Fiction oder fact finding?

Putin hat gegenüber der Ukraine bewiesen, dass ihn weder das Völkerrecht, noch die von Russland selbst unterschriebenen internationalen Verträge bezüglich des souveränen Staates Ukraine interessieren. *1)

Jetzt zeichnet sich internationaler Konsens ab – dem auch Putin zugestimmt habe – eine „fact finding mission“ einzurichten. Das ist sicher ein erprobtes Mittel in Situationen, für die gilt: „Dialog ist besser als Gewalt.“

In der Ukraine und der ihr zugehörigen autonomem Provinz Krim hat Putin jedoch seine imperiale Attitüde demaskiert: Erst Gewalt und militärischer Einmarsch, dann vielleicht Dialog. Putins Methode, Fakten zu schaffen! Und damit es die Weltgemeinschaft auch richtig merkt, begrüßt Putin nun die „fact finding mission“. So kann der Zweck internationalen Dialogs pervertiert werden.

Der aus Putins Sicht noch immer amtierende Präsident der Ukraine, Janukowitsch, ist zwar – nachdem er ein Blutbad in seinem Land angerichtet hatte – nach Russland geflohen. Aber bei solchem Chaos mag eine verfassungsrechtliche Momentaufnahme scheinbar einige Punkte des weltweit wirksamen russischen „Informationskrieges“ gegen die Ukraine bestätigen.

So könnte mit dem amerikanischen Professor für Russlandstudien an den Universitäten New York und Princeton, Stephen F. Cohen, argumentiert werden, dass es aus verfassungsrechtlicher Sicht sehr schwierig wäre, die Legitimität der aktuellen ukrainischen Regierung zu begründen.

Deren Akteure hätten schließlich vor einer Woche die ukrainische Verfassung abgeschafft, den gewählten Präsidenten abgesetzt und anti-russische Gesetzesvorhaben eingeleitet. Außerdem würden sie teilweise von extremistischen Kräften beeinflusst. Die Legitimität solcher Regierung „would be hard to explain.“ *2)

Dieses vermeintliche Manko der aktuellen ukrainischen Regierung zu überwinden und deren Legitimität international zu bekräftigen, fordern Madeleine Albright, ehemalige Außenministerin der USA, und Zbigniew Brzezinski, Ex-Berater für Nationale Sicherheit. *2)

Brzezinski umreißt die Aufgaben des Westens.

Die aktuelle Intervention auf der Krim könne weitergehende Pläne Putins enthüllen: In einigen östlichen Regionen der Ukraine Aufstände Moskau-geneigter Russen anzuzetteln, um dann Truppen zum Schutz der russischen Minderheit einmarschieren zu lassen. Damit sei klar, „what we have to now deter, prevent, discourage.“ *2)

Zunächst, so Brzezinski, müsse die neue Regierung in der Ukraine von möglichst vielen Ländern der internationalen Gemeinschaft anerkannt und damit völkerrechtlich breit legitimiert werden.

Zweitens, sollten informell durch die NATO in Mitteleuropa Kapazitäten eingeplant werden, damit der Westen für den Fall einer Ausweitung des militärischen Vorgehens gegen die Ukraine reagieren kann.

Drittens, sollte Russland auch von der NATO eingeladen werden, um einen friedlichen Weg aus den feindseligen Einmischungen in die Angelegenheiten des ukrainischen Staates zu erörtern.

Brzezinski empfiehlt zusammenfassend für alle Entscheidungsebenen: „complicate Moscow’s planning, give them an option, and, very quietly, make them aware of the massive consequences, very negative for Russia, that would follow“.

Madeleine Albright wies ergänzend darauf hin, dass „we do have quite a few tools“, um gegenüber dieser „very, very dangerous situation“ zu reagieren.

Frau Albright betont dennoch: „I do think that it is very important to try to deescalate this.“ Zugleich ist ihre Haltung sehr fest: „to make absolutely clear Europe’s and America’s support for the people of Ukraine, their possibility of having a functioning government, helping them with economic assistance.“

Und Madeleine Albright weist ein Element der Kreml-Propaganda zurück, dass der Westen – mit der militärisch gestützten Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien in den 1990er Jahren – selbst einen völkerrechtswidrigen Präzedenzfall für Russlands aktuelles Handeln gegenüber der Ukraine gesetzt habe. Fareed Zakaria fragt: Könnten die Russen nicht sagen, dass dies dasselbe gewesen sei wie das, was Russland derzeit auf der Krim unternehme?

Madeleine Albright dazu: „Absolutely not. I mean, it’s a completely different situation. Yugoslavia fell apart as a result of the actions of Milosevic … The Russians never understood what was going in Kosovo and did everything they could to block the fact that people there wanted to have their own independence.“ Und sie bewertet dies „Argument“ als „Ausrede“ der russischen Führung zur Rechtfertigung ihrer militärischen Intervention in der Ukraine.

Solch klare Analysen vermisst der besorgte Bürger in unseren Medien – mit Ausnahme der Beiträge von Botschafter Wolfgang Ischinger.

Was ist als Mehrwert gegenüber diesen Analysen von einer „fact finding mission“ überhaupt zu erwarten?

Hoffentlich die Einsicht bei Russlands Führung, wie gravierend sich Botschafter Ischingers Prognose erweisen könnte: Wenn der „Pulverdampf dieser Episode“ sich verzogen habe, werde Russland als „Verlierer“ dastehen. Mit immensem „Vertrauensschaden“! Bei sämtlichen Nachbarn Russlands, nicht nur im Westen, sondern auch im Süden. Denn die könnten sich nun ausmalen, was ihnen bevorsteht, wenn sie sich gegenüber Russland mal „daneben benehmen.“

Eine mögliche „fact finding mission“ sollte jedenfalls nicht die Ukraine untersuchen, sondern eher, was in den Köpfen russischer Entscheidungsträger vorgeht.

Dazu könnte jedoch eine „fiction finding mission“ besser geeignet sein.

Fjodor Michailowitsch Dostojewskij schickte seinem Roman „Die Brüder Karamasoff“ „von Seiten des Autors“ voraus, was als Skepsis einer „fact finding mission“ gegenüber Russland verstanden werden mag: „Im übrigen wäre es seltsam, in einer Zeit wie der unsrigen von den Menschen Klarheit zu verlangen.“ *3)

Vielleicht kann sein Werk uns dennoch helfen, Putins Motive im Handeln gegenüber der Ukraine zu erschließen. Putin mag denken, sabotiere und schikaniere die Ukraine und ihre Menschen lange genug: „Sie werden .. schließlich selber ihre Freiheit uns zu Füßen legen und zu uns sprechen: ´Knechtet uns nur, aber gebt uns zu essen.!`“ *3)

Nicht eine „fact finding mission“, sondern eine solche „fiction finding mission“ sollte uns EU-Bürger bewegen, uneingeschränkt für die Unabhängigkeit einer demokratischen Ukraine und für die Freiheit ihrer Menschen einzutreten.

*1) Siehe: „Merkel wirft Putin Verstoß gegen Völkerrecht vor.“ Süddeutsche.de, 2. März 2014. Dort heißt es: „Die Kanzlerin erinnerte demnach an das Budapester Memorandum aus dem Jahre 1994, in dem sich Russland zur Respektierung der Unabhängigkeit und Souveränität der Ukraine und ihrer bestehenden Grenzen verpflichtet habe. Auch gegen den Vertrag über die Schwarzmeerflotte von 1997 habe Putin verstoßen.“

*2) Ukrainians Reacting to Russia’s Military Movement in Crimea; Analysis with Zbigniew Brzezinski, Madeleine Albright; FAREED ZAKARIA, CNN. Aired March 2, 2014.

*3) Fjodor Michailowitsch Dostojewskij, Die Brüder Karamasoff, C. Bertelsmann Verlag, 1957. Siehe S. 7 (Von Seiten des Verfassers) und S. 338 (Fünftes Buch: Für und Wider. Kapitel 5. Der Großinquisitor). Das aus den Zitaten abgeleitete Kalkül wäre ein weiterer Missbrauch Putins: ein Missbrauch der Weltliteratur Russlands.

Nachtrag 04.03.2014: Wie ist bloß Außenminister Steinmeier zu verstehen, wenn er heute soeben (Phönix-TV) fordert, dass es „als erstes in den nächsten Tagen zu direkten Kontakten zwischen Angehörigen der ukrainische Regierung und der russischen Führung“ kommen müsse? Russland begründet bekanntlich seine militärische Aggression mit dem Hilferuf Janukowitschs. Würde Janukowitsch dann mit seinen russischen Helfern der ukrainischen Regierungsdelegation gegenübersitzen? Als aus russischer Sicht amtierender Staatspräsident der Ukraine? Werden sich die Ukrainer bei solchen Vorschlägen von Deutschland ab- und den USA zuwenden? (http://www.phoenix.de/content//815050).