GroKo Bürgerdialog.

Am 27.11.2013 wurde der Vertrag für die Große Koalition (GroKo) von den Verhandlungskommissionen der CDU, CSU und der SPD beschlossen. Viele Bürger erwarteten, dass aufgeschobene Probleme zügig bearbeitet, auf krisenhafte Ereignisse wirksam reagiert, für Zukunftsprobleme längerfristig stabile Beiträge geleistet werden.

Was haben wir bisher gesehen? Als erstes eine gewaltige Zukunftshypothek in Gestalt des „Rentenpakets“, das von Sozialdemokraten wie Gerhard Schröder, Franz Müntefering und Frau Ursula Engelen-Kefer hart kritisiert wurde. Einer der bedeutendsten Experten auf dem komplizierten Rechtsgebiet der Rentenversicherung, Prof. Dr. Franz Ruland, seit 1965 Sozialdemokrat, verließ seine Partei im Protest über diese Entscheidung gegen sachverständigen Rat.

Die Bilanz der GroKo soll hier natürlich nicht auf diesen kostenträchtigen Fehler reduziert werden. Es wurde auf vielen verschiedenen Gebieten — Justiz, Entwicklungspolitik, Außenpolitik und auch der Wirtschafts- und Energiepolitik — schon jetzt erkennbar viel geleistet. Vor allem das Null-Defizit des Bundeshaushalts, nicht nur eine Leistung des Finanzministers Wolfgang Schäuble, sondern der gesamten GroKo, trägt durch Signalwirkung zur Stabilität der Eurozone bei.

Aber einige besorgte Anfragen durch den Bürger sind sicher nicht abzuweisen.

Da ist zunächst der angekündigte „Bürgerdialog unter dem Motto ´Gut leben in Deutschland – Was uns wichtig ist`“. Rund 150 „Bürgerdialoge“ sollen die Bundeskanzlerin Merkel und Vizekanzler Gabriel geplant haben. *1)

Was soll dieses Propaganda-Projekt? Wird eine der Großkoalition entsprechende Großpropaganda für eine an Politik interessierte Minderheit von Parteimitgliedern und „Politik-Multiplikatoren“ vorbereitet?

Sind die GroKo-Politiker schon so weit weg von den Menschen im Lande? Vor ein paar Tagen kaufte ich an einem Stand am Rhein eine lecker aussehende Crêpe. Vor mir eine Kundin, die mit der Verkäuferin eine Radio-Musik im Hintergrund kommentierte: Atemlos durch die Nacht — Helene Fischer, schnappte ich mit Interesse auf. Der Dialog der beiden Damen erinnerte mich an einen Herrn namens „Wolle“, der mich vor Jahren mit „Hölle“ und „Wahnsinn“ vor 50 Tsd. Menschen im Stadion und im TV verblüffte. Oder an die ähnlich berühmte Frau Andrea Berg.

Da bedarf es also nicht der „Soccer-Mum“, um die Partei-Politiker, die sogenannte politische Klasse, auf ihren Platz im Leben der allermeisten Menschen hinzuweisen. Hier sind Sänger benannt, die ganze Stadien mühelos mit 50 Tausend und mehr Anhängern füllen, zahlenden (!) Fans, vom Opa bis zur Enkelin — und alle singen die Lieder mit!!

Guckt euch doch die „Großveranstaltungen“ eurer Parteien und die für „Politische Bildung“ an! Denkt mal an die armen Teufel, die 300 Teilnehmer zusammenkratzen müssen, um den „Saal vollzumachen“. Das gelingt wohl meist, weil das gratis ist und obendrein mit dem „kleinen Imbiß“ und Polit-Geselligkeit gelockt werden kann — auf Kosten des Steuerzahlers.

Dies soll gar nicht kritisiert werden, politische Bildung und Dialog interessierter Bürger und Multiplikatoren ist für die Demokratie wichtig. Der Vergleich mit Frau Helene und Herrn Wolle soll nur für ein wenig Bescheidenheit und für Realismus gegenüber Bürgerinteressen jenseits der Politik- und Parteimilieus werben. Insbesondere bei einer Partei der “einfachen Leute“, so die gern benutzte Selbstbeschreibung der Sozialdemokratie. Welche Bürger sollen denn nun von der GroKo mit 150 Bürgerdialogen traktiert werden?

Frau Bundeskanzlerin und Herr Vizekanzler, verschonen Sie bitte uns Bürger mit den angekündigten 150 „Bürgerdialogen“, lagern Sie dieses unsinnige Projekt aus an die Einrichtungen der politischen Bildung.

Und vor allem: Reden Sie nicht, sondern regieren Sie, dafür wurden Sie gewählt! Für Regieren, nicht für Bürgerdialog-Propaganda! In der Regierung sollte genug zu tun sein, möchte der Bürger annehmen.

Regieren statt Reden ist eine Forderung, die auch aufkommenden Ärger der Bürger ausdrückt. Über das, was wir lesen müssen, bevor der Bürgerdialog überhaupt begonnen hat. *1)

„Bundesregierung will mit Bürgerdialog Wünsche der Menschen besser einbeziehen … Sigmar Gabriel: „Veranstaltung soll keine ´Konsenssoße` bringen … für mehr Lebensqualität sorgen“. „Wir sind neugierig“, sagte Merkel … Für sie persönlich bedeute Lebensqualität, dass sie und ihre Familie gesund seien, sie Freunde und Familienangehörige habe und ihr die Arbeit Spaß mache … Gabriel sagte, „dass für mich das Allerwichtigste meine beiden Töchter sind“ … Merkel wie Gabriel betonten die Bedeutung der Dialogaktion für den Kampf gegen Politikverdrossenheit und -verachtung“. *1)

Dazu meine unmaßgebliche Bürgerposition: Dieser Propaganda-Schrotschuss wird nach hinten losgehen! Schon weil solch vermuckte, spießerhafte Bauchnabelschau die Regierung eines weltweit tätigen Landes lächerlich macht.

Und deutsche Bürger werden sich das Theater verbitten: Regieren statt reden! Zum Beispiel bei der global bedrohten Inneren Sicherheit, der das Kapitel 5 des Koalitionsvertrages gewidmet ist. Ja, der Bürger sorgt sich vor internationaler Kriminalität und Terrorismus. Das sollte die Bundesregierung auch ohne Bürgerdialog wissen.

Sind nicht die Terroristen des 11. September 2001 aus Deutschland gekommen, um in den USA Massenmord zu begehen? Hat der SPIEGEL etwa gelogen, als er 2012 zum illegalen Handel mit Waffen, Massenvernichtungswaffen und Nuklearwaffen-Technik feststellte: „Untersuchungen zeigen, dass Deutschland ein Drehkreuz geheimer Lieferungen bleibt, trotz umfassender Sanktionen.“ *2)

Was soll daher der GroKo-Krach über die Zusammenarbeit der internationalen Nachrichtendienste, der National Security Agency (NSA, USA) und des Bundesnachrichtendienstes (BND, Deutschland)? Muss bei solchen Befunden etwa nicht das Internet auf Terror-Verabredungen mit Suchworten geprüft, bei einschlägig bekannten deutschen Firmen etwa nicht nach illegalen Lieferverflechtungen geforscht werden? Glaubt denn in der GroKo jemand ernsthaft, den internationalen Terror, die Organisierte Kriminalität von Waffen-, Menschen- und Drogenhandel ohne engste Zusammenarbeit mit den USA bekämpfen zu können?

Klärt Missbrauch bei nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit auf. Auch wenn es um NSA und BND gehen mag. Aber kommt uns nicht mit der Albernheit, dass es ausgerechnet die USA nötig hätten, bei der deutschen Wirtschaft technologische Nachhilfe durch Spionage kostengünstig zu erwerben. Währenddessen hat die Wirtschaftsspionage Chinas, Südkoreas und Russlands hier alles längst an technischem Firmen-Wissen abgeschöpft, was zu holen ist. Ganz zu schweigen von der Konkurrenz in der EU. Und die deutsche Wirtschaft schließt natürlich die Augen, wenn ihr Informationen über Produkte und Verfahren von Wettbewerbern angeboten werden.

Die letzte GroKo Merkel/Steinmeier hat am 17. Juli 2009 eine Änderung des Grundgesetzes (GG) beschlossen, den Artikel 45d GG in unsere Verfassung eingefügt: „Artikel 45d GG. Parlamentarisches Kontrollgremium. (1) Der Bundestag bestellt ein Gremium zur Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit des Bundes. (2) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“

Wenn schon soviel Geschrei in der GroKo über den BND und seine Zusammenarbeit mit den USA: Wo bleibt denn das 2009 angekündigte „Bundesgesetz“, das die „Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit des Bundes“ regeln soll?

Ist dies Thema Gegenstand des Bürgerdialogs über Lebensqualität? Zum Beispiel durch gelungene „Balance zwischen Freiheit und Sicherheit“? (Kap. 5, Koalitionsvertrag 2013).

Und noch ein Thema zum Komplex BND und unsere Sicherheit vor Terror darf ich vom wohl unvermeidbaren GroKo-Bürgerdialog erhoffen.

Vor dem Abschuss der Malaysia Airlines Maschine MH-17 auf dem Gebiet der Ostukraine am 17. Juli 2014, so berichtet die Deutsche Welle (DW) über Erkenntnisse des Recherchepools WDR, NDR und „SZ“, habe „der Bundesnachrichtendienst (BND) der Bundesregierung mehrfach in seinen täglichen Berichten mitgeteilt, dass die Luftsicherheit über dem Konfliktgebiet in der Ostukraine nicht gegeben sei“.

Auch das Auswärtige Amt (AA) habe in „sogenannten Drahtberichten vom 15. Juli 2014, also zwei Tage vor der Katastrophe von Flug MH17, … von einer sehr besorgniserregenden Lage in der Ostukraine gesprochen … Als Grund sei in den als „VS (Verschluss-Sache) – nur für den Dienstgebrauch“ eingestuften Unterlagen des AA der Abschuss eines ukrainischen Militärflugzeugs vom Typ Antonow An-26 in einer Flughöhe von mehr als 6000 Metern am Tag zuvor genannt worden.“ *3)

Diese Gefahrenhinweise für Linienflüge über der Ostukraine seien aber nicht den deutschen Luftfahrtgesellschaften übermittelt worden: „Fakt ist, dass uns keine Informationen von Seiten der Behörden vor dem 17. Juli vorlagen“, so ein Sprecher der Lufthansa. „Am Tag des Absturzes von MH17 flogen laut den Recherchen der deutschen Medien auch drei Maschinen der Lufthansa über das Gebiet. Eine davon nur zwanzig Minuten vor der malaysischen Boeing.“ *3)

Dazu lehnt die Bundesregierung jede Verantwortung ab. Nur bei konkreten Gefahrenlagen erlaube das Luftverkehrsgesetz, deutschen Fluggesellschaften geänderte Flugrouten vorzugeben. „Im Falle der Ostukraine … habe zum Zeitpunkt des Unglücks eine solche konkrete Gefahrenlage nicht bestanden.“ (Regierungssprecherin). Da haben die Lufthansa-Passagiere 20 Minuten vor Flug MH17 über der Ostukraine noch einmal gewaltiges Glück gehabt!

Zu diesem Vorgang durfte das Auswärtige Amt olympisch feststellen: „Verschlusssache ist Verschlusssache“. *3) Das ist dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière in der „Verschlusssache — Streng Geheim“ über die NSA-BND-Zusammenarbeit offenbar nicht erlaubt.

Auch zu diesem Widerspruch würde ich im Rahmen des GroKo-Bürgerdialogs gern Näheres erfahren, damit daraus nicht nur Propaganda und “Konsenssoße“ (Sigmar Gabriel) wird.

*1) Bürgerdialog: Merkel und Gabriel wollen reden. Montag, 13.04.2015, www.focus.de.

*2) SPIEGELONLINE. 10/01/2012. Nuclear Technology for Iran. German Investigators Uncover Illegal Exports. By Cathrin Gilbert, Holger Stark and Andreas Ulrich (Übersetzung, RS).

*3) UKRAINE-KRISE. Regierung bestreitet Versäumnisse bei MH17-Unglück. MH17: Berlin soll von Gefahren gewusst haben . Datum 27.04.2015. Autorin/Autor Richard Fuchs und se/sti/ (dpa, afp); http://dw.de/p/1FFhM.