Get rolling, Stones!

Trotz vielfältiger Bemühungen, sozialliberale Politikideen zu verbreiten, wächst bei Bürgern, die sich auf diesem Feld engagieren, die Sorge um die Sozialdemokratie. Anfang Juli vernahmen wir von „Augstein und Blome“ zur SPD: „Nachgucken, ob es sie noch gibt“ und vermerkten Heiterkeit beim Thema Kanzlerkandidat.

Ähnliches findet sich nicht nur bei diesen politischen Top-Kommentatoren. Dabei verfügt die SPD über eine erstklassige Führungstroika.

Sigmar Gabriel hat seine politische Zukunft mit einer Reform zur Öffnung der SPD verbunden. Parteiintern besonders umstritten: Auswahl von Kandidaten für öffentliche Wahlämter auch durch Nicht-Mitglieder. Wenn Sigmar Gabriel dies durchkämpft, hat er Parteigeschichte geschrieben.

(Nebenbei: Ich habe einen kleinen Wunsch für die Partei-Statuten. §x laute, „Wer die SPD in öffentlichen Spitzenämtern mehr als 10 Jahre vertreten hat und über 55 Jahre zählt, kann sagen, was er will. Er gilt als unantastbar.“ Seht es mir nach; aber ich gönne einigen Ortsvereinstypen nicht das Händereiben, weil sie den großen Wolfgang Clement aus der Partei getrieben haben.)

Peer Steinbrück verkörpert die europäische und transatlantische Spitzenkompetenz auf dem Gebiet der Finanz-, Währungs- und Geldpolitik. Respekt für seine knappen, selbstkritischen Äußerungen zum Komplex West-LB (Peer Steinbrück, Unterm Strich, 3.Aufl., Hamburg 2010, S. 222). Rechnen wir hier nicht Verantwortung für KfW und IKB hinzu. Fragen wir auch nicht weiter, warum Nachbar Griechenland mit „Immer rein in die gute Stube!“ begrüßt wurde. Lassen wir die Verpflichtungen zur Budgetkontrolle in ECOFIN und Eurogruppe beiseite, die dem Finanzministerium obliegt.

„Die Menschen hängen an seinen Lippen“, jubeln die Nürnberger Nachrichten laut kürzlicher Presseschau im Deutschlandfunk. Dies kann man sich lebhaft vorstellen, so wie er in seinem Buch mit einigen Prachtexemplaren der „Banker“ und der „Wirtschaftselite“ verfährt. Nur abgeordnetenwatch.de ist nicht amüsiert und bilanziert mit drastischem Resultat einen Vergleich der Zahl seiner Reden im Bundestag mit der Zahl honorierter außerparlamentarischer Vorträge.

Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier leistet wie Sigmar Gabriel Kärrnerarbeit. Am Arbeitsprogramm „Deutschland 2020“. Wirtschaftliche Modernisierung und eine Vollbeschäftigungsstrategie mit dem Wert der Gerechtigkeit zu verbinden, ist das Ziel. Die folgenden Aufgabenfelder des ehrgeizigen Programms der SPD-Fraktion seien hier kurz dargestellt. Weil die Medien diese politische Arbeit ignorieren und sich lieber mit den Auftritten Steinbrücks beschäftigen.

  • Konsens für Modernisierungsinvestitionen aufbauen: Forschung, Entwicklung, Kreativ-Wirtschaft und Mittelstand fördern; in Bildung, Energieversorgung, Verkehrswege, Stromnetze, Gesundheitswesen investieren.
  • Einen fairen Lastenausgleich bei Steuern und Abgaben verwirklichen, um die Mittel für die öffentlichen und privaten Investitionen in moderne Infrastruktur zu sichern.
  • Einen Pakt für Bildung in Kinder-Tagesstätten, Ganztagsschulen und Hochschulen organisieren.
  • Allianzen für Fortschritt und Gerechtigkeit schaffen: Integration von Minderheiten, Gleichstellung der Frauen, Beschäftigung für Ältere, Neuordnung der Arbeitswelt für Ausbildungsoffensiven, Entlohnungsgerechtigkeit (Mindestlohn), Eingliederung Langzeitarbeitsloser, Vereinbarkeit von Familie und Beruf – gerade auch für junge Eltern.
  • Bürgerversicherung für hohe Qualität der Gesundheits- und Pflegeleistungen.
  • Nachhaltige, bezahlbare und sichere Energie- und Ressourcenpolitik umsetzen.
  • Die politische Union Europas stärken, beginnend mit Regeln für die Finanzmärkte und Maßnahmen gegen die Euro- und Staatsschuldenkrise.

Wie wirken sich Peer Steinbrücks Redereisen, durch die seine überragende Kompetenz auf dem Gebiet europäischer Zusammenarbeit für solide Finanz- und Währungspolitik so überaus deutlich wird, „Unter dem Strich“ für die SPD aus? Welche Ergebnisse zeitigt die Kärrnerarbeit des Oppositionsführers Steinmeier?

Hinweise liefert das Institut für Meinungsforschung Infratest dimap im Mai 2011. Es hat untersucht, wie Wahlberechtigte in Deutschland die Frage beantworten, „welcher Partei Sie am ehesten zutrauen“, bestimmte politische Aufgaben zu lösen. Die Befragung zeigt die Grünen als Ein-Thema-Partei mit herausragender Fähigkeits-Zuschreibung auf dem Gebiet Energieversorgung und AKW-Ausstieg. Liberale und Linke fallen bei gar keinem Problemfeld als besonders lösungsstark auf. Daher möchte ich den Vergleich auf die Volksparteien Union und SPD und die folgenden politischen Kompetenzfelder beschränken.

1. Deutschlands Interessen in der EU vertreten: 48% der Befragten trauen dies eher der Union zu, 25% eher der SPD.

2. Die Stabilität des Euro gewährleisten: 42% Union, 20% SPD.

3. Die Wirtschaft in Deutschland voranbringen: 48% Union, 22% SPD.

4. Eine gute Haushalts- und Finanzpolitik betreiben: 41% Union, 28% SPD.

5. Die Energieversorgung sichern: 31% Union, 16% SPD, 36% Grüne.

6. Die wichtigsten Probleme Deutschlands lösen: 36% Union, 24% SPD.

Das Stimmungsbild von Infratest dimap vom Mai 2011 konstatiert also die Wahrnehmung eines Kompetenznachteils der SPD gegenüber der Union bei den wichtigsten Problemen, die derzeit bei verbesserter Konjunktur- und Beschäftigungslage im Vordergrund der öffentlichen Debatte stehen, zwischen 26 und 12 Prozentpunkten.

Bei den Politikfeldern Außenpolitik, Arbeitsplätze schaffen, Steuerpolitik liegt die SPD dagegen nur 2-3 Prozentpunkte hinter der Union. Und deutlich vor der Union punktet die SPD bei Sozialer Gerechtigkeit (+25 Prozentpunkte) und Gesundheitspolitik (+11 Prozentpunkte). In der Bildungspolitik hat die SPD zur Union einen Vorsprung von +4 Prozentpunkten erarbeitet.

Ohne jemandem aus der SPD-Troika, Gabriel, Steinmeier, Steinbrück, unrecht zu tun, die Zahlen von Infratest dimap deuten auf folgendes hin: Peer Steinbrücks europäische Durchsetzungskraft in finanz- und währungspolitischen Fragen, wie sie in seinem Buch und den fast hymnischen Reaktionen auf seine Redereisen so sichtbar wird, hat wohl ihm selbst zur hypothetischen Kanzlerschaft verholfen, dem Ansehen seiner Partei dagegen nicht eben viel eingebracht. Gewählt werden jedoch Parteien, nicht hypothetische Kanzlerkandidaten.

Wenn die Politikfelder betrachtet werden, auf denen die SPD führt oder nicht stark gegenüber der Union abfällt, dann zeigen sich hier erste Resultate der Kärrnerarbeit von Oppositionsführer Steinmeier und SPD-Vorsitzendem Gabriel.

Das hindert CICERO in der Maiausgabe 2011 nicht daran – Lyrik ist, wem sagt ihr das, schöner als Zahlen – in die Hymnen einzustimmen: „Wer, wenn nicht Peer?“ Dazu ein Admiral Steinbrück im Kostüm des 16. Jahrhunderts vor geblähten Segeln, dh. den Wind im Rücken. Schönheitsfehler oder Widerspruch zum Titelbild und seinem Lyrikansatz: Die Cicero-Umfrage von Anfang April 2011 („Wer sollte die SPD 2013 als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl führen?“) zeigt Steinmeier eindeutig vor Steinbrück – gleich, ob die Befragten Ost- oder Westdeutsche, Anhänger von SPD, Union, Grünen, FDP oder Linken sind. Sollte es in der Bundesrepublik tatsächlich noch Bürger geben, deren „Blicke nicht an Lippen hängen“, sondern die nüchtern gucken, wer die Arbeit leistet?

Eins eint bekanntlich alle drei Persönlichkeiten der SPD-Troika – keiner hat je eine wichtige Landtags- oder Bundestagswahl gewonnen, im Gegenteil! Bei Frank-Walter Steinmeier möchte ich aber zum Ergebnis 2009 die folgende These wagen: Es lag nicht vornehmlich am Kandidaten. Ursache war vielmehr der unter dem Wahlkampf-Tiger Gerhard Schröder gewachsene Kampa-Mythos der SPD-Wahlkampforganisation, der ohne den letzten Vollblut-Politiker in sich zusammenfallen musste. Ferner der versuchte Wahlbetrug Ypsilantis in Hessen, der in der bornierten Zumutung gipfelte: „Nur eins von 12 Wahlversprechen habe ich nicht halten können“. Das Koalitionsversprechen, nicht mit der Linken zu regieren, in eine Reihe mit der ohnehin unter Kompromiss-Vorbehalt stehenden Wahl-Propaganda zu stellen! Das war zu viel der Verlogenheit!

Ein vorläufiges Fazit (Unterm Strich, also) hat kein Außenstehender deutlicher formuliert als Renate Künast im Spiegel-Interview vom 15. Juli 2011: „Aber zunächst muss die SPD aus meiner Sicht erstmal klären, wo sie hin will. Noch hat sie ihren roten Faden nicht wiedergefunden. Wenn das geschehen ist, müsste sich auch einer wie Steinbrück dort einfügen.“

Get rolling, Stones, together!