Ganz normal?

Chefdiplomat Sigmar Gabriel äußert Unverständnis … war gerade im TV zu hören. Er versteht nicht, dass sein Termin bei Israels Regierungschef Ministerpräsident Benjamin Netanjahu platzen könnte.

Den Mangel an Vorstellungskraft begründet der deutsche Außenminister: Eine Absage … könne er sich „fast nicht vorstellen, weil es außerordentlich bedauerlich wäre“. *1) Klassische Logik, zum Mitschreiben!

Dabei schien Außenminister Gabriels „Reiseprogramm“ (Auswärtiges Amt, AA) im Rahmen seines „Antrittsbesuchs“ (ARD Tagesschau) bestens vorbereitet. *2) *3)

Am israelischen Holocaust-Gedenktag Yom HaShoah, der 2017 auf den 24. April fällt, war „Außenminister Sigmar Gabriel gemeinsam mit dem deutschen Botschafter Clemens von Goetze bei einer Gedenkzeremonie in der Gedenkstätte Yad Vashem.“ Zu Recht dürfen wir Deutschen mit dem AA dieses Ereignis als „ein gewichtiges Symbol“ werten: „Es steht für die Aussöhnung zwischen Israel und Deutschland.“ *2)

Aber bei Sigmar Gabriel kann wohl der Tag nicht vor dem Abend gelobt werden: Ein geplantes Treffen des deutschen Außenministers „mit linken Menschenrechtsorganisationen während seines Antrittsbesuchs in Israel sorgt für Wirbel.“ *4)

Ein von Gabriel für seinen „Antrittsbesuch“ geplanter „Wirbel“?

Dazu konsultiert das TV zwei Beobachterinnen des Geschehens aus Tel Aviv, nachdem der Termin von Gabriels „Antrittsbesuch“ bei Ministerpräsident Netanjahu abgesagt wurde.*3)

Die Journalistin Susanne Glass stellt fest: „Zwei Egos aufeinandergeprallt.“ Frau Kerstin Müller, ehemals Staatsministerin im AA, heute Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv, bescheinigt Gabriel bei der Terminplanung mit den NGOs „Breaking the Silence“ und „Betselem“ eine „klare Konfliktansage an die israelische Regierung.“

Hinzu kommt, dass Gabriel wissen konnte: Ein im Programm des „Antrittsbesuchs“ herausgehobenes Treffen mit diesen beiden linksgerichteten NGOs, die sich „sehr kritisch mit der israelischen Politik im Verhältnis zu den Palästinensern auseinandersetzen“ (Außenminister Gabriel) *5), würde vom Regierungschef Netanjahu nicht akzeptiert werden. Denn bereits im Februar 2017 endete ein Treffen des belgischen Ministerpräsidenten Charles Michel mit diesen beiden NGOs im „Eklat“ und mit „Rüge“ des von Israels Regierung einbestellten belgischen Botschafters. *5)

Das AA informiert uns Bürger: „Deutschland steht in einem einzigartigen Verhältnis zu Israel. Dies ist begründet durch die Verantwortung Deutschlands für die Shoa, dem systematischen Völkermord an etwa sechs Millionen Juden Europas in der Zeit des Nationalsozialismus … Die einzigartigen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind ein Grundpfeiler der deutschen Außenpolitik.“ *6)

Was bieten uns die derzeitigen Spitzen der deutschen Sozialdemokratie?

SPD-Vorsitzender Martin Schulz brachte es im Februar 2014 fertig, in seiner Ansprache als Gast des israelischen Parlaments, der Knesset, einen palästinensischen Jugendlichen aus Ramallah zu zitieren, der ihn gefragt hatte, „warum ein Israeli täglich im Schnitt 70 Liter Wasser verbrauchen könne, ein Palästinenser gerade mal 17“. Schulz, in seiner Gastrede vor der Knesset: Er habe diese Zahlen nicht überprüfen können, wolle aber die israelischen Parlamentarier fragen, ob sie korrekt seien … *7).

Sigmar Gabriel war schon vor seiner Ernennung zum Außenminister in Israel aufgefallen, damals noch SPD-Chef hatte er 2012 von Israel als „Apartheid-Regime“ gesprochen. *8) Dennoch erwies ihm Israel die Ehre, ihn am 24. April 2017, am israelischen Holocaust-Gedenktag Yom HaShoah, in die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem einzuladen.

„Der Schatten der Geschichte ist nirgendwo so dunkel wie zu diesem Tag an diesem Ort“, schreibt das AA über die ehrenvolle Einladung im Rahmen des Antrittsbesuchs von Außenminister Gabriel. *2)

Diese Erkenntnis kann bei Gabriel nicht lange nachgewirkt haben. Ihm geht es bei dem Treffen u. a. mit den in Israel mehr als umstrittenen NGOs „Breaking the Silence“ und „Betselem“ um „ein tagesaktuelles Thema, zu dem wir uns eine Meinung bilden müssen. Deswegen fände ich es ganz normal, dass man mit denen redet.“ Ja, trumpft er auf: „Es ist ganz normal, dass wir bei Auslandsbesuchen auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft sprechen … (Man bekomme) in jedem Land der Erde keinen vernünftigen und umfassenden Eindruck, wenn man sich nur in Regierungsbüros trifft“. *5)

Was ist wichtiger, mag gefragt werden: Dass Außenminister Gabriel sich in Israel wie „in jedem Land der Erde ganz normal eine Meinung bildet … (einen) vernünftigen und umfassenden Eindruck“ gewinnt? Oder dass unser Außenminister einen „vernünftigen und umfassenden Eindruck“ in Israel hinterlässt, dem Land, zu dem „Deutschland in einem einzigartigen Verhältnis“ (AA) steht?

Braucht Deutschland einen diplomatischen „Otto Normalverbraucher“ als Außenminister?

*1) Treffen mit Menschenrechtlern. Will Netanjahu nicht mit Gabriel sprechen? Dienstag, 25. April 2017. Quelle: n-tv.de.

*2) In Yad Vashem zum Yom HaShoah; http://www.auswaertiges-amt.de/DE/AAmt/BM-Reisen/2017/170423_JOR_ISR_PSE/170424_Israel.html.

*3) ARD-Tagesschau, 25.04.2017, 15.00 Uhr.

*4) Israel stellt Gabriel vor die Wahl: Treffen mit NGOs oder mit Netanyahu. 25. April 2017; derstandard.at/2000056477432/Konflikt-um-Treffen-Gabriels-mit-israelischen-Menschenrechtlern.

*5) DIPLOMATIE. Gabriel empört Netanjahu. Datum 24.04.2017; www.dw.com/de/gabriel-empört-netanjahu/a-38572449. (Hervorhebung RS).

*6) Auswärtiges Amt. Länderinformationen Israel. Stand 24.04.2017. Beziehungen zu Deutschland. Politische Beziehungen.

*7) ISRAEL. Schulz sorgt für Eklat in der Knesset. DW.De. 12.02.2014.

*8) Israels Palästinenserpolitik. Gabriel erntet Kritik nach Apartheid-Vergleich. „Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt“ — mit diesem Satz beschrieb SPD-Chef Sigmar Gabriel die Lage in Hebron im Westjordanland auf seiner Facebook-Seite. Nun ist die Kritik groß. Gabriel selbst nennt die Formulierung „drastisch“, versucht sich aber in Erklärungen; 15.03.2012; http://www.spiegel.de/politik/deutschland/gabriel-vergleicht-israels-palaestinenser-politik-mit-apartheid-regime-a-821601.html.