegermacht in einer bis dahin unbekannten Vielfalt und Modernität. Mit ihm trat nicht nur ein neuer Typus des erfolg- und erfindungsreichen, strategisch planenden, netzwerkbildenden Gründers auf den Plan, Litfaß verkörperte zudem lebenslänglich den Grenzgänger zwischen Kunst und Geschäft …

Exemplarisch lassen sich Ernst Litfaß‘ unternehmerisches Geschick und sein Weitblick an jenem Medium veranschaulichen, das bis heute mit seinem Namen verknüpft ist: der Litfaßsäule. Als „Hautkrankheit der Städte“ wurde die bis dahin gängige Praxis bezeichnet, Werbeplakate, Anzeigen und Bekanntmachungen aller Art einfach an die nächstbeste freie Fläche zu kleben. Durch die Litfaßäule wurde dieses Problem mit einem Schlag gelöst. Unordnung wurde, ganz im Sinne des preußischen Regimes, durch Ordnung ersetzt. Die Säule legte die neuen Regeln der Kommunikation im öffentlichen Raum fest.“ *2)

Nicht nur im öffentlichen Raum, sondern auch im privatesten Raum – als zweckmäßigster Punkt z.B. für Verabredungen. Aber von der Litfaßsäule ging auch handwerklich-künstlerische Faszination aus. Darauf machte mich kürzlich eine Wissenschaftlerin aufmerksam, die sich mit diesem Gebiet beschäftigt. Hier ihr Bericht über frühe Beobachtungen:

„In den 1950er Jahren habe ich in Hamburg mit Bewunderung den Plakatkleber an einer Litfaßsäule beobachtet. Mit einem Quast tauchte er in einen Eimer, nahm Kleister auf und verteilte ihn mit ausladenden Bewegungen. Dann hängte er den Quast in den Eimer und entnahm einer Gürteltasche ein Papierpäckchen. Dies klebte er links oben an die Stelle des aufgetragenen Kleisters und entfaltete mit sicheren, gleichmäßigen Bewegungen das Päckchen, das sich wie durch Zauberhand in ein Plakat mit zwei Boxkämpfern verwandelte. Er prüfte die angrenzenden Kanten und strich sie mit der Hand fest. Nun zog er aus einer anderen Gürteltasche eine breitflächige Trockenbürste und strich zur endgültigen Glättung aller Falten und Luftblasen sorgfältig über die gesamte Plakatfläche. Abschließend ging er mit dem Quast noch einmal großzügig über das ganze Plakat, um es gänzlich kleb- und wasserfest zu machen.

Ich bewunderte dabei die Sorgfalt seiner Arbeit und die ruhige Umsicht, mit der er den Platz für sein nächstes Plakat prüfte, um sodann den Vorgang zu wiederholen, mit derselben Gleichmäßigkeit seiner Bewegungen wie so viele Male zuvor. Als er fort war, ging ich ganz nahe an die Litfaßsäule heran und bestaunte die dicken Papierschichten, die sich wie Rinde um einen Baum legten.“

Dieser Bericht macht Hamburger Solidarität mit der Litfaßsäule verständlich. Denn in Hamburg hat sich eine Bürgerbewegung gegen den Trend zur Außenwerbung mit Alu-Mastrahmen schützend vor „ihre“ Litfaßsäule gestellt: Für den 1. Juli 2008 rief der „Einwohnerverein St. Georg von 1987 e.V.“ .. dazu auf, „die Litfaßsäule auf dem Carl-von-Ossietzky-Platz quasi zu umzingeln und für ihren Erhalt zu demonstrieren … Möge diese Litfaßsäule allen St. GeorgerInnen ans Herz wachsen, als ein Ort der Information und phantasievollen Gestaltung, der Kommunikation und des Zusammentreffens. *3)

Heutzutage verliert die Litfaßsäule – wie aus Soest zu hören war – an Boden gegenüber einer Außenwerbung mit „Alu-Mastrahmen, auf denen Veranstalter für ihre Termine und Events werben können. Die Standorte sind über das gesamte Stadtgebiet an markanten Punkten verteilt.“ *4) Damit seien die Autofahrer leichter zu erreichen.

Es mag sein, dass Litfaßsäulen in Soest nicht mehr zeitgemäß sind und auch sonst vielerorts verschwinden. Das mögen Anhänger der Litfaßsäule verschmerzen; wer sucht schon Soest mit seinen Alu-Mastrahmen auf?

Die Erinnerung an den Litfaßplatz in Berlin, die Zeugnisse über Ernst Litfaß und seine Wirkung, über die Litfaßsäule und ihre Bedrohung durch neue Instrumente der Außenwerbung gingen mir durch den Kopf, als ich der Litfaßsäule am Rathausplatz in Bad Honnef zustrebte, um über die gerade laufende Veranstaltung im Kurhaus zu erfahren.

Das hat Litfaß nicht gewollt und erst recht nicht verdient: Der Anblick seiner Säule spottete jeder, vor allem der oben zitierten Beschreibung handwerklicher Sorgfalt in Hamburg. In losen Lagen, neben- und halb übereinander hingen alle möglichen Plakatlappen vereint in elender Schlamperei.

Wenn ich wenigstens etwas über die Veranstaltung im Kurhaus erfahren hätte. Aber der Informationszeitraum dieser Beleidigung des großen Ernst Litfaß reichte etwa vom August 2012 bis zu einer Adventsfeier am 8. Dezember 2013.

Dafür trägt natürlich allein der Auftraggeber die Verantwortung, weil er weder anständig bezahlt, noch das Material für Qualitätsarbeit zur Verfügung stellt.

Von Fachleuten der Außenwerbung verlautet, „dass Litfaßsäulen das Stadtbild durchaus prägen können. Vorausgesetzt, sie werden ordentlich betreut. Regelmäßig nehmen Mitarbeiter der Firmen die Säulen in Augenschein. Bei Bedarf wird die Werbebotschaft erneuert oder wieder festgeklebt. ´Die Litfaßsäule hat ihre Chance`, glaubt Tino Glöckner und bringt das Beispiel von Innenstädten mit verwinkelten Straßenzügen und Fußgängerzonen ins Spiel.“ *5)

Aber bleiben wir milde in der Vorweihnachtszeit. Sehen wir das Positive in Bad Honnef. Der Rathausplatz, die Stadt und ihre Parks sind blitzsauber gehalten. Und hören wir jetzt nicht auf die Zyniker. Die sagen, das liegt an den Kommunalwahlen im Mai 2014.

*1) Vgl. Die Schönheit der Säule, www.taz.de/1/archiv/archiv-start/?dig=2005/06/29/a0245; 29.06.2005 und: Ein Fest für den König der Reklame. Von Silvia Meixner, www.morgenpost.de, 23.05.05.

*2) ERNST LITFASS. König aus dem Mittelstand. Wie der Unternehmer Ernst Litfaß die Reklame revolutionierte. Von Steffen Damm, www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/5021, 05.01.2006.

*3) Geschichtswerkstatt St. Georg e.V., am 24. Februar 2009. Der Konflikt um Abbruch, Umsetzung und endgültigen Standort der Litfaßsäule dauert an …

*4) Litfaßsäulen in Soest bald Geschichte, hellwegradio.de/, 15.06.2009

*5) Litfaßsäulen. Die Exoten der Werbewelt, www.mz-web.de/bitterfeld/litfaßsaeulen, 13.02.2013. Das Beispiel Glöckners trifft auf Bad Honnef zu – ein Hoffnungsschimmer. Zumal das Rathaus nach dem Entwurf des großen Architekten Professor Joachim Schürmann als bleibendes Meisterwerk steht – mit den üblichen und durchaus nachrangigen Begleiterscheinungen … Auch die Litfaßsäule bekam ihren durchdachten Standort; unter Dach könnte der Bürger in rheinischer Ruhe bei jedem Wetter – windgeschützt und im Trockenen – die Botschaften lesen.

** Nachtrag 12.1.2014: Ich selbst – noch in diesem Jahr! Mit der Bemerkung zu Soest ist mir ein ganz schwerer Fehler unterlaufen, für den ich jeden Soest-Kenner um Entschuldigung bitte. Apropos Fehler, in Soest hatte auch Konrad Duden, dessen bemühter Schüler ich noch heute bin, als Lehrer gewirkt. Leider habe ich die „heimliche Hauptstadt Westfalens“, die nicht nur schön ist, sondern auch eine bedeutende Geschichte hat, falsch dargestellt. Dies bedaure ich umso mehr, als ein Buch über Westfalen – Josef Winckler, Pumpernickel – seit der Kindheit zu meinen Lieblingsbüchern zählt.