Extremismus aus dem Elfenbeinturm.

Jede akademische Zunft wird ihre internen Probleme haben.

Deshalb habe ich den „Angriff auf den Elfenbeinturm“, der an Universitäten forschende „Volkswirte für die Finanzkrise mitverantwortlich“ machte, *1) als Ablenkungsmanöver der tatsächlich Verantwortlichen empfunden.

Die Verantwortlichen für das Desaster sind nicht zuletzt in der US-Wohnungsbaupolitik seit Bill Clinton und z.B. in Deutschland bei den gewerkschaftlich-politisch kontrollierten Aufsichtsräten der Landesbanken zu finden. Auch eine Reihe beruflich zuständiger Beobachter der US-Wirtschaft könnte sich diesen Schuh anziehen.

An langjährigen Warnungen von herausragenden Ökonomen, z.B. in der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und der EZB (Jean-Claude Trichet), hat es jedenfalls nicht gefehlt. Diese Warnungen wurden von den für die Finanzanlagen verantwortlichen Managern und Aufsichtsräten ignoriert.

Gleichwohl werden die Ökonomen der Universitäten geprügelt: z.B. von Professor Adam Posen, dem „renommierten amerikanischen Juristen und Volkswirt, der … den US-Kongress berät“. „Die Finanzkrise habe seine Zunft »beim Nickerchen im Kontrollraum erwischt«, sagte er vor einiger Zeit dem New Yorker. Dort schlummerten viele der auf Lebenszeit angestellten Kollegen mit ihren Heerscharen arbeitswilliger Doktoranden bis heute.“*1)

Ob auch Prof. Posen, dieser herausragende Politikberater, die US-Politik rechtzeitig vor der aufziehenden Finanzkrise gewarnt hat? Wir wollen es gern annehmen. Ihm aber doch entgegenhalten, dass der für Finanzanlagen mit desaströsen Folgen verantwortliche „Kontrollraum“ nicht an den Universitäten zu suchen ist.

Hat der Vorwurf der Faulheit und Schlafmützigkeit, den Prof. Posen erhoben hatte, nun eine Reihe akademischer Ökonomen im „Elfenbeinturm“ zu politischem Engagement der besonderen Art angespornt?

Mitten im Wahlkampf für die Bundestagswahl im September rufen 70 „Gründer und Hauptzeichner“ – gut die Hälfte davon Professoren – „dazu auf, sich der Partei Alternative für Deutschland anzuschließen. Die Alternative für Deutschland fordert die Auflösung des Euros zugunsten nationaler Währungen oder kleinerer Währungsverbünde.“ Diese Forderung ist der Kern des Projekts. Alle übrigen Forderungen dienen dem Ziel, das Vorhaben so respektabel aussehen zu lassen wie die Initiatoren. (www.alternativefuer.de/).

Dabei appellieren die AfD-Initiatoren, die sich überwiegend in privilegierten akademischen bzw. Ruhestandspositionen befinden, von oben an „das Engagement von unten“. Denn „unbeirrt von der schwersten Krise in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sind CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne einer Meinung: Der Euro ist eine Erfolgsgeschichte, die erhalten bleiben muss, koste es, was es wolle.“

Dieser Meinung über den Euro sind natürlich nicht nur die angesprochenen Parteien des Deutschen Bundestags, sondern auch die verantwortlichen Entscheidungsträger in der EU-Kommission, der Euro-Gruppe, der Europäischen Zentralbank (EZB), des Internationalen Währungsfonds (IWF), die Parlamente der Euro-Mitglieder und das Europäische Parlament.

Berücksichtigt man nun diesen großen Kreis überwiegend direkt oder indirekt demokratisch legitimierter Verantwortlicher und die bisher erreichten Erfolge auf dem langwierigen Weg aus der europäischen Schulden- und Vertrauenskrise, so darf man die legitime Anti-Euro-Initiative der AfD wohl als extreme Position bezeichnen.

Dennoch wirft die AfD allen Verantwortlichen für den Erhalt der Euro-Währungsunion vor, „maßlos und unverantwortlich“ zu sein und nimmt allein für sich in Anspruch, aus „ernster Sorge um die Zukunft unseres Staates“ zu handeln. Und dass bei uns, der AfD, „der Mensch im Vordergrund“ steht. Verfallen wir jetzt nicht in die Versuchung, es bei der Beobachtung zu belassen, dass dies wieder einmal der typische Ausdruck akademischer Prätention einiger Weniger sei.

Bleiben wir bei den akademischen Ökonomen, aber bei einem Einzigen, dem Nobelpreisträger für Wirtschaft 1999, Robert A. Mundell.

Bei der Preisverleihung würdigte Professor Torsten Persson *2) Robert Mundell: „The methodology you introduced several decades ago still forms a solid foundation for research and teaching in international macroeconomics. Indeed, your contributions reshaped this field. The questions you asked anticipated important changes in monetary arrangements and capital markets with almost prophetic foresight. Thus, your work is a superb reminder of the importance of basic research.“

Wenn Professor Persson von „prophetischer Voraussicht“ in den Forschungsarbeiten Robert Mundells sprach, bezog er sich auf dessen Beiträge zu Währungsunionen. Diese weisen Robert Mundell als einen der entscheidenden Vordenker der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion aus.

In einem Beitrag aus dem Jahr 1998 *3) resümierte Mundell seine Forschungsergebnisse zu den Motiven, warum Länder eine Währungsunion aufbauen bzw. ihr beitreten. Zentrale Gründe dafür sind aus Mundells Sicht, eine gemeinsame Verantwortung für monetäre und finanzpolitische Stabilität institutionell zu sichern als Grundlage für den Weg von einem Gemeinsamen Markt zu einer Politischen Union.

Damit würde zugleich der Gefahr begegnet, dass spezielle Interessengruppen den Wechselkurs für enge Profitinteressen manipulieren: Spekulation auf Abwertung der Landeswährung, d.h. sinkenden Außenwert, um Gewinne aus kurzfristigen Vorteilen beim Güter-Export oder z.B. aus Rückführung von Vermögenserträgen im Ausland (Kapitalimport) zu erzielen; Spekulation auf Aufwertung der Landeswährung, d.h. steigenden Außenwert, um kurzfristig von verbilligten Güter-Importen zu profitieren oder günstig Vermögen in anderen Währungen anzulegen (Kapitalexport).

Kein Wunder, dass Finanzinvestoren wie George Soros und ihre Anhänger bei jeder politisch opportunen Gelegenheit überaus Euro-kritisch auftreten! Welche Gefahr von solchen Persönlichkeiten und solcher Denkrichtung ausgehen kann, macht Robert Mundell deutlich: Ein Land sei z.B. dann gegen eine Währungsunion, „wenn es den Wechselkurs nutzen wolle als beggar-thy-neighbor Instrument, um andere Länder um Arbeitsplätze zu bringen.“ Oder um kurzfristig – ungehindert von Stabilitätsmechanismen einer Währungsunion – eine eigenständige Inflationspolitik oder eine Politik expansiver Staatsausgaben zu betreiben. Das sind die Leute und die Denkweise, vor der Bundeskanzlerin Merkel zu Recht warnt: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“

Den Professoren von der AfD sei – im Sinne der Freiheit von Wissenschaft und Forschung – ein wenig Selbstbesinnung auch auf die Privilegien nahegelegt, die ihnen von der Gesellschaft eingeräumt werden: Von der auskömmlichen, lebenslangen Sicherheit und Unabhängigkeit bis hin zur Präsenzpflicht von etwa 8 Wochenstunden bei Vorlesungen und Seminaren im Halbjahr der Vorlesungszeit. Treiben sie den Wahrheitsanspruch nicht etwas weit? Selbst bei solch vorsichtigem Hinweis ist die Wirkung skeptisch zu beurteilen. Das gilt sicher erst recht für den Grundsatz der Treuepflicht bei Beamten: „bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben.“

Zu ihrem Anti-Euro-Beitrag könnten sich die AfD-Professoren Peter Handkes Überlegungen zum Engagement aus dem Elfenbeinturm vergegenwärtigen: „Litterature engagèe können .. nur reine Manifeste, Theorien, Programme, Aufrufe sein. Also ist eine „engagierte Literatur“ keine Literatur.“ *4) Und ebenso ist das Anti-Euro-Engagement der AfD-Professoren keine Wissenschaft, sondern populistischer Appell.

Der große Ökonom Robert Mundell warnte: „Ein internationales Währungssystem ist leichter zu zerstören als wieder aufzubauen. Es war leicht genug für ein paar Amateure, im August 1971 in wenigen Stunden das internationale Währungssystem zu zertrümmern. Man vergleiche dies mit den langwierigen Verhandlungen, die zu den Vereinbarungen von Bretton Woods führten.“ *3)

Mario Draghi, Präsident der EZB, hat in einer Pressekonferenz am 4. April 2013 Äußerungen scharf zurückgewiesen, „wonach Zypern oder andere Länder aus dem Euro austreten könnten. Die Restrukturierung ihrer Banken und Wirtschaft sei außerhalb des Euro schwieriger. Wer einen Euro-Ausstieg fordere, der verkenne die Bedeutung des Euro für die Europäer. Es sei ´enorm viel politisches Kapital` in den Euro investiert worden. ´Es gibt keinen Plan B`, unterstrich Draghi.“ *5)

Hut ab vor den von der AfD geschmähten MdBs der Union, der SPD, der FDP und der Grünen, die heute dem europäischen Rettungspaket für Zypern im Deutschen Bundestag zustimmten. Und damit in gewiss schweren Zeiten bewiesen, was europäische Solidarität bedeutet. Gegen die Sirenengesänge des populistischen Extremismus aus dem Elfenbeinturm.

*1) Die ZEIT, 16.02.2012, Angriff auf den Elfenbeinturm, von: Thomas Fischermann, Petra Pinzler.
*2) Torsten Erik Persson (* 18. April 1954 in Stockholm) studierte und promovierte an der Universität Stockholm. Dort ist er seit 1998 Direktor des Institute for International Economic Studies. Außerdem hat er eine Professur an der London School of Economics and Political Science. Seine Publikationen sind zumeist im Bereich der neueren Politischen Ökonomie und Institutionellen  Ökonomie  angesiedelt. Persson war u.a. Präsident der Europäischen Ökonomischen Vereinigung. 2011 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Mannheim (Wikipedia). Siehe: The Nobel Prizes 1999. Stockholm 2000.
*3) Robert A. Mundell, OPTIMUM CURRENCY AREAS, Columbia University; www.columbia.edu/~ram15/eOCATAviv4.html. (Übers. RS).
*4) LITERATUR – Peter Handke, Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms, Ffm. 1972.
*5) FAZ, 5. April 2013, Die EZB signalisiert eine weiterhin lockere Geldpolitik. Zitiert nach: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln Nr. 16, 10. April 2013, Seite 9.