Griechische Tragödenkunst färbt ab.

Welcher hellenische Sänger singt uns dieses Menetekel?

„Wir glauben,

dass Europa

im Juli 2012

schlafwandelnd

in Unheil

unabsehbaren Ausmaßes treibt.“*)

Nein, kein griechischer Barde singt, sondern renommierte Ökonomen schreiben so etwas. Und bringen es breit in die Presse. Aber den vollständigen Text findet man erst nach einigem Suchen. In englischer Sprache, das ist Bürgernähe!

Viel Neues steht in dem gleichwohl sehr informativen Beitrag nicht. Ärgerlich ist die dramatische Pose. Wenn Politiker oder Journalisten Drama, Getöse oder sonstige Übertreibung zwecks Aufmerksamkeit veranstalten, müssen dieser Methode Wissenschaftler nicht auch noch folgen. Das Theater um Herrn Röslers gewagte Behauptungen wird auch diesem Beitrag die Wirkung nehmen.

„Wir glauben“ – das wollen wir von Wissenschaftlern nicht auch noch hören.

„Europa“ – wir brauchen kein allgemeines Gerede über „Europa“.

„Im Juli 2012“ – schönen Urlaub! Zur Sicherheit haben sie sich noch mal gemeldet, falls es im August oder in den Semesterferien bis Anfang Oktober an den Finanzmärkten Ärger gibt. Zum Glück sind die Verantwortlichen immer im Dienst. Und wir Bürger? Haben wir in diesem Unglücks-Juli noch ein paar Stunden oder Tage Zeit, unsere Ersparnis vor dem angekündigten Unheil in Sicherheit – Gold, Schweizer Franken, Norwegische Krone oder US-Dollar – zu bringen?

„Schlafwandelnd“ – fragt mal die Verantwortlichen und dem Bürger Rechenschaftspflichtigen in EU-Kommission, Regierungen der Eurozone, Finanzministerien, EZB, EFSF oder IWF, ob sie schlafwandelnd unterwegs sind! Es sind diese Verantwortlichen, die uns bisher am genauesten informiert haben!

„Ein Unheil“ – Desaster, Katastrophe, Plage oder sonstige biblisch anmutenden Begriffe. Es ist verfehlt, dass uns auch noch Wissenschaftler mit Panikmache zusetzen.

„Unabsehbaren Ausmasses“ – für das Kalkulieren auch des Ungewissen werden Sie bezahlt, nicht fürs Schwadronieren.

Warum schreiben die angesehenen Damen und Herren das? Weil seit zwei Jahren soviel Widersprüchliches von Ökonomen dieser Gruppe und auch von anderen Volkswirten geschrieben wurde, dass wohl Sorge um Reputation der Zunft wächst? Weil sie die Finanzkrise 2007 nicht haben kommen sehen?

Aber wer würde denn Wissenschaftlern in so neuartiger, dynamisch wechselnder Krisenlage Irrtümer oder begründete Urteilsdifferenz vorwerfen?

Sehr problematisch wäre, wenn solche Gruppenarbeiten kompromisshaft Sachdifferenzen verbergen würden, damit der Text erscheinen kann.

Diese Ökonomen, offenbar Protagonisten einer großen Lösung, einer europäischen Transformation, scheinen nicht anzuerkennen, dass die verantwortlichen Akteure seit langem an Lösungen arbeiten.

An einer neuartigen Riesenaufgabe von Konsolidieren öffentlicher Finanzen, geldpolitischer Stabilisierung der Finanzmärkte, Risikobewertung von Schuldtiteln verschiedener Staaten, Schulden-Schnitten, Regulierungsreform für Finanzmärkte und Reformen für marktwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, Prüfung vertraglich vereinbarter Gegenleistungen für Finanzhilfen. Da gibt es wohl keinen Groß-Entwurf der Systemtransformation. Sondern nur europäisch abgestimmtes, schrittweises Vorgehen.

In einer Analyse über Präsident Obamas Außen- und Krisenpolitik heißt es**): „Obama`s way of achieving progress is incremental rather than transformational“. Diesem Vorgehen folgt offenbar auch die Bundeskanzlerin Merkel. Dazu kommt als Nebenbedingung für Erfolg versprechende Ideen und für Lösungsvorschläge die mühsame gesetzgeberische Feinarbeit und die Verantwortung, die unser Bundesverfassungsgericht wahrnimmt.

Aufrufe von Wissenschaftlern sind ernst zu nehmen und zu lesen. Aber wegen unangebrachter Drama-Rhetorik eher zu ertragen, wenn man die Äußerungen Verantwortlicher studiert: Von Bundeskanzlerin Merkel, Finanzminister Schäuble, Bundesbankpräsident Jens Weidmann und Kollegen, EZB-Präsident Mario Draghi, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank Ewald Nowotny, EZB-Direktor Jörg Asmussen. Nur um intellektuell hervorragende Verantwortliche zu nennen, die uns besorgte Bürger informiert und orientiert haben.

*) Breaking the deadlock: A Path Out of the Crisis, 23 July 2012; http://ineteconomics.org (Übers. RS).

**) M.S. Indyk et al., Scoring Obama`s Foreign Policy, Foreign Affairs, May/June 2012, S. 42.