Gaza,Terror, Hass.

Israel hat das Recht, militärisch auf den Terror der Hamas zu antworten.

Und zugleich die Pflicht, im Kampfeinsatz die Menschen in Gaza zu schonen. Dazu seien einige Sichtweisen zusammengestellt.

Professor Michael Wolffsohn fragt anlässlich der Kritik in Deutschland am Vorgehen des israelischen Militärs: „Ist das noch Kritik oder schon Antisemitismus? Ist der Israelhass inzwischen so heftig, dass auch ich vielleicht den Begriff ´Antisemitismus` verwenden müsste?“ Denn: „Bei einigen Umfragen wird Deutschland im Israel-Hass nur noch von extremen arabisch-islamischen Staaten übertroffen.“ *1)

BILD hat die deutsche Wirtschafts- und Politikführung und viele Prominente aus Sport und Kultur zu einem Bekenntnis „Nie wieder Judenhass“ aufgerufen. Und konstatiert zu Recht: „Ein starkes Zeichen der Solidarität mit dem Staat Israel und unseren jüdischen Mitbürgern.“ *2)

Dies alles macht eine Auseinandersetzung mit dem Kriegsgeschehen in Gaza zu einem politisch-sprachlichen Drahtseilakt. Entsprechend formelhaft erscheinen die von BILD erhobenen Bekundungen.

Im Gazakrieg ist Israel der Hamas militärisch weit überlegen. Prof. Wolffsohn analysiert den Gazakrieg wohl korrekt: „Deshalb nutzt die Hamas, wie alle Davids gegen alle Goliaths die Guerilla-Strategie … Die Guerilla nutzt die eigene Zivilbevölkerung als Schutzschild und damit letztlich als Geisel. Raketen und andere Waffen werden aus Kindergärten, Krankenhäusern, Wohnhäusern oder Moscheen auf israelische Soldaten und Zivilisten gefeuert.“ *3) Dazu könnte Hamas unterstellt werden, mit Opferbildern und Opferzahlen die Weltöffentlichkeit gegen Israel aufzubringen.

Der auf Sicherheitspolitik spezialisierte israelische Journalist Alon Ben David stellt die Frage, ob das israelische Militär den Gazakrieg richtig beurteilt: „Israel sieht ihn als kleine, begrenzte Operation gegen die Tunnel. Aber dieses Geschehen hat weit höhere Bedeutung als wir es derzeit verstehen, nicht nur für Israel und Gaza, sondern regional.“ *4)

Ben David interpretiert den Terroristen Mohammed Deif, Führer des militärischen Flügels der Hamas. Deif, nach vier israelischen Anschlägen auf sein Leben verstümmelt, ist an den Rollstuhl gefesselt. „Beurteilen wir Mohammed Deif richtig? Sein Verhalten zeigt, dass er die Schlacht seines Lebens kämpft. Und darauf hat er sich sehr gut vorbereitet. Er hat die strategische Infrastruktur geschaffen: Tunnel, die nach Israel führen, Tunnel innerhalb Gazas, die der Hamas einen Vorteil über das israelische Militär geben, dessen Soldaten für den Tunnelkampf nicht ausgebildet sind. Deif versucht, uns seine Kriegsregeln aufzuzwingen, und es scheint, dass er bisher Erfolg hat.“ *4)

Ebenso wichtig erscheint eine andere Frage: Wer gewinnt den Kampf jenseits des Kampfeinsatzes, den Kampf um den „moral highground“, um die öffentliche Meinung in der zivilisierten Welt?

Statt einer Antwort sei zunächst ein literarischer Dialog zur Zeit des Ersten Weltkriegs betrachtet. Zwischen einem britischen Geheimdienstchef („R.“) und seinem Agenten, dem Schriftsteller Ashenden („A.“), über einen indischen Terroristen und Bombenattentäter, Chandra Lal. *5) Für Chandra wird eine tödliche Falle vorbereitet. Das soll der Job des Agenten A. sein.

A: Dieser Inder scheint ein bemerkenswerter Bursche zu sein.
R: Natürlich, er hat Verstand.
A: Man kann nicht verhehlen, von diesem Mann beeindruckt zu sein. Der hat den Mut, fast allein gegen die gesamte britische Macht in Indien vorzugehen.
R: Ich würde an Ihrer Stelle deswegen nicht sentimental werden. Er ist nichts als ein gefährlicher Krimineller.
A: Ich nehme an, er würde keine Bomben legen, wenn er einige Artillerie-Batterien und ein halbes Dutzend Bataillone hätte. Er benutzt die Waffen, die er hat. Schließlich will er nichts für sich selbst. Sein Ziel ist Freiheit für sein Land. So gesehen, scheint sein Handeln gerechtfertigt.
R: Das ist alles sehr weit hergeholt und morbid. Wir können uns damit nicht beschäftigen. Unser Job ist, ihn zu fassen, und wenn wir ihn haben zu erschießen.
A: Natürlich. Er hat den Krieg erklärt und muss das Risiko tragen. Ich werde Ihren Auftrag durchführen, dazu bin ich hier. Aber ich sehe nichts Schädliches darin zu erkennen, dass etwas in ihm steckt, das zu bewundern und zu achten ist.
R: Ich weiß immer noch nicht, ob die besten Männer für diese Art Job diejenigen sind, die ihn mit Leidenschaft erledigen, oder jene, die mit kühlem Kopf handeln. Manche sind voller Hass gegen unsere Feinde und empfinden geradezu persönliche Genugtuung, wenn wir sie erledigt haben. Sicher arbeiten sie sehr hart. Sie sind anders, nicht wahr? Sie sehen das wie ein Schachspiel, ohne Gefühl für die eine oder andere Seite. Ich werde daraus nicht ganz schlau. Aber bei manchen Jobs ist es genau dies, was man braucht.
A: Antwortet nicht, zahlt die Rechnung.

In der globalen Mediengesellschaft haben Sichtweisen auf Konfliktparteien, wie die von „Ashenden“ zitierten, stark an Gewicht gewonnen.

Israel wird nicht allzu viel auf die Demonstrationen in europäischen Ländern geben. Allerdings ist das Israel-Bild in den USA für die politischen Kräfte Israels sehr wichtig.

Wenn die Kampfeinsätze Israels maßlos hohe Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung Gazas fordern, könnte der „moral highground“ in den USA bröckeln, auf dem sich das von der Hamas mit vielen Hundert Raketen angegriffene Israel bisher zu Recht sieht.

Eugene Robinson schreibt: „Die Zahl ziviler Todesopfer in Gaza als Folge israelischen Eingreifens ist erschreckend. Das Recht auf Selbstverteidigung ist unveräußerlich, aber nicht frei von moralischen Grenzen … Ich unterstütze Israel. Ich verabscheue Hamas. Aber solch vernichtende Feuerkraft zu entfesseln gegen eine kleine, dicht bevölkerte Enklave, in der die Menschen gefangen und deshalb verurteilt sind, Opfer zu werden, ist nach jedem vernünftigen moralischen Maßstab falsch.“ *6)

Gefährlich ist auch die Lage in Israel selbst.

Ariel Ilan Roth kommt zu dem Ergebnis: „Zwei Dinge sind gewiss. Erstens, Israel wird einen taktischen Sieg beanspruchen können. Zweitens, wird es eine strategische Niederlage hinzunehmen haben … Hamas‘ strategisches Ziel ist, Israels Gefühl für Normalität zu erschüttern … Obwohl die (daraus resultierenden, RS) internen Spannungen Israel nicht auf die Knie bringen werden, ist jede Erosion israelischer Macht – auch eine Erosion des Willens seiner Menschen, sich gegen die Angriffe zu behaupten – ein Sieg für Hamas.“ *7)

Folgt man Ariel I. Roths Analyse, müsse Israel drei Voraussetzungen erfüllen, um die Herausforderungen durch seine Feinde erfolgreich zu bestehen:

Erstens, ständig bewaffnet und einsatzbereit sein und zugleich humane und angemessene Entscheidungen treffen, um Israels Sicherheit zu erhalten. Zweitens, Israels Attraktivität als strategischer und wirtschaftlicher Partner der Nationen des Westens vertiefen. Und, drittens, langfristig den inneren sozialen Zusammenhalt des Landes festigen.

Im Dienste dieser drei strategischen Ziele sollte Deutschlands Politik gegenüber dem Partnerland Israel herausragende Beiträge leisten. Eingedenk der deutschen historischen Verantwortung für den Staat Israel und für den Frieden in dieser Nachbarschaftsregion Europas.

*1) Einer der unbeliebtesten Staaten. Kritik oder Antisemitismus: Warum hassen so viele Deutsche Israel? Samstag, 12.07.2014, von FOCUS-Online-Experte Michael Wolffsohn (Historiker).

*2) STIMME ERHEBEN. Nie wieder Judenhass! bild.de, 25.07.2014.

*3) Michael Wolffsohn, Israel. Gastkommentar: Trugbilder des Gaza-Krieges; http://www.dw.de/gastkommentar, 22.07.2014.

*4) Military Analyst: Israel Not Reading Hamas Correctly, for Terror Group This is a „War of Independence“, Author: Deborah Danan, www.algemeiner.com/2014/07/24/ (Übertragung RS).

*5) W. Somerset Maugham, Giulia Lazzari, in: Collected Short Stories, Vol. 3. Pan Books, 4th Printing 1978, S. 90 ff. (Übertr. RS). Die Ashenden-Stories sollen zur Pflichtlektüre britischer Anwärter für den diplomatischen Dienst gehören.

*6) Opinions. Israel is acting as if it is free of moral responsibilities. By Eugene Robinson; www.washingtonpost.com/opinions/; July 24, 2014. (Übertr. RS).

*7) How Hamas Won. Israel’s Tactical Success and Strategic Failure. By Ariel Ilan Roth; www.foreignaffairs.com/; July 20, 2014. (Übertr. RS).