Europäische Familie.

Mitten in der größten Zerreissprobe Europas wurde der Friedensnobelpreis an die Europäische Union verliehen.

„Das Norwegische Nobelkomitee wünscht den Blick auf das zu lenken, was es als wichtigste Errungenschaft der EU sieht: den erfolgreichen Kampf für Frieden und Versöhnung und für Demokratie sowie die Menschenrechte; die stabilisierende Rolle der EU bei der Verwandlung Europas von einem Kontinent der Kriege zu einem des Friedens.“

Vor 66 Jahren setzte Winston Churchill an der Universität Zürich einem von Deutschen verwüsteten Europa und der Welt neue Ziele: „Unser unabänderliches Ziel muss sein, die UNO aufzubauen und zu stärken. Unterhalb und innerhalb dieser Konzeption der Welt müssen wir die Europäische Familie wieder erschaffen in einer regionalen Struktur, die als Vereinigte Staaten von Europa bezeichnet werden mag.“ (Übers. RS).

60 Jahre sind seit Gründung der Montanunion, dem Gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl, vergangen. Und 55 Jahre seit Abschluss der Römischen Verträge, mit denen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft begründet wurden.

Untrennbar sind diese Wegmarken mit den Namen Jean Monnet, Robert Schumann, Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer verbunden. Am klarsten hatte der Ministerpräsident Luxemburgs, Joseph Bech, ausgedrückt, was diese großen ersten Schritte bedeuteten: „Ceterum censeo, Europa esse construendam.“

Und dazu passen am besten drei Kommentare. Helmut Kohl: Der Friedensnobelpreis „ist auch eine Ermutigung für uns alle, auf dem Weg des geeinten Europa weiter voranzugehen.“ Gerhard Schröder: Die Entscheidung „stärkt die Kräfte, die sich für eine weitere Integration der Europäischen Union einsetzen“. Angela Merkel: „Das ist Ansporn und Verpflichtung zugleich …“

Jede große Stunde zeigt zugleich, wo die kleine Denkweise vorherrscht. Trittin: „Und wer nimmt für uns .. in Oslo den Preis entgegen?“ Für einen SPD-Vorsitzenden vom Zuschnitt Sigmar Gabriels musste dies als Signal für den großen politischen Vorstoß wirken.

Der Präsident des Europäischen Parlaments solle den Preis am 10. Dezember in Oslo für die gesamte vom Nobelkomitee gewürdigte Europäische Union entgegennehmen, forderte Gabriel gegenüber „Spiegel Online“: „Martin Schulz ist der Repräsentant der Bürgerinnen und Bürger Europas.“

Der Spiegel kommentiert zum Thema „Politiker streiten über Zeremonie in Oslo“: „Schulz ist ein Parteifreund des Sozialdemokraten. Ein Genosse, der den Friedensnobelpreis entgegennimmt – das würde Gabriel sicherlich gut gefallen.“

So stellt sich also die Partei dar, die seit ihrem Heidelberger Programm von 1925 für die „Vereinigten Staaten von Europa“ eintritt. Da blickt man nicht ohne Respekt auf Spanien. Unberührt vom kleinsten deutschen Karo bewahren die Spanier ihren Blick für historische Größe. Am 12. Oktober war für sie „Fiesta Nacional de España y Día de la Hispanidad“. Zum Gedenken an den ersten Kontakt Spaniens mit Amerika im Jahre 1492.

Allein dies nimmt für die Europäische Union ein – Einheit in Vielfalt.

Regen wir uns also nicht über Herrn Gabriel auf. Vergessen wir nicht, Sir Winston Churchill hatte von einer „Europäischen Familie“ gesprochen.

Nachdem soviel erreicht wurde, können wir hinnehmen, dass es gelegentlich in Europa wie in einer Familie zugeht. Wie bei Hempels unterm Sofa eben. Und wenn das Nobelkomitee, das gar nicht Mitglied der EU-Familie ist, die noblen Eigenschaften dieser Familie – Versöhnung, Solidarität – auszeichnet, dann lässt auch das Geschacher von Herrn Gabriel über die politische Verteilung der Würde des Friedensnobelpreises kalt.

So geht es eben zu in jeder Familie, auch der europäischen, wenn plötzlich etwas zu verteilen ist. Nicht ohne Grund lachen Norddeutsche, wenn eine Familie für ihren Zusammenhalt gerühmt wird oder sich selbst preist: „Heff ji all arv?“