Gabriel, Medien, politische Bildung.

Millionen von Bürgerinnen und Bürgern sahen gestern abend im ZDF den Versuch der Moderatorin Frau Slomka, mit dem SPD-Vorsitzenden ein politisch gehaltvolles Interview zum Mitgliederentscheid zu führen. Ein Lehrstück für politische Bildung.

Das Resultat bezeichnet BILD nicht zu Unrecht als „Krawall-Interview – SPD-Chef Gabriel geht auf Slomka los.“ Der Vorgang hat aus der Sicht politischer Bildung für die Bürger drei Aspekte.

Erstens, die Sachfrage, ob der Mitgliederentscheid die SPD-Abgeordneten im Deutschen Bundestag in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise binden könne bzw. einem verfassungswidrigen „imperativen Mandat“ gegen Parlamentarier nahekomme.

Zweitens, das Verhalten des SPD-Vorsitzenden gegenüber der Öffentlichkeit und einer mit deren Information beauftragten Moderatorin, Frau Marietta Slomka, im öffentlich-rechtlichen ZDF.

Drittens, die Bewertung des Vorgangs in grossen Presseorganen, selbsternannten „Qualitätsmedien“.

1. Grundgesetz und Mitglieder-Votum.

Im Staatsbürger-Taschenbuch *1) heißt es: „Nach Artikel 38 Abs(atz) 1, S(atz) 2 GG sind die Abgeordneten ´Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen` (System der auftragsfreien Repräsentation). Danach soll sich der Abgeordnete nicht als Vertreter seiner Partei fühlen, mag er auch auf Grund der Stimmabgabe der Wähler für diese über eine Landesliste … gewählt worden sein. Weder Bund noch Länder kennen das sog. ´imperative Mandat` und die damit verknüpfte Bindung an Aufträge der Wähler oder der Parteiorganisation“.

Kurz: „Im Unterschied zum freien Mandat bindet das Imperative Mandat Abgeordnete an den Wählerwillen oder an Weisungen seiner/ihrer Partei/Fraktion. In Deutschland ist das Imperative Mandat nach Art. 38(1) GG unzulässig.“ *2)

Der Staatsrechtler Professor Christoph Degenhart, Universität Leipzig, hat zum SPD-Mitglieder-Votum festgestellt: „Auch wenn natürlich das Ergebnis der Mitgliederbefragung für die Abgeordneten bei der Stimmabgabe nicht formell verbindlich ist, kommt die Befragung aus meiner Sicht jenen Aufträgen und Weisungen nahe, die nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ausgeschlossen sind.“ *3)

Nun hat die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag bei zwei Enthaltungen dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Die Stellungnahme von Professor Degenhart wird im eher unwahrscheinlichen Fall verfassungsrechtlich relevant werden, wenn die SPD-Mitglieder sich gegen die große Koalition aussprechen sollten. Und die SPD-Fraktion im Bundestag danach einknickt und ihr fast einstimmiges Pro-Votum zurücknimmt.

Man mag den dann folgenden Ansehensverlust der SPD in Alpträume verweisen.

2. Dialog Gabriel – Frau Slomka.

Vorausgeschickt sei, dass der interessierte Beobachter politischer Sendungen in unserem öffentlich-rechtlichen Rundfunk/TV wohl kaum beobachten wird, dass die SPD dort schlecht behandelt würde.

Ganz im Gegenteil, in den Programm-Beiräten macht eine recht „große Koalition“ von SPD, DGB, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden etc. ihre Interessen sehr effektiv geltend. Von diesen Großorganisationen kommt auch keine auf den Gedanken, für eine starke „Mitglieder-Beteiligung“ in Form von direkt gewählten VertreterInnen der Hörer/Seher (Gebührenzahler!) einzutreten.

Doch zurück zum TV-„Dialog“. Die Moderatorin Frau Slomka hatte in einwandfrei sachlicher, höflicher Form nach den verfassungsrechtlichen Argumenten gefragt, die im Zusammenhang mit dem Mitglieder-Votum der SPD von Verfassungsjuristen vorgetragen wurden. Dabei hatte sie auch klargestellt, dass sie diese Argumente lediglich referiere.

Vom mächtigen Vorsitzenden der SPD war darauf u.a. zu hören: „Blödsinn“, er könne „Ihre Argumente nicht ernst nehmen“, und „Tun Sie mir einen Gefallen, lassen Sie uns den Quatsch beenden.“

Ich bewundere Frau Slomka für das Rückgrat, mit dem sie festhielt: „Sie sagen, das sei Quatsch. Das ist eine ganz besondere Form der Argumentation.“

Darauf Herr Gabriel: „Es ist nichts Neues, dass Sie in Interviews mit Sozialdemokraten nix anderes versuchen, als uns das Wort im Mund umzudrehen.“ (Focus, SPIEGEL).

Das habe ich nun als richtig schäbig empfunden. Und ich nehme an, dass Herr Gabriel – bei ruhiger Nachbetrachtung – sich in angemessener Form bei Frau Marietta Slomka entschuldigen wird.

Als Sozialdemokrat, der seine Mitgliedsbeiträge zahlt, stelle ich mir – wie schon öfter in diesem Blog – folgende Frage: Können sich die SPD-Spitzenleute in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit keine Fachleute leisten, die ihre Auftritte in Medien betreuen? Oder sind die SPD-Spitzen völlig verbonzt und beratungsresistent? Man will es ja nicht glauben.

3. Reaktion der Qualitätsmedien.

Ich hatte nun damit gerechnet, in der Presse einen Aufschrei der Empörung und eine Solidarisierung der KollegInnen mit der standfesten Frau Slomka zu sehen.

Weit gefehlt. Außer bei BILD und der Neuen Osnabrücker Zeitung fiel bei der Qualitätspresse ein eigenartiger Umgang mit dem skandalösen Auftritt Gabriels auf:

„Rechthaberische Slomka nervt dünnhäutigen Gabriel“ (welt.de). „SPD-Chef Gabriel und Moderatorin Slomka zicken sich im Live-TV an“ (Focus). „Beide fallen sich danach gegenseitig ins Wort“ – der SPIEGEL zum Versuch von Frau Slomka, ein politisches Interview zu führen, statt Herrn Gabriel randalieren zu lassen. Und die Krönung ausgerechnet von der FAZ: „Wie Frau Slomka das Grundgesetz malträtierte.“

Sehen wir schon jetzt in der Presse ein Katzbuckeln vor politischer Großmacht mit 25 % Wahlergebnis und 470 Tsd. Mitgliedern?

Nachtrag vom 06.12.2013: Das Bundesverfassungsgericht hat heute den Antrag einer Privatperson abgelehnt, den SPD-Mitgliederentscheid zu untersagen. Einen solchen Antrag könne zwar jeder Bürger stellen, wenn seine Rechte nach GG durch einen Akt öffentlicher Gewalt verletzt würden. Öffentliche Gewalt sind Staatsorgane. Da Parteien aber nicht Teil des Staates sind, sei der Antrag unzulässig.

Sind damit die Bedenken wegen einer Nähe zum unzulässigen „imperativen Mandat“ mit Herrn Gabriel als „Quatsch“ zu bewerten? Jasper von Altenbockum warnt in der FAZ vor diesem Schluss: „Nicht alles, was die Verfassungswirklichkeit verändert, ist auch gleich ein Verstoß gegen die Verfassung … wie überhaupt jede ´basisdemokratische` Wahl eine größere Bindung und Autorität entfaltet als eine durch repräsentativ-demokratische Wahl delegierte Macht.“ (Alles Quatsch? faz.net, 06.12.2013)

*1) Model/Creifelds/Lichtenberger, Staatsbürger-Taschenbuch, 26. Auflage, München 1992, Abschnitt 45 III Mandate und Fraktionen, S. 89.

*2) http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/pocket-politik/16448/imperatives-mandat.

*3) „VERFASSUNGSRECHTLICH NICHT LEGITIM“ Staatsrechtler stellt SPD-Befragung zum Koalitionsvertrag infrage. 28.11.2013, 04:00 Uhr; www.handelsblatt.com/politik/ .