MH17 – Grundvertrauen.

„Grundvertrauen“ der Bevölkerung müsse – so heute Bundesfinanzminister Schäuble – zurückgewonnen werden.

Wolfgang Schäuble sprach von TTIP, dem Zukunftsprojekt der Transatlantischen Beziehungen. Aber sein Wort vom „Grundvertrauen“ berührt die Katastrophe der MH17, das Schicksal ihrer Passagiere, ihrer Besatzung.

„Grundvertrauen“ kann gefestigt werden oder zerbrechen in Ereignissen von globaler Bedeutung. Die Katastrophe der MH17 ist ein solches Ereignis. Das Schicksal der MH17 trifft die Bürger dieser Welt, die in Trauer mit den unschuldigen Opfern eines Massenmords verbunden sind.

Das Verbrechen geschah am Donnerstag, dem 17. Juli 2014, etwa um 15.15 Uhr deutscher Zeit (bild.de). Am Freitag, dem 18. Juli, lagen die relevanten Stellungnahmen und Einschätzungen verantwortlicher Regierungschefs und Außenpolitiker vor: in einem geografischen Zeitbogen vom Vormittag (etwa 9-10 Uhr Ortszeit Mexico City bzw. 1 Std. später Washington/New York) bis zum Nachmittag (ca. 16 bis 17 Uhr deutscher Zeit).

Der Bürger sollte annehmen können, dass sich bis zu dieser Zeitspanne die Verantwortlichen nachrichtendienstlich informiert und international ausgetauscht hatten.

Wer verdient das „Grundvertrauen“ der Menschen in diesen Stunden der Wahrheit? Wer bietet uns glaubwürdige Orientierung? Dies wird ein jeder für sich selbst beantworten müssen. Dabei mag folgende Frage helfen:

Wie reagieren verantwortliche Staats-/Regierungschefs oder Außenpolitiker unmittelbar auf den Massenmord? Teilen sie mit dem Bürger die jeweils vorliegende Information und ihre darauf basierende Einschätzung und Bewertung?

Blicken wir auf die Stellungnahmen im erwähnten Zeitbogen am Freitag, 18. Juli.

Putin, Kreml, Botschafter der Russländischen Föderation Vitaly Churkin im UN Sicherheitsrat.

Präsident Putin agierte zügig: Die Verantwortung trage die Regierung der Ukraine, da diese in der Ostukraine Krieg führe.

Botschafter Vitaly Churkins Beitrag im UN-Sicherheitsrat folgt der Kreml-Linie. *1a)

Kiews Politik zeige nicht die vom UN-Sicherheitsrat geforderte „Zurückhaltung … Zerstörung und Gewalt in der Ostukraine treffe die fliehende Bevölkerung, während die Russische Föderation Zehntausenden Schutz gewähre. Agressives Handeln seitens der Ukraine sei auch gegenüber russischen Bürgern zu beklagen.“ *1a)

Botschafter Churkin sagt voraus, dass seinem Aufruf für „einen umfassenden Dialog wahrscheinlich nicht gefolgt werde, da die Anwendung von Gewalt durch die Ukraine vom Westen, insbesondere den Vereinigten Staaten, unterstützt würde.“ *1a)

Ferner wirft Churkin der Ukraine vor, dass sie ihre Verantwortung, die Sicherheit ihres Luftraums zu prüfen, nicht wahrnehme. Churkin fordert eine Untersuchung, ob die ukrainischen Luftfahrtbehörden ihren Pflichten nachkämen.

Vernichtende Presseurteile sind die Folge dieser allzu durchsichtigen Methode, dass der Dieb schreit: „Haltet den Dieb“.

„Die Chuzpe des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist nun atemberaubend: Kurz nach Bekanntwerden des Unglücks schiebt Putin präventiv der ukrainischen Führung die Schuld zu; sie habe den Krieg im Osten des Landes eskaliert. Dabei rollt seit Wochen schweres Kriegsgerät aus Russland über die Grenze, Panzer, Artillerie, Munition.“ *1b)

„Mit aller Wucht versucht der russische Propaganda-Apparat deshalb die Version in die Köpfe zu hämmern, dass nur die Ukrainer für den Abschuss verantwortlich sein können, bis hin zu der irrwitzigen Behauptung, das Ziel der Rakete sei die Maschine Putins gewesen, die nur kurz nach dem Malaysia-Airlines-Flug ebenfalls über der Region unterwegs gewesen sei.“ *1c).

UN-Sicherheitsrat, Treffen zur Ukraine, Stellungnahme der USA-Botschafterin Samantha Power *2)

Das Treffen des UN-Sicherheitsrates fand am Freitag, 18. Juli, zwischen 10:10 Uhr und 12:15 Uhr New Yorker Zeit statt. Die dargelegten Informationen und Einschätzungen, die ja auf schriftlichen Ausarbeitungen beruhten, dürften also mehrere Stunden vor diesem Zeitraum international – je nach Ortszeit – zur Kenntnis aller verantwortlichen Regierungschefs und Außenpolitiker gelangt sein.

Botschafterin Samantha Power gibt die folgende Lagebeurteilung („assessment“) auf der Grundlage der bislang vorliegenden Belege („evidence“).

Erstens: Das Flugzeug MH-17 sei wahrscheinlich durch eine SA-11 Boden-Luft-Rakete abgeschossen worden. Alle Flugdaten seien ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden. Von MH17 sei keinerlei Drohung oder Provokation ausgegangen.

Zweitens: Am Donnerstag früh sei ein SA-11 SAM System von einem Reporter aus dem Westen gesehen und nur Stunden vor dem Unglück seien Separatisten mit einem SA-11 System in der Nähe der Absturzstelle von MH17 gesichtet worden.

Drittens: Nach dem Abschuss hätten Separatisten zunächst die Verantwortung übernommen, „eine militärische Transportmaschine“ abgeschossen zu haben. Sie hätten Videos veröffentlicht, die nunmehr dem MH17-Absturz zugeordnet werden könnten. Anführer der Separatisten hätten die Sozialen Mediennetze genutzt, um sich des Abschusses eines Flugzeugs zu rühmen, aber später diese Mitteilungen gelöscht.

Viertens: Während bereits eine Reihe ukrainischer Flugzeuge/Helikopter in letzter Zeit abgeschossen wurden, gäbe es keinen Hinweis auf Stationierung oder Einsatz eines ukrainischen SAM Systems in der Nähe des Gebietes, aus dem der MH17 Abschuss erfolgte. Nicht eine einzige Rakete sei seit Beginn der Krise von der ukrainischen Luftabwehr abgefeuert worden, trotz mehrfacher Verletzung des ukrainischen Luftraumes.

Fünftens: Immer wieder habe sich Präsident Putin verpflichtet, für Dialog und Frieden zu arbeiten: Im April in Genf, im Juni in der Normandie und Anfang Juli in Berlin. Und jedes einzelne dieser Versprechen habe er gebrochen.

In ganz ähnlicher Weise haben sich in dem Treffen des UN-Sicherheitsrates zahlreiche andere Botschafter geäußert: u. a. „MARK LYALL GRANT (United Kingdom), MAHAMAT ZENE CHERIF (Chad), DAINIUS BAUBLYS (Lithuania), PHILIPPA KING (Australia), SYLVIE LUCAS (Luxembourg), GÉRARD ARAUD (France), ZEID RA’AD ZEID AL-HUSSEIN (Jordan), YURIY A. SERGEYEV (Ukraine), HUSSEIN HANIFF (Malaysia), KAREL J.G. VAN OOSTEROM (Netherlands)“. *1a).

Stellungnahme des Bundesministers des Auswärtigen, Frank-Walter Steinmeier, in Mexico City.

„Wenn sich im Zuge der Untersuchungen tatsächlich herausstellen sollte, dass eine der Konfliktparteien das Leben von Hunderten völlig Unbeteiligter auf dem Gewissen hat, so wäre das eine Untat außerhalb jeder Vorstellungskraft“. *3)

Es erscheint schwer vorstellbar, dass der Außenminister in Unkenntnis des oben referierten außenpolitischen Kontexts und der vorgelegten „Evidenz“-Analyse gesprochen hat. Wäre dies so, hätte er sicher – jedenfalls besser – mit einer Stellungnahme abgewartet.

Steinmeiers Aussage kann den Eindruck einer Indifferenz in der Bewertung der „Konfliktparteien“ vermitteln. Oder anders ausgedrückt: deutscher außenpolitischer „Äquidistanz“ gegenüber den „Parteien“ eines Konflikts, der in der östlichen Ukraine den Frieden Europas bedroht.

Und außerdem könnte sein Satz als subtil formulierter Zweifel an der – seitens der USA, Großbritanniens und der Ukraine – im UN-Sicherheitsrat vorgelegten „Evidenz“ zur MH17-Tragödie verstanden werden.

Inzwischen klingen seine Äußerungen ganz anders: „Steinmeier gibt Russland letzte Chance“: „Steinmeier machte Russland mitverantwortlich für den Abschuss. Die Regierung in Moskau habe in den letzten Wochen die Separatisten nicht erfolgreich von ihrem gefährlichen Tun abgehalten, das Einsickern von Waffen sei weitergegangen. ´Dass Leute mit russischem Pass wie Igor Strelkow – oder wie auch immer er sich gerade nennt – auf der Krim, in Slowjansk und jetzt in Donezk weiter ihr Unwesen treiben können, ohne dass Russland dem Einhalt gebietet, ist jetzt noch unverständlicher.`“ *4)

„Letztlich, so Steinmeier, mache es keinen Unterschied, ob der Abschuss von MH17 volle Absicht oder ein schreckliches Versehen gewesen sei. ´Wer solche Waffen einsetzt, nimmt die Katastrophe in Kauf.` Es mache ihn unglaublich wütend, dass so etwas mitten in Europa wieder denkbar geworden ist.“ *4)

Sicher nicht nur „denkbar“, sondern grausame Wirklichkeit!

Für Klarheit respektieren wir unseren erfahrenen Außenminister Steinmeier. Dieser Respekt würde leichter fallen, drängte sich nicht der Eindruck auf, Steinmeier sei von der Presse und vielleicht immer deutlicher werdender „Evidenz“ getrieben.

Zurück zur Ausgangsfrage.

Wer verdient das „Grundvertrauen“ der Menschen in diesen Stunden der Wahrheit? Diese Frage wird ein jeder für sich selbst zu beantworten haben. Hier lautet die Antwort:

Das „Grundvertrauen“ wird US-Präsident Barack Obama entgegengebracht. Für seine Stellungnahme zur Tragödie um Flug MH17. Am Freitag, dem 18. Juli, um 11:52 Uhr Ortszeit im Weißen Haus.

„Dies war eine globale Tragödie. Ein asiatisches Flugzeug, besetzt mit Bürgern aus vielen Ländern, wurde im europäischen Luftraum zerstört. Daher muss eine glaubwürdige internationale Untersuchung des Vorfalls erfolgen. Der UN-Sicherheitsrat hat diese Untersuchung gebilligt. Und wir werden alle seine Mitglieder – einschließlich Russland – bei ihrem Wort nehmen.

Wir werden gegenüber Russland klarstellen: Wir haben die Kapazität, Russland mit zunehmenden Kosten zu belasten, wenn es weiterhin die Separatisten unterstützt. Und dann werden wir Russland diese Kosten auferlegen. Nicht weil wir daran interessiert sind, Russland zu schaden.

Sondern weil wir dem grundlegenden Prinzip folgen, dass die Souveränität und die territoriale Integrität eines Landes zu achten sind. Nicht die Vereinigten Staaten oder Russland oder Deutschland sollten entscheiden, was in einem Land geschieht.“ *5)

*1a) UN Security Council 7219th Meeting (AM); Department of Public Information, News and Media Division, New York. (Übertragung RS).
*1b) Das Monster, das Putin schuf. Ein Kommentar von Stefan Kornelius. Süddeutsche.de; 18. Juli 2014, 09:46 Uhr.
*1c) FLUG MH17. Dieser Abschuss verändert alles. Von Carsten Luther; zeit.de, 18. Juli 2014, 08:30 Uhr.

*2a)Phönix TV Live, 18.07.2014, ab 16.OO Uhr, deutsche Zeit; https://www.youtube.com/watch?v=ZCD6mGT78CY.
*2b) Remarks by Ambassador Samantha Power, Permanent Representative of the United States to the United Nations, at the Security Council Meeting on Ukraine; http://usun.state.gov/briefing/statements/229455.htm; July 18, 2014. (Übertragung RS).

*3) Steinmeier: Flugzeugabschuss wäre unvorstellbare Untat. DTS-Meldung vom 18.07.2014, 16:40 Uhr (Die von DTS berichtete Stellungnahme des Außenministers erfolgte in Mexico City, vermutlich am Vormittag; Hervorhebung RS).

*4) Steinmeier gibt Russland letzte Chance. Außenminister Steinmeier sieht nach dem MH17-Absturz den Moment für eine Zäsur gekommen. Russland müsse sich an einer Lösung des Konflikts beteiligen. Unser Live-Blog; zeit.de, 19. Juli 2014, 14:26 Uhr. Hervorhebung RS).

*5) The White House. Office of the Press Secretary. For Immediate Release. July 18, 2014. Statement by the President on Ukraine. James S. Brady Press Briefing Room. 11:52 A.M. EDT. (Übertragung RS).