Glückwunsch dem Präsidenten Martin Schulz!

Mit Interesse und Hochachtung vor der Persönlichkeit des Sozialdemokraten Martin Schulz, MdEP, bin ich heute der Antrittsrede dieses neuen Präsidenten des Europäischen Parlaments gefolgt.

Bis zur Wahl des Europäischen Parlaments im Jahre 2014 wird er das Amt innehaben. Hoffnung und Zweifel halten sich die Waage – so mein Fazit seiner Rede.

Hoffnung weckt vor allem seine Ankündigung, er setze sich das Ziel, „Begeisterung für Europa zu wecken“. Das kann er ohne Zweifel.

Seine Worte zur konsensualen „Gemeinschaftsmethode“, zur historischen Bedeutung der EU zeigten dies. Auch eine Aussage vor seiner Wahl könnte begeistern: „Europa braucht einen Ort, an dem die Kontroverse um die Zukunft Europas, der EU und des Euros für die Bürger sichtbar und nachvollziehbar ausgetragen wird.“ Sein Ziel sei, „das EU-Parlament zum streitbaren Ort für die Auseinandersetzung um die Zukunft Europas zu machen.“ (www.sueddeutsche.de/politik/eu … 17.01.2012)

Hoffnung setze ich auch in seine Ankündigung, er wolle „unser eigenes Haus in Ordnung bringen“. Allerdings blieb dies etwas vage. Ich hörte eher die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen für die Abgeordneten heraus. Das mag sehr berechtigt sein.

Doch der Bürger erwartet mehr. Nämlich ein Ende der schon ein gutes Jahrzehnt immer wieder thematisierten „dreisten Selbstbedienung“ (Prof. Hans-Herbert von Arnim, www.stern.de/politik 15.01.2004).

Noch 2009 fielen Vorgänge um die Altersversorgung der MdEPs unangenehm auf (stern.de/blogs/hans-martin_tillack/doppelpension). Bei Reise- und Verwaltungskosten möchten Bürger nicht immer wieder „Gier“-Meldungen lesen, sondern Transparenz, bevor sie sich für das EU-Parlament begeistern können.

Zweifel kamen mir bei der dem Temperament des Präsidenten entsprechenden „Kampfansage“. Zwar hat er Recht, wenn er feststellt: „Das Scheitern der EU ist ein realistisches Szenario“. Aber deshalb einen Kampf gegen „Vergipfelung“, „Fixieren auf Treffen der Regierungschefs“ führen? Und damit es ganz klar wird, deklariert er als ersten Testfall für seine „Kampfbereitschaft“ das zwischenstaatliche Abkommen über die Fiskalunion. Das war ja Ergebnis des Brüsseler Gipfels der Regierungschefs im Dezember 2011.

Ein international angesehener, herausragend sachverständiger Sozialdemokrat, der Gouverneur der österreichischen Nationalbank, Professor Ewald Nowotny, hat nach dem Brüsseler Gipfel im ZIB-Interview (mit Frau Lorenz-Dittlbacher) die hohe Bedeutung dieses Abkommens gewürdigt und dringend die strikte Umsetzung dieser Vereinbarungen angemahnt.

Und nun spricht Präsident Schulz von einem Kampf für „Ausgleich“ zwischen „Haushaltsdisziplin“ und „Wirtschaftswachstum“. Wie stellt er sich solchen „Ausgleich“ vor? Weniger Haushaltsdisziplin, dafür mehr wirtschaftliches Wachstum? Wenn Haushaltskonsolidierung jedoch die Voraussetzung für einen mittelfristigen Aufbau von nachhaltigen Wachstumsperspektiven ist, dann erscheint der Begriff des „Ausgleichs“ völlig verfehlt.

Und wenn Präsident Martin Schulz als „ersten Test“ androht, sich durch „Kampf“ gegen die Brüsseler Vereinbarung zur Stabilitäts- und Fiskalunion „den Respekt der Exekutive“ (d.h. der europäischen Regierungen) zu „erstreiten“ – dann wächst Sorge über die Bereitschaft und Fähigkeit, die Fiskalunion in Europa zu realisieren.

Da nun Herr Schulz – so dem Kampfsport geneigt – vorgibt, „der Präsident aller Europaabgeordneten“ zu sein, ist sogar eine Frontstellung zwischen EU-Parlament und den Bemühungen der wirklich demokratisch gewählten Regierungen zu befürchten (bekanntlich gilt für die Zusammensetzung des EU-Parlaments nicht die Demokratie-Regel „Ein EU-Bürger – Eine Stimme“).

Was kann der Bürger tun, wenn in seiner Bilanz solche Zweifel die Hoffnung gegenüber der Präsidentschaft von Herrn Schulz überwiegen?

Zwei alternative Möglichkeiten bestehen: Entweder 2014 bei der Europawahl eindeutig ausgewiesene Anhänger europäischer Stabilitätskultur und der Fiskalunion  wählen. Oder aber gezielt die Wahl verweigern, um dem Europäischen Parlament durch die ohnehin geringe Wahlbeteiligung die Legitimität für den Anspruch zu stutzen, bei Entscheidungen des Europäischen Rates mit zu wirken.

Keine erfreuliche Situation für einen stabilitäts- und zugleich europabewussten Bürger.