Peer Steinbrücks Wahlauftakt.

Für das Amt des Bundeskanzlers ist Peer Steinbrück hervorragend qualifiziert. Dennoch: Seine Chancen sind sehr ungewiss.

Denn er tritt zu spät an, obwohl Herr Gabriel einen noch späteren Termin für die Kandidatenkür wollte. Die Bundeskanzlerin hat sich in der Krise der Eurozone Respekt in Deutschland und Europa erarbeitet. Ihre politischen Grundsätze – Solidarität nur unter den Bedingungen finanzpolitischer Solidität, des Sparens und Reformierens für Wettbewerbsfähigkeit – leuchten den meisten Bürgern ein. Die Bürger vertrauen ihrer Aussage, die „Konturen einer Stabilitätsunion“ seien inzwischen deutlich erkennbar, ebenso erste Ergebnisse der harten Reformmaßnahmen in den Krisenländern der Eurozone. Die Kanzlerin stellte für diese Länder fest: Sinken der Lohnstückkosten, zunehmende Wettbewerbsfähigkeit und Industrieproduktion, abnehmende Defizite in Leistungsbilanzen und öffentlichen Haushalten (Regierungserklärung, 18.10.2012).

Der brandneue Kandidat Steinbrück – im Willy-Brandt-Haus heißt es „wie Kai aus der Kiste“ – hat den richtigen Ansatz: Seine Botschaft richte sich vor allem an 62 Mio. Wähler, nicht allein an 500 Tsd. SPD-Mitglieder. Jedoch verantwortet Sigmar Gabriel, dass sich die meisten Bürger inzwischen nur noch Frau Merkel als „Fels in der Krisenbrandung“ vorstellen können.

Im Bundestag hat Peer Steinbrück wie die Bundeskanzlerin mit zunächst staatsmännischen Worten für europäische Gemeinsamkeit geworben. Was „Europa zu bieten hat, ist einmalig in der Welt: Gewaltenteilung, Achtung der Menschenrechte, Minderheitenschutz, Sozialstaatlichkeit, unabhängige Gerichte, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit, die Trennung von Staat und Kirche – das Erbe der Aufklärung … Kein Rettungsschirm und keine gemeinschaftliche Anstrengung sind deshalb zu groß, um dieses Europa für 500 Millionen Menschen, ihre Kinder und ihre Kindeskinder zu bewahren. Kleinmut würde dem nicht gerecht. Deutschlands Zukunft ist Europa. In diese Zukunft werden wir investieren müssen, genauso wie wir in die deutsche Wiedervereinigung investiert haben … So schwer es auch sein wird: Wir dürfen nicht zulassen, dass aus diesem in 60 Jahren gebauten europäischen Haus einzelne Steine wieder herausgebrochen werden. Dies gilt auch dann, wenn einzelne Staaten Fehler und Versäumnisse zu verantworten haben wie Griechenland und wenn sie mit die Ursache für eine Krise ihrer eigenen Volkswirtschaft sind.“

Aber er hat im Deutschen Bundestag auch den Wahlkampf eröffnet. Steinbrück hat zu Recht schwere Vorwürfe gegen die Bundeskanzlerin erhoben: z.B. dass die Kanzlerin CSU-Hetze gegen Griechenland zu lange zugelassen habe. Aus seiner Sicht sei ihre Politik durch Versäumnisse, 180-Grad-Wenden und Appelle an Ressentiments geprägt. All dies hat Steinbrück effektvoll angeprangert.

Dann kritisierte Steinbrück, dass wegen der Politik der Bundeskanzlerin den Krisenländern zu spät und nicht massiv genug geholfen wurde. Kaputtsparen „wie die Brüning`sche Sparpolitik Anfang der 1930er-Jahre“, auch noch dies Versatzstück des DGB kam zu Ehren. Und noch mehr Schulterschluss zu den Gewerkschaften: „Die ökonomischen Perspektiven für die Euro-Zone sind für das nächste Jahr alles andere als gut. Viele Länder werden in einer Rezession landen, und auch in Deutschland hat die goldene Zeit von 2010, 2011, 2012 erkennbar und absehbar ein Ende. Es wird die Frage auftauchen, ob Sie nicht gegebenenfalls auch die Kurzarbeitergeld-Regelung wieder reaktivieren müssen, wie das die Gewerkschaften längst fordern, mit Blick darauf, dass insbesondere Maschinenbau und Automobilbau wieder eine Situation erleben, die dies erfordert.“

Die Stabilitätsunion sei „eine Fata Morgana“, und „Not zerstört Demokratie. Hunger frisst gesellschaftliche Stabilität, meine Damen und Herren.“ Verstört dachten wir bei diesem rhetorischen Trommelfeuer an „Angst essen Seele auf“.

Januskopf-Rede, staatsmännisch und dann parteiisch, sehr polemisch. Guter Wahlkampf? Welche Wahl wurde in der Bundesrepublik mit innenpolitischer Negativ-Botschaft gewonnen? 1953, 1957? Könnte das Trommelfeuer nach hinten losgehen? Bei solch düsteren Perspektiven, die der Herausforderer zeichnet, könnte bei vielen Bürgern eine alte Haltung wieder aufleben: „Keine Experimente!“