Märkte, Kunden – kalter Kaffee?

Wir haben eine große Koalition der Sozialpolitiker. Wir haben eine links-grüne Opposition.

Wir haben im Deutschen Bundestag keine politische Kraft, die konsequent für wirtschaftlichen Wettbewerb eintritt. Im Mai 2014 haben wir die Wahl zum Europäischen Parlament.

Ein guter Grund für Sozialliberale, einen Blick auf eine profilierte wirtschaftsliberale Persönlichkeit zu werfen.

Die für die „Digitale Agenda der EU“ verantwortliche Vizepräsidenten der EU-Kommission, Neelie Kroes, kämpft für „Offenheit, Freiheit und Innovation“ im Internet: „Ich weiß, dass die Konsumenten über ihre schlechte Behandlung empört sind. Empört über die Unternehmen, die rückwirkend und undurchsichtig vertragliche Vereinbarungen und Bedingungen ändern. Empört über Verträge, die nicht offenlegen, welche Qualität und Geschwindigkeit der Kunde tatsächlich bekommt.“ *1) Davon können wir alle ein Lied singen.

„Von allen Wirtschaftssektoren darf es erst recht in der Telekommunikation keine Grenzen geben. Nicht ohne Grund heißt es das worldwide web. Es gibt keinen anderen Sektor in unserem unvollendeten Binnenmarkt, wo die Barrieren des Zugangs so sinnlos und dennoch so hoch sind. Die Zeit für Wandel ist gekommen … Alle politischen Bausteine sind da: Die Bürger wollen, dass ihre Frustation ernst genommen wird. Wenn die künstlichen Barrieren weg sind, werden mehr Unternehmen investieren. Die nationalen Regierungen fordern uns auf zu handeln.“ *2)

Die energische niederländische Liberale (VVD) Neelie Kroes fordert für die Nutzer des Internet: „Märkte müssen funktionieren, Geräte müssen funktionieren, Netzwerke müssen funktionieren und Investitionen müssen ermöglicht werden.“

Dies ist eine Agenda für „die junge Generation, die sich am meisten um Vernetzung bemüht, … die eine starke und digitale Wirtschaft braucht, um der Arbeitslosigkeit zu entkommen … Aber auch an die alternden Menschen müsse gedacht werden, die digitale Dienste benötigen, um gesund und aktiv zu bleiben, um ihre Würde und Unabhängigkeit zu bewahren.“ Neelie Kroes verspricht, dass sie für diese Zukunftsagenda bis „zu meinem letzten Atemzug kämpfen wird.“ *2)

Diese „No Disconnect Strategy“ der EU wird noch einige Zeit benötigen, bis sie breitere Resonanz in der politischen Bildung finden wird.

Aber Wettbewerb, Marktzugang, Schutz der Verbraucher und die in der globalen Wirtschaft wachsende Notwendigkeit, den Missbrauch von politischer oder wirtschaftlicher Macht zu bekämpfen, sind Anliegen, die nicht warten können.

Gerade nicht in der Zeit einer großen Koalition von Sozialpolitikern in Deutschland, die auch auf Europa durchschlagen wird. Dass Sigmar Gabriel „demokratiekonforme Märkte“ forderte, mag als Warnsignal bedacht werden.

Deshalb soll hier an den Wert und Nutzen funktionierenden Wettbewerbs auf Märkten für Verbraucher vor dem Hintergrund gesamtdeutscher Erfahrungen erinnert werden.

Am Beispiel eines unverzichtbaren Gutes, das uns auch über Tage hilft, wenn die sich endlos ziehen. Am Beispiel des Kaffees, in allen denkbaren Varianten. Schon der Klang von Worten wie Arabica, Mokka oder von Zutaten wie Zimt und Kardamom kann helfen.

Nur einige wenige Daten zum Kaffeemarkt vorweg.

Aus dem Gesagten ergibt sich bereits, dass die von den Verbrauchern in aller Welt nachgefragte Menge des Genussmittels Kaffee nicht allzu sensibel auf Preissteigerungen reagiert.

Von der ausgeführten Kaffeemenge (Zahl der Kaffeesäcke zu 60 kg) der 10 größten Exportländer entfielen im November 2012 auf die vier Spitzenreiter (Brasilien, Vietnam, Indonesien, Kolumbien) 83 Prozent. Allein das bei weitem größte Kaffee-Anbauland, Brasilien, steuerte mit rd. 2,8 Mio. 60 kg-Säcken 36 Prozentpunkte zu diesem Ergebnis bei. *3)

Deshalb ist ein wesentlicher Bestimmungsgrund für die Kaffeepreise die Ernte in Brasilien. Dort fängt im Mai der Winter mit Frostgefahr an: „Kein Wunder also, dass der Kaffeepreis im Mai regelmäßig anzieht.“ *4) Pflanzenkrankheiten oder das Wetter in Brasilien sind für die Kaffeemärkte und ihre Beobachter immer Anlass zu Sorge.

In den letzten 10 Jahren fluktuierten die Dollarpreise für 60 kg-Säcke Arabica mit Spitzen-Ausschlägen von 160 Dollar (2004-2005) und mehr als 200 Dollar (2007-2008). Derzeit geht es bei den Preisen für Arabica ruhiger zu. Brasiliens Ernte war von mildem Regenwetter begünstigt. Einbußen durch die Pilzkrankheit Roya, die in Mittelamerika zu schweren Verlusten führte, konnten vorerst ausgeglichen werden.

Vom Kaffeepreis, den wir Konsumenten zahlen, entfallen nur 5 % auf Löhne für die Arbeiter in den Anbaugebieten; 8,5 % auf die Plantagenbesitzer; 17,8 % auf Röster und Großhändler; 23,7 % auf den Einzelhandel und 45 % werden für Steuern, Zölle und Frachtkosten verausgabt (Kaffeewiki.de, 2006). Deshalb pflegen Kaffeeanbieter und große Kaffeehäuser (z.b. Starbucks) ein betont sozial und ökologisch orientiertes Konzern-Image.

Deutschland ist einer der größten und verlässlichsten Absatzmärkte für das Genussmittel. Im Mai 2011 wurden insgesamt rd. 1,8 Mio. Kaffeesäcke à 60 kg von uns importiert. *5) Damit hätten wir fast zwei Drittel der brasilianischen Exportmenge absorbiert.

Deutschland ist und war ein einig Vaterland der Kaffeetrinker. Wenige Güter haben die Deutschen vor der Wiedervereinigung so verbunden wie der Kaffee: „Jacobs Krönung“, z.B., ging nach drüben, um den Brüdern und Schwestern „Erichs Krönung“ zu ersparen.

Der folgende Bericht stützt sich auf eine TV-Sendung im Schlüssel-Monat Mai für Kaffee in der DDR (04.05.2013) und Wikipedia „Kaffeekrise in der DDR“.

Meine Sympathie beim Blick auf die DDR-Kaffeekrise gehört den Sachsen. Die hatten viel zu entbehren. Die leckeren „Anschoviss und Sartällen“ wie auch der Kaffee hatten es schwer, bis Sachsen zu gelangen. Was die Meckelbörger in ihren Häfen nicht abzwackten, blieb gern in Ostberlin hängen.

Erzählt mir nichts; ich habe oft im Hafen gearbeitet. Da passiert gerade auch erfahrenen Schauerleuten, dass interessante Kisten oder Kartons beim Entladen auf die Eckkante krachen, aufbersten – und keiner kann mehr sagen, was ins Wasser gefallen ist.

Und nun kommen endlich die wegen ihrer „Vigilanz“ (sprich: Fischelantz) bewunderten Sachsen zu Wort.

Etwa so: „Schehner Gaffee mit Sträuselguchen zum diddschen – ich bin richtsch gaffeesüchtsch. De Mutti hat gar ne so viel Gaffee gegooft. Kahm ä Bäckschn aussm Wästdn, hamm mer glei nei geguggt, ob Gaffee drinne is. Das andre Gelummbe kahm sofott wäck ins Püwwee. Damit de fischelante Nachbarin ne sehn kann, was im Bäckschen war. Ah … Gaffee baut auf, da sieht de Wält glei andersch aus.“

Und dann kam der Winter 1976 mit strengem Frost in Brasilien – die Kaffee-Ernte war perdu. Die Preise schossen hoch; in der DDR stieg der Devisenbedarf für Rohkaffee auf mindestens das Vierfache, nie gekannte 300 Mio. US-Dollar im Jahr. Die Versorgung mit Kaffee wurde Chefsache, jenseits des zuständigen „VEB Kombinats Nahrungsmittel und Kaffee Halle/Saale (NAKA)“ – Erich Honnecker schaltete sich ein.

So kam zu Mona, Rondo und Ramona der „Kaffee-Mix“ aus nur 51 % echten Bohnen. Das war ein folgenschwerer Fehler. Der Restbestand an echten Kaffebohnen wurde „verblembert fir ä Gepräu, kei bissel Bohngeschmakk.“

Dazu „gaffeekundsche und süchtsche Sachsen: Mir ham viel ausgehalden, unn dafir so eene Lursche, ich brauch glei Magentropfen. Jacobs Kaffee war de Kreenung. Kaffee-Mix,´Erichs Krönung`, war do Gipfel. So eene Blämbe, de reene Bliemchengaffee.“

Die Kaffee-Not trieb die Menschen in die Restaurants. Kaffee-Kännchen wurden nicht mehr serviert, nur noch Tassen. Im Gedränge wurde viel „zordeppert“. Harte Zeiten für die Serviererinnen. Die Stimmung war „kiefsch mit stäntjem Gekrutsche“. Und der Kaffee-Mix, „de Blämbe“, hatte Nebenwirkungen, nicht nur Durchfall. Nicht wenige Kaffeemaschinen explodierten, weil der hohe Eiweißanteil wegen der „Arbsen im Mona-Mix“ die Filter der Maschinen verstopfte.

In der DDR kam revolutionäre Stimmung auf. Millionen Beschwerdebriefe „an de Fiehrung. Gefürchtsch hapsch ma ne.“

Die fähigsten und sicher menschlichsten Planungschefs arbeiteten bis zur Erschöpfung an Lösungen.

Werner Lamberz, Mitglied des SED-Politbüros, erfand das Tauschgeschäft „blaue gegen braune Bohnen“ mit Äthiopiens Mengistu-Regime, das Waffen brauchte, um das rebellische äthiopische Volk niederzuhalten. Hoffnung kam in der DDR auf: „Ein Schiff wird kommen“ (Melina Mercouri/Lale Andersen) wurde zum Bohnenkaffee-Lied umgedichtet. Herr Lamberz erarbeitete sich die Rolle eines Hoffnungsträgers für eine Nachfolge Erich Honeckers. 1978 kam er auf einer Dienstreise, bei der er sich rastlos um Kaffee-Tauschgeschäfte bemüht hatte, durch Absturz des Hubschraubers in der libyschen Wüste ums Leben.

Für seine Verdienste gebührte Herrn Lamberz 30 Jahre nach der Kaffeekrise aus Sicht der LINKEN 2007 eine Gedenkstele in Luckenwalde, wo der tüchtige Mann aufgewachsen war. Und als junger Heizungsmonteuer hohe Fachkunde bewiesen hatte, indem er die Bürokraten des Rathauses warm hielt. Letztlich verhinderten politische Skrupel etc. dieses keineswegs ehrenrührige Vorhaben.

Gerhard Schürer, DDR-Planungschef, strebte eine nachhaltige, entwicklungspolitische Lösung an. Er brachte den vietnamesischen Freunden erfolgreich die Idee des Kaffeeanbaus nahe. Mit der Schaffenskraft, die dieses Volk auszeichnet, ging es ans Werk.

Gerade als die ausgedehnten Plantagen erste Ernten abwarfen, kam allerdings die Wende 1989. Auch dank Herrn Schürer ist Vietnam nach Brasilien heute der zweitgrößte Kaffee-Exporteur der Welt.

Herr Schürer hatte das Format, einer Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages mitzuteilen: „Die Marktwirtschaft hat sich geschichtlich in ihrer Innovationskraft der von uns praktizierten Art der zentralen Planwirtschaft überlegen erwiesen.“ *6)

Können wir uns – zufrieden mit unserer Sozialen Marktwirtschaft – zurücklehnen? Keinesfalls. Die Aussage Gerhard Schürers soll nicht bestritten werden. Viele ökonomische Bücher wurden zum Konzept der „Workable Competition“ (John M. Clark) bzw. des „funktionsfähigen Wettbewerbs“ (Erhard Kantzenbach) geschrieben.

Auch Wettbewerb und Innovation auf Märkten, deren Anbieterseite dem wettbewerbspolitisch akzeptablen „weiten Oligopol“ (d.h. mehrere intensiv konkurrierende Groß-Anbieter, RS) entspricht, schließen nicht aus, dass der Konsument als Kunde von den Konzernen schäbig behandelt wird. Wie die eingangs zitierte EU-Kommissarin Neelie Kroes für den Telekommunikationsmarkt geurteilt hatte. Der für solche Märkte kennzeichnend hohe Grad der Produktdifferenzierung macht es für Konsumenten auch nicht leicht, mit den Füßen abzustimmen.

Dafür hier ein Beleg.

Dieser Blogger und Konsument benötigt für die handwerklich aufwändig, individuell hergestellte Espresso-Variante ohne Maschine neben anderen Zutaten einen (1) „Jacobs Typ Espresso-Stick“. Für die Crema. Genau dieser enthält die erforderlichen zwei Teelöffel „löslichen Bohnenkaffee“.

Dieses Produkt wird von dem internationalen Lebensmittelkonzern „Mondelêz“ über Mondelez-Deutschland hergestellt und vertrieben. Der Firmenname ist ein Kunstwort aus „Welt“ („Monde“) und „genießen“ (delektieren). Der Name ist Programm.

Das Leitbild der Firma: „Wir machen Produkte, die den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Produkte zum Genießen, Auftanken und Durchstarten. Für kleine köstliche Momente, die uns immer daran erinnern, jeden Tag aufs Neue zu genießen. Köstliche Glücksmomente zu schaffen – Das ist unser Traum. Das ist unsere Motivation.“

Ebenso vorbildlich ist das soziale Engagement von Mondelez: „Wir engagieren uns sozial an den Orten, in denen wir leben und arbeiten. Als Lebensmittelhersteller glauben wir, dass wir eine Verantwortung für die Bekämpfung von Hunger in der Welt haben.“

Wer mag sich da beschweren? Dieser Blogger will es. Denn er musste feststellen, dass 4 von 25 „Portionssticks Jacobs Espresso“ nur die Hälfte der gebotenen Menge für das Versprechen enthielten: „Tag für Tag schenken unsere Mitarbeiter unseren Konsumentinnen und Konsumenten köstliche Momente der Freude …“

Dies glaubte ich, nicht zuletzt der Firma Mondelez Deutschland und ihren MitarbeiterInnen schuldig zu sein. Sorgfältig wurde nach der Nummer der Charge gesucht. Hier das per E-mail auf Firmenformular eingesandte feed-back des kooperativen Konsumenten mit Datum vom 09.11.2013.

„Betr.: Jacobs Espresso Sticks Nr. ZEH0133052 – Reklamation Endkunde.

Seit Jahren bereite ich täglich 2 Tassen eines Kaffee-Mix, zu dessen Zutaten notwendig 1 o.a. Espresso-Stick (2 gehäufte Teelöffel) gehört. Zum ersten Mal muss ich feststellen, dass 4 Sticks in der o.a. Stickpackung nur zur Hälfte mit dem Espressopulver gefüllt waren.
Ich hoffe, diese Information ist für Ihr Bestreben nach Zufriedenheit des End-Verbrauchers ebenso wichtig wie für Ihre Qualitätskontrolle.
Beste Grüße
Reinhold Sohns“.

Der Eingang wurde bestätigt: „Kontakt Eingangsbestätigung: Wir haben Ihre E-Mail erhalten und werden Ihre Anfrage schnellstmöglich bearbeiten. Sa. 9.11.13 10.45 Uhr.“

Dies war das erste und letzte Mal, dass ich von der Weltfirma hörte. Die mir Tag für Tag „köstliche Momente“ schenken möchte.

Anspruch und Wirklichkeit. Empörung reicht nicht. Bürger wehrt Euch. Von der schweigenden Mehrheit zur bloggenden Mehrheit. Zerrt sie an die Öffentlichkeit. In diesem Fall: Herrn Hubert Weber, President Coffee, Mondelez Europe.

*1) Neelie Kroes, Safeguarding the open internet for all, 18/07/2013 (Übers., Hervorhebung RS)

*2) The politics of the completing the telecoms single market, Brussels, 30 May 2013, European Parliament SPEECH/13/484 by Neelie Kroes, Vice-President of the European Commission responsible for the Digital Agenda (Übers., Hervorhebung RS)

*3) Quelle: http://de.statista.com/; Ranking der kaffeeexportierenden Länder nach Exportmengen (in 60 Kilo Säcken) im November 2012 (eigene Berechnungen, RS).

*4) Goldman Sachs senkt den Daumen. Droht Kaffee das gleiche Schicksal wie Gold? Von Angela Göpfert, boerse.ARD.de, Stand: 26.04.2013.

*5) Quelle zu *3): Kaffee-Importmenge nach Deutschland von Januar 2011 bis Juni 2013 (in Millionen 60-kg-Säcken).

*6) „Gewagt und verloren“, Gerhard Schürer, der ehemalige Chefplaner der DDR, hat sich mit der Marktwirtschaft arrangiert. Von Klaus Peter Schmid; zeit.de, 05. September 1997.