Hassprediger in der SPD?

Die SPD sieht sich als Partei der Solidarität, des Gemeinwohls, der Aufklärung, der freien Debatte. Die SPD erscheint aber leider auch, wie aktuelle Presseartikel über Peer Steinbrück wieder einmal nahelegen, als Partei der Delegierten-Macht, der „Bonzokratie“, des Organisations-Zentralismus mit rigider Beschlusslage und „Linie“ als Vorgabe für Kommunikation.

Anders ist kaum erklärbar, dass anscheinend selbst für den um unser Land hochverdienten Peer Steinbrück das Gebot gilt: „Es (ist) besser, man hält die Klappe“ (UIrike Nissen, SPD-MdB). *1)

Was hat Peer Steinbrück nach drei SPD-Niederlagen bei Landtagswahlen getan? Er hat — Steinbrück ist bekanntlich Steinbrück — „die Klappe“ nicht gehalten, sondern zur Analyse der Ursachen im liberalen Peer Steinbrück-Stil einiges beigesteuert *1):

  • Die SPD sollte sich nicht allein dem Thema Gerechtigkeit widmen: „Die Konzentration auf die Gerechtigkeit reicht nicht, es muss etwas dazukommen, das Fortschritt, Zukunftsoptionen verdeutlicht.“
  • Der 100%-„Erfolg“ der Wahl von Martin Schulz zum Parteichef hätte die Partei „vergiftet“: „Die Partei saß plötzlich auf Wolke sieben, es hat sich ein Realitätsverlust eingestellt und das Publikum hat sich gewundert: Steht da jetzt Erich Schulz-Honecker?“
  • SPD-Politiker erschienen im Bild der Öffentlichkeit „häufig zu verbiestert, wahnsinnig überzeugt von der eigenen Mission“.
  • „Der Begriff der Heulsusen trifft gelegentlich den Gemütszustand der SPD. Nur wehe, Sie sprechen ihn aus.“
  • „Ich glaube, dass die SPD gut beraten ist, Spekulationen über Rot-Rot-Grün die Grundlage zu entziehen“. *2
  • Es mag ja unterschiedlich beurteilt werden, ob die kritischen Hinweise Steinbrücks hilfreich zur Analyse von Ursachen und Lösungsmöglichkeiten der drei SPD-Wahlniederlagen beitragen.

Immerhin hat Steinbrück nicht die bisher mangelnde Bereitschaft oder Fähigkeit des SPD-Bundesvorstands thematisiert, dem SPD-Chef und Spitzenkandidaten für das Amt des Bundeskanzlers, Martin Schulz, qualifiziert fachlich und politisch zuzuarbeiten, und ihn seinem Rang angemessen in der politischen Debatte und in den Wahlkämpfen zu positionieren.

Ganz verheerend für das Bild der SPD in der Öffentlichkeit erscheinen nicht Steinbrücks Bemerkungen, sondern die an das Niveau von „Wutbürgern“, wenn nicht gar „Hasspredigern“ erinnernden Kommentare hochrangiger Sozialdemokraten. Denn sie bestätigen einen verbreiteten Eindruck, den die Steigerungsform beschreibt: Feind-Todfeind-Genosse! Obwohl bei Parteitagen vor TV-Publikum gern dagegen angesungen wird: Wann wir schreiten Seit`an Seit`… Da mag sich über Anspruch und Wirklichkeit wundern, wer will:

  • Ralf Stegner, SPD-Vize zu Steinbrück: „Andere, selbst an ihrer Hybris gescheitert, geben via Kommentaren der Partei, der sie (noch) angehören, unerbetenen schlechten Rat.“ *3)
  • Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, zu Steinbrück: „Das ist mies. Charakterlich. Inhaltlich. Strategisch. Taktisch.“ *3) Feiner Diplomat, der Herr!
  • Marco Bülow (SPD-MdB) zu Steinbrück: „Typen wie Clement und er haben die SPD entsozialisiert.“ *1)
  • Gerhard Schröder, ehemaliger Bundeskanzler, angeblich (!) zu „Vertrauten“ über Steinbrück: „Ein Spießbürger, der versucht, sich einen intellektuellen Anstrich zu geben. Und das mögen wir nicht“. *4)

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat seinerzeit gezeigt, wie ein erfolgreicher Machtpolitiker mit seiner Partei umspringt, und welche Härte oder Brutalität mit solcher Fähigkeit verbunden ist. Und sein aktuell oben zitierter Satz über Steinbrück, „das mögen wir nicht“, mag sich für viele gegen Schröder selbst richten.

Mancher liberal denkende Sozialdemokrat wird bei solcher Debatte in der Sozialdemokratie — wie gesagt, der Partei der Solidarität, des Gemeinwohls, der Aufklärung, der freien Debatte — nachdenklich werden: Wenn schon solcher Umgang unter “Parteifreunden“, was hat dann der Wähler zu erwarten?

Und deshalb können viele Bürger bedeutende Sozialdemokraten wie Peer Steinbrück und Martin Schulz, die zugleich umgängliche, bürgernahe, diskussionsfreudige, eigenwillig-kantige Persönlichkeiten sind, mit Hochachtung und Sympathie anerkennen.

*1) Kritik an Schulz-Hype. SPD-Abgeordnete stänkern gegen Steinbrück. In einem Interview kritisiert Ex-SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück seine Partei hart. Die Genossen schießen zurück. 27. Mai 2017, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/martin-schulz-spd-abgeordnete-kritisieren-peer-steinbrueck-a-1149544.html.

Steinbrücks Verdienste v. a. als Bundesfinanzminister: Erstens, die Garantie für unsere Bankeneinlagen in der Finanzkrise 2008, was den katastrophalen “Run“ zum Geldabheben verhinderte und Vertrauen in Bankenstabilität wahrte. Zweitens, die Schuldenbremse im Grundgesetz für nachhaltig stabile öffentliche Finanzen und zum Schutz künftiger Generationen.

*2) Sozialdemokratie. Steinbrück rät SPD von Rot-Rot-Grün ab. Der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat gibt der Führung seiner Partei Wahlkampftipps. Er lobte FDP-Chef Lindner. Dessen Partei könne als Koalitionspartner interessant sein. 27. Mai 2017, http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-05/sozialdemokratie-peer-steinbrueck-rot-rot-gruen-ausschliessen.

*3) „Mies. Inhaltlich. Taktisch“. SPD wehrt sich gegen Steinbrück-Kritik an Schulz

Der frühere SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück geht seinen Nachfolger Martin Schulz wegen seines Wahlkampfes hart an. Das lässt die Partei nicht auf sich sitzen. 28.05.2017, faz.net.

*4) NACH ATTACKE AUF SCHULZ. Schröder schießt gegen Steinbrück … und nimmt kein Blatt vor den Mund. 28.05.2017; http://www.bild.de/politik/inland/spd/spd-zerlegt-sich-selbst-51939238.bild.html