Große Koalitionsprojekte.

Gestern kam der Koalitionsvertrag im Vorwärts per Post.

Heute urteilten angesehene Journalisten – von Augstein & Blome bis zum Presseclub – über „einen Koalitionsvertrag ohne ein großes Projekt“ (Blome). Widerspruch!

Wozu eine Große Koalition ohne großes Projekt, für das eine verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit nötig wäre, fragte Herr Blome.

Im TV-Presseclub hieß es entsprechend etwa, hauptsächlich ginge es um „kleine Beträge für kleine Leute“. Fangen wir mit dem Punkt des Presseclubs an. Der ist doppelt fragwürdig.

Erstens, weil vielleicht das Gefühl verloren gegangen ist, was 25 €/Monat (dieser Betrag wurde im Presseclub genannt) zusätzlich für viele Menschen und den sozialen Frieden in unserem Land bedeuten können.

Zweitens, hier geht es nicht um Kleinigkeiten. Immer wieder wird der Satz vergessen, das Kleinvieh macht den Mist. 25 €/Monat sind 300 €/Jahr, was bei z.B. 20 Mio. Anspruchsberechtigten den Bundeshaushalt mit der „Kleinigkeit“ von 6 Mrd. € zusätzlich belasten würde.

Und um solche Kleinigkeiten geht es in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik hier und da, bei diesem oder jenem „kleinen“ Zuschuss für Millionen von Bürgern.

Da bedarf es eiserner Kontrolle durch den Bundesminister der Finanzen, sonst vergesst die Steuerbremse, die Schuldenbremse, die Zukunftspolitik für kommende Generationen und die Bemühungen um Finanzstabilität in Deutschland und Europa.

Deshalb ist der Koalitionsvertrag im Hinblick auf die Festlegungen der „kleinen Beträge für kleine Leute“ von solch zentraler Bedeutung. Also, man rege sich nicht über die „Pfennigfuchser“ bei Union und SPD auf!

Bedeutsam klingt auch der Einwand von Herrn Blome, der wohl ein durchgängig kleines Karo in der großen Koalition vermutet.

Hier liegt aber ein drastischer Fehler in der Wahrnehmung vor: Deutschland und seine Regierung stehen seit der Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschulden/Euro-Krise, also seit Jahren, mitten in ganz großen Projekten für eine sichere Zukunft in der globalen Wirtschaft.

Dem Koalitionsvertrag mangelt es nur deshalb am großen schicksalhaften Zukunftston, weil es in den kommenden Jahren vor allem um die konkreten Mühen der Ebene geht. Um das endlose, geduldige „Bohren der dicken Bretter“ (Max Weber).

Als da z.B. sind: Stabilisierung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion; europäische Zusammenarbeit bei Reformen für Staatshaushalte ohne neue Schulden und für wettbewerbsfähige Unternehmen; Aufbau einer transatlantischen Partnerschaft für Freihandel und gemeinsame Arbeit an Perspektiven für arme Länder; Kooperation, um den Frieden zu sichern und die Rüstung zu begrenzen; Konfliktprävention in den Krisen-Brennpunkten in unseren südostlichen Nachbarschaftsräumen. Alles verbunden mit härtesten Verhandlungen in Brüssel, um Konsens der europäischen Regierungen zu erreichen.

Das alles und noch einiges mehr sind große Projekte für die große Koalition.

Und man kann schon jetzt sagen, dass die deutschen Bürger überwiegend erleichtert feststellen, bis 2017 werde es wohl nicht in schwierigen Lagen zu zeitraubenden Krächen und langwierigen Kuhhändeln in Regierung und Parlament kommen.

Erinnern wir uns, dass 2011 in der schwersten Krisenzeit der Eurozone einem Herrn Schäffler, FDP-MdB, erlaubt wurde, ein Mitgliedervotum anzuzetteln, um zu fragen, ob die FDP als Regierungspartei regieren dürfe …

Wir können eine bedeutende politische Leistung von Union und SPD anerkennen. Bundeskanzlerin Merkel, SPD-Vorsitzender Gabriel und Ministerpräsident Seehofer haben mit dem Koalitionsvertrag eine tragfähig abgestimmte Problemsicht, eine Vereinbarung über wichtige Ziele und Verfahren für Regierungs- und Parlamentsarbeit erreicht.

Dies wird sich hoffentlich erweisen, wenn zum Beispiel der nächste neue Einsatz unserer Parlamentsarmee notwendig wird. Oder das Grundgesetz aus europapolitischen Gründen geändert werden muss. Oder eine Terrorgefahr und der Schutz unserer Sicherheit neue Gesetzeswerke erfordern. Auch die Sicherung des sozialen Friedens und Zusammenhalts durch vielfältige sozialpolitische Vorhaben des Koalitionsvertrags sind kein „kleines“ Projekt.

Es besteht kein überzeugender Grund, den Koalitionsvertrag 2013 „Deutschlands Zukunft gestalten“ kleinzureden. Und schon gar nicht die noch unbearbeiteten Aufgabenfelder der kommenden schwierigen Jahre.