Rebell ohne Mandat.

So sehe ich derzeit Martin Schulz, den von mir für seine europäische Gesinnungstreue geachteten Präsidenten des Europäischen Parlaments.

Denn er lässt sich zu Äußerungen hinreißen, die EU-Wahlkampf und Machtinteressen vor die Sache der Politik gegenüber der europäischen Krise stellen. Insbesondere im Prozess des Aushandelns neuer Regeln für Aufsicht gegenüber und Abwicklung von Finanzinstituten.

Hier ist eine schwierige Sachpolitik geboten. Denn vom Finanzsektor ging die europäische Krise aus.

Erinnern wir die Abfolge: Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise. Im staatlichen Besitz befindliche IKB/KfW und deutsche Landesbanken – West-LB, Sachsen-LB, HSH-Nord, Bayern-LB – kosteten den deutschen Steuerzahler mindestens 50 Milliarden Euro. Nur durch die Finanzkrise, verursacht durch unfassbar leichtfertiges Risiko-Management mit Milliarden-Investitionen in US-Schrott-Hypotheken etc. etc. …

Schulz‘ Rebellion richtet sich gegen die ersten Schritte zu einer Bankenunion, auf die sich der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister der EU (abgekürzt Ecofin, RS) verständigt hat.

Ecofin hat – stark vereinfacht zusammengefasst – seit Oktober 2013 im wesentlichen beschlossen *1):

In der EU solle ein einheitlicher europäischer Mechanismus der Aufsicht über Finanzinstitute (SSM – Single Supervisory Mechanism) in Kraft treten. Auf dieser Grundlage könne die Europäische Zentralbank (EZB) etwa Ende 2014 als europäische Bankenaufsicht fungieren.

Zunächst werde die Krisenfestigkeit der europäischen Banken geprüft. Sind Banken in solch schlechter ökonomischer Lage, dass sie geschlossen („abgewickelt“) werden müssen, würden zunächst die Haupteigentümer, dann die Aktionäre, dann die Gläubiger der Bankschuldverschreibungen und schließlich die Sparer mit Einlagen über € 100 Tsd. herangezogen. Dieser neue Grundsatz wird als „Haftungskaskade“ zum Schutz des Steuerzahlers bezeichnet.

Dazu wird eine EU-Richtlinie erarbeitet. Diese Richtlinie zur Abwicklung und Sanierung von Finanzinstituten und das Einlagensicherungssystem sind Grundlage für eine EU-Bankenunion.

In den Verhandlungen verfolgte die Bundesregierung das Ziel *1), eine Lösung zu finden, die „eine rechtzeitige, effektive und effiziente Abwicklung von Finanzinstituten ermöglicht … die rechtssicher ist und die Haushaltshoheit der Mitgliedstaaten wahrt.“

Das Wort „rechtssicher“ deutet auf unser Grundgesetz und dessen Hüter, das Bundesverfassungsgericht. Denn dies besteht nach einschlägigem Urteil auf der Haushaltshoheit des Deutschen Bundestages: Es gebe verfassungsrechtliche Grenzen für den Transfer von Verantwortung an die Europäische Union.

Und weil die nationale Wirtschaftspolitik auch weiterhin die Wirtschaftslage von Banken beeinflussen wird, „darf es keine Vergemeinschaftung von Bankrisiken und Altlasten zu Lasten der Steuerzahler geben. Soweit die Beteiligung der Eigentümer und Gläubiger der Banken sowie durch Bankenabgaben gespeiste nationale Bankenrestrukturierungsfonds nicht ausreichen, müssen betroffene Mitgliedstaaten selbst für die Kosten einer Bankenrettung aufkommen, damit der Anreiz für eine nachhaltige nationale Wirtschaftspolitik erhalten bleibt.“ *1)

Wenn es Bundesfinanzminister Schäuble gelungen ist, diesen einleuchtenden Vorgaben Geltung zu sichern, gebührt ihm Respekt.

Und nicht die Androhung einer Rebellion durch Martin Schulz, gewürzt mit der Behauptung, eine breite Koalition über alle Fraktionsgrenzen im EU-Parlament hinweg werde die Ecofin-Beschlüsse stoppen.

Zwar hat EU-Parlamentspräsident Martin Schulz Recht, „das Europäische Parlament ist Mitgesetzgeber.“ Jedoch scheint er in der Frage der Bankenunion für einen EU-Zentralismus zu plädieren, indem er eine zentrale Rolle für die EU-Kommission vorsieht. Deren Präsident wolle – nach Medienberichten – Martin Schulz 2014 werden. Machtpolitik innerhalb der Europäischen Union!

Schulz‘ Kritik an den Ecofin-Beschlüssen *2) – „statt einer unabhängigen und schnellen Entscheidungsinstanz bei der Bankenabwicklung solle die Hoheit dafür bei den Mitgliedsstaaten bleiben“ – spricht dafür, dass die oben referierte Position der Bundesregierung nicht aufgegeben wurde.

Angesichts der komplizierten Materie sind die Bürger und die Sparer ohnehin darüber besorgt, was eine Reihe von EU-Krisenländern unter europäischer Solidarität versteht.

Jedenfalls nicht das bisher geltende Diktum der Bundeskanzlerin Merkel: Solidarische finanzielle Hilfe nur gegen von der Troika (IWF, EZB, EU-Kommission) überprüfte Reformen für Staatshaushalte ohne neue Schulden und wettbewerbsfähige Wirtschaft. Eher – so wird befürchtet – sei mit „europäischer Solidarität“ der „unabhängige und schnelle“ (Schulz) Griff in die Kassen der solide wirtschaftenden und um Wettbewerbsfähigkeit bemühten EU-Staaten gemeint.

In solcher Stimmungslage heizt der Europawahl-Kämpfer Martin Schulz uns ein, die Ecofin-Beschlüsse gingen „in eine besorgniserregende Richtung“. *3) Was heißt das denn? Werden im EU-Parlament länderübergreifende Wahlbündnisse geschmiedet ohne Rücksicht auf den dringenden europäischen Reformbedarf?

Einen europäischen Konflikt anzuzetteln – zwischen den EU-Mitgliedsländern und dem Ecofin-Rat einerseits und dem Europäischen Parlament andererseits – über den Reformweg aus der Krise ist nicht nur „besorgniserregend“, sondern ein unverantwortliches Verhalten des EU-Wahlkämpfers Martin Schulz.

Bürgern und Sparern in Deutschland, die dies nicht akzeptieren, bleiben zwei Möglichkeiten: Bei der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai 2014 nicht die von Martin Schulz angeführte Wahlliste zu wählen.

Oder – wenn seine Dohung mit der fraktionsübergreifenden Rebellion auf festen Absprachen beruhen sollte – überhaupt die Wahlenthaltung.

Damit würde dem Europäischen Parlament von den Bürgern gezeigt, dass es gegenüber dem Europäischen Rat und den dahinter stehenden mit „one-man-one vote“ gewählten Regierungen nicht nur ein Transparenz-, sondern auch ein Demokratie- und ein Legitimationsdefizit hat.

Und zusätzlich könnte dem EU-Parlament bei solch maßloser Machtpolitik ein Vertrauensdefizit bei vielen Bürgern, Sparern und Steuerzahlern in unserem Land drohen. Und das hätte nichts, aber auch gar nichts mit dem Wunsch nach Re-Nationalisierung oder gar Europa-Feindlichkeit zu tun.

*1)www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Europa/ECOFIN_und_Eurogruppe/2013-10-18-bankenunion-nimmt-form-an.html.
Die Aufgaben des ECOFIN-Rates sind: „Koordinierung der Wirtschaftspolitik, die wirtschaftspolitische Überwachung und Überwachung der Haushaltspolitik und der öffentlichen Finanzen der Mitgliedstaaten, der Euro (rechtliche, praktische und internationale Aspekte), die Finanzmärkte und der Kapitalverkehr, die Wirtschaftsbeziehungen zu Drittländern sowie Steuerangelegenheiten“ (a.a.O).

*2) Martin Schulz rebelliert gegen die Pleitebanken-Beschlüsse, faz.net 19.12.2013.

*3) Schulz will Bankenunion platzen lassen, zeit.de, 19. Dezember 2013.