Hausmacht

… diese kann mit dem Ziel angestrebt werden, um in jedweder Organisation den eigenen Einfluss zu steigern. Das ist mit hohem Risiko verbunden.

Beginnen wir mit dem einfachsten Fall, um solches Risiko zu illustrieren:

1. Familie und Hausmacht

Dazu kennt man in Süddeutschland den Spruch: „Straßenlacher — Hausdracher“. Mehr ist zum Risiko derartiger Verhaltensweise nicht zu sagen: Entweder setzt sich der aushäusig beliebte „Dracher“ in der Familie durch, oder die Flucht setzt ein. „Hausmacht“ kann organisationsintern wachsen, z. B. durch gemeinsame Ansichten, Interessen, oder durch externe Beliebtheit, Reputation oder nach außen gerichtete Mobilisierung von Anhängern angestrebt werden.

2. Outsider in die Politik: durch Aufbau einer Hausmacht

Persönlichkeiten, die sich bereits eine Reputation erarbeitet haben, mögen den Weg zur Macht über politische Parteien suchen. Natürlich erscheint ihnen die „Ochsentour“ der früh einsteigenden „Berufspolitiker“, wie z.B. Kevin Kühnert (SPD-Jungsozialisten) oder Paul Ziemiak (Junge Union, CDU/CSU), nicht zumutbar.

Hier fallen nicht selten Professoren oder sachkundige Manager auf, die sich in der Öffentlichkeit und ihrer Partei profilieren: durch Vorträge, Gutachten, Medienpräsenz. Bis das Spitzenpersonal der Partei solch hochrangigen „Influencern“ eine Rolle eingeräumt hat, die ihrem Ansehen entspricht.

Bei diesem Vorgehen würde von außen eine „Hausmacht“ in der Partei aufgebaut. Das kann gelingen, wenn es von allen maßgeblich Beteiligten als „Win-Win-Situation“ für die Partei und den Experten bewertet wird. Wird dies Ergebnis aus Sicht der Partei verfehlt, hat der mögliche „Influencer“ keine Chance. Weil von oben drastisch klargemacht wird, dass er unerwünscht und nicht mehr Empfänger von Einladungen ist.

  • Beispiel für Gelingen dieser Strategie: Prof. Karl Schiller, ein ehemaliges NSDAP-Mitglied, der unter Willy Brandts Kanzlerschaft erfolgreicher Wirtschafts- und Finanzminister wurde. Oder der Manager in der Energiewirtschaft Werner Müller, der von 1998-2002 von Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Bundesminister für Wirtschaft und Technologie berufen wurde.
  • Ein Gegenbeispiel ist der Ökonom Prof. Bernd Lucke, über 30 Jahre CDU-Mitglied, mit öffentlichem Ansehen als Initiator von Aufrufen zur Finanz- und Eurokrise. 2011 verließ er die CDU, wurde 2013 Mitbegründer der AfD, wo er auch austrat. Lucke ist heute führend in der Mini-Partei „Liberal-Konservative Reformer“ (vormals ALFA) und ein fachlich einflussreicher Abgeordneter des EU-Parlaments. Eine „Win-Win-Situation“ für Lucke und die CDU hat sich nicht entwickelt, vermutlich weil Lucke ein zu eigenständiger Denker ist.

3. Politikinsider: Kampf um die Hausmacht

Solche Situationen können Spitzenkräfte einer Partei suchen, um ihre parteiinterne Stellung, ihre Hausmacht, vor kommenden Wahlen zu stärken. Die gewählte Strategie muss in diesem Fall besonders gut durchdacht sein; denn bekanntlich gilt: Feind—Todfeind—Genosse/Parteifreund!

a. SPD-Bayern-Fehlschlag?

Bei der Landtagswahl 2013 hatte der damalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude ein Ergebnis von 20.6 Prozent erzielt. Derzeit werden für die SPD in Bayern, nur gut zwei Monate vor der Landtagswahl am 14. Oktober 2018, ganze 11 Prozent vorhergesagt. Wie ist solcher Absturz erklärbar? Die Grünen landen dagegen mit einer Doppelspitze nach 8.6 % (Ergebnis 2013) bei einem Umfragewert von 15 %. *1)

Dabei hat die Spitzenkandidatin der SPD, Natascha Kohnen, als Naturwissenschaftlerin (Diplom-Biologin und Fachlektorin) mit ihrer Familie beruflich und politisch eine bewundernswerte Leistung vorzuweisen. Gerade weil sich ihr Lebensweg von nicht wenigen „Nur-Politikern“ abhebt, die außerhalb der Parteiarbeit kaum Erfahrung in der Arbeitswelt haben.

Sind Frau Kohnen und der SPD-Bayern Strategiefehler anzulasten, die den Vertrauensverlust der Bevölkerung erklären?

Wer die Aussagen der SPD-Spitzenkandidatin auf ihrer Webseite (https://natascha-kohnen.de/?start) liest, wird mit einigen sehr allgemeinen Zielen bedacht: WIR BRAUCHEN MEHR ZUSAMMENHALT//BEZAHLBAREN WOHNRAUM SCHAFFEN//FAMILIEN FINANZIELL ENTLASTEN//GUTE ARBEIT SICHERN//LÄNDLICHEN RAUM STÄRKEN//KOSTENLOSER ÖFFENTLICHER PERSONENNAHVERKEHR//POLIZEI STÄRKEN, FREIHEITSRECHTE WIEDERHERSTELLEN//WELTOFFENES BAYERN SCHÜTZEN//GERECHT IST, WAS WOHNRAUM SCHAFFT!

Schön und gut, mag man denken. Dann wirbt Natascha Kohnen für die Bedeutung ihrer Person, als käme sie aus dem Nichts: WAS MICH ANTREIBT//WAS ICH VORHABE//WO ICH BIN//WAS ICH TUE.

Und jeder der oben genannten, auf dem Allgemeinplatz abgestellten „Ziel-Bekundungen“ fügt Frau Kohnen mehrfach hinzu: „Ich will“//„Ich will“//„Ich will“//„Das heißt für mich“ etc. etc.. Man gewinnt den Eindruck einer eher übermäßigen „ICH-Bezogenheit“, als müsse die SPD-Spitzenkandidatin ihr Programm und ihre Hausmacht gegen die eigene Partei durchsetzen.

Vielleicht erklären insbesondere zwei weitere Faktoren das Umfragedebakel der Bayern-SPD:

  • Werden die aggressiv-kämpferischen Auftritte von Andrea Nahles, SPD-Chefin in Berlin, in Bayern als unangenehm empfunden? Einem Bundesland mit angesehenen SPD-Oberbürgermeistern in Großstädten wie München, Nürnberg und Fürth?
  • Die AfD, die bei der Landtagswahl 2013 nicht antrat, genießt einen Aufwuchs auf 15 Prozent! *1) Ist dieser Zuwachs der AfD in den Umfragewerten im Grenzland Bayern, das von der Zuwanderung der Geflüchteten besonders betroffen war und ist, vor allem zu Lasten der SPD gegangen? Einer SPD, die ein „WELTOFFENES BAYERN SCHÜTZEN“ will?

Das Debakel in den Umfragen erodiert die Hausmacht der Führung. Die Lage erscheint derzeit trostlos: SPD-Bayern — Landtagswahl 2018, hope for the best, but prepare for the worst!

b. Linker Hausmacht-Kampf: Experiment Wagenknecht

Wer in einer gut geführten Organisation auf eigene Faust, an der Führungsspitze vorbei, eine Kampagne für die eigene Hausmacht betreibt, wird im Normalfall ohne viel Federlesens zerstört. Fertig, aus, auf Null gebracht!

Warum ist dies bei Sahra Wagenknecht, Fraktions-Ko-Vorsitzende (mit Dietmar Bartsch) der LINKEN im Deutschen Bundestag, unterblieben, als sie die neue linke Sammlungsbewegung „Aufstehen“ initiierte? Ohne dies Vorhaben anscheinend mit ihren beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger abgestimmt zu haben?

Als Erklärungsfaktoren könnten angeführt werden:

  • Die Parteivorsitzenden der LINKEN, Katja Kipping und Bernd Riexinger, können einen harten Konflikt mit Sahra Wagenknecht nicht gewinnen, ohne ihre eigene Hausmacht erheblich zu beschädigen.
  • Die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ wurde von Wagenknecht und Oskar Lafontaine, Oppositionsführer der LINKEN im saarländischen Landtag, mit angesehenen Mentoren gegründet: mit Antje Vollmer, ehemals grüne Spitzenpolitikerin; mit dem renommierten Soziologen und ehemaligen Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, Prof. Wolfgang Streeck; mit dem Sozialdemokraten Rudolf Dressler, ehemals Staatssekretär und Botschafter in Israel; weitere Unterstützer sind nach Angabe von Wagenknecht „Schriftsteller, Künstler, Wissenschafter und Leute aus der Unterhaltungsbranche“. *2) Ein Kreis von namhaften Förderern macht Wagenknecht für ihre Parteigegner unangreifbar, wie hart auch immer diese Wagenknechts Initiative ablehnen.
  • Frau Wagenknecht besitzt die Klugheit, sich selbst hinter das Anliegen der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ zurückzunehmen: „Wir versuchen, so unterschiedliche Unterstützer wie möglich zu erreichen, weil die Bewegung breit aufgestellt sein soll. Wir wollen Mitglieder der SPD und der Grünen genauso ansprechen wie Parteilose und Menschen, die sich vor Jahren von der Politik abgewandt haben. Vor allem Ärmere haben in unserem Land oft den Eindruck: Die Politiker tun nichts für uns … Aber auf die Ärmeren und Abstiegsgefährdeten müssen wir uns konzentrieren. Eine Linke, die hier ihren Rückhalt verliert, hat keine Zukunft.“ *2)
  • Und Frau Wagenknecht besitzt die Klugheit, Menschen, die sich von politischen Parteien enttäuscht fühlen, das Wort zu überlassen: dem Gartenbauer, der seine Sorgen missachtet fühlt; Frau Daniela, die gegen Kriegsgewinne deutscher Rüstungsexporteure aufsteht; Studierende und Gering-Verdiener mit der Angst, ihre Miete nicht mehr bezahlen zu können; Familien mit schwer erkrankten Kindern; Schülerin Viktoria, die im Ausland moderne Bildungsmethoden schätzen lernte; Student Sebastian, der an seinem ländlichen Wohnort weder Internet noch Mobilfunk hat; die Journalistin Nada, mit syrischen Wurzeln, die deshalb angefeindet wird; die Lehrerin Svenja mit ständiger Sorge, einen KITA-Platz für ihre Kinder zu finden, damit sie arbeiten kann; die Putzfrau Susi beklagt: den Arbeitsdruck und die Lebensangst prekär beschäftigter Menschen, Schwangere, die um ihren Arbeitsplatz fürchten, Schnüffelei mancher Job-Center, wenn ein Hartz IV-Empfänger einen Schrebergarten hat; Margot, eine Rentnerin mit Angst um ihre zu teure Wohnung und bei Krankheit allein zu sein …
  • Bisher hohe Resonanz: Seit dem Start der Website www.aufstehen.de am Samstag, dem 04. August 2018, sollen sich nur über das Wochenende bereits Zehntausende von Interessenten bei der Sammlungsbewegung gemeldet haben. Dies mag auch an der innovativen Methode der Mobilisierung liegen. Sahra Wagenknecht: „Wir fangen als digitale Plattform an, auf der sich jeder als Unterstützer eintragen kann. Unsere Positionen werden wir dann auf allen Ebenen präsentieren, mit witzigen Clips, mit Angeboten auf Facebook und Instagram. Es wird Online-Diskussionen geben, bei denen sich die Leute einbringen können … Wenn es gut läuft, dann werden wir die Bewegung so schnell wie möglich auch in die analoge Welt holen, mit Veranstaltungen, Konferenzen und Straßenaktionen. Ich möchte, dass die Menschen spüren: Da entsteht etwas Neues und Grosses, was die erstarrten politischen Strukturen durcheinanderwirbelt.“ *2)
  • Lafontaine betont das überparteiliche Anliegen von „Aufstehen“: „Aus der Friedens-, Frauen- und Dritte-Welt-Bewegung sind auch keine Parteien entstanden. Trotzdem haben sie die Gesellschaft verändert.“ *3)

Erste Umfragen (Emnid) signalisieren, dass die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ von bis zu 34 Prozent der Menschen begrüßt wird. Dies könnte die Hausmacht von Sahra Wagenknecht in der LINKEN gegenüber ihren Gegnern entscheidend stärken.  

4. Fazit.

Nicht nur in Deutschland, sondern europa- und weltweit wandeln sich im digitalen Zeitalter die Methoden politischer Kommunikation. Wer an den altbackenen „tax and spend“-Versprechungen im Stile persönlicher Ansprache — „Ich kenne deine Probleme, deshalb verspreche und gebe ich dir“ — festhält und seinen Politikstil nicht erneuern kann, der wird scheitern. Solche traditionellen Politiker werden nicht nur ihre parteiinterne Hausmacht, sondern auch den politischen Wettbewerb verlieren.

Sowohl die erbitterte Kritik politischer Gegner, als auch die bisher erstaunliche Resonanz auf die anscheinend glaubwürdig überparteiliche Sammlungsbewegung „Aufstehen“ geben Wagenknechts Vision eine Erfolgschance. Wenn viele Menschen, die sich von der traditionellen Politik abgewendet haben, spüren: „Da entsteht etwas Neues und Grosses, was die erstarrten politischen Strukturen durcheinanderwirbelt.“ *2)

Im digitalen Zeitalter wächst das Misstrauen der Bürger gegenüber dem Streben nach „Hausmacht“ durch parteiinterne Grabenkämpfe. Zunehmend prüfen die Wähler die Politik auf offene Dialogformen, auf glaubwürdige Kompromissbereitschaft, auf messbar nachvollziehbare Politikresultate. Intransparente “Hausmacht-Allüren“ werden abgelehnt.

*1) Umfragedebakel. Statt gegen Union zu wettern, muss SPD sich endlich selbst widmen. FOCUS-Online-Redakteurin Henriette Jedicke. Montag, 06.08.2018; https://www.focus.de/politik/deutschland/umfragedebakel.

Siehe auch: Landtagswahl 2018 in Bayern: Aktuelle Umfragen im Überblick. (Quelle: wahlrecht.de, Stand: 1. August 2018).

*2) INTERVIEW mit Sahra Wagenknecht. Neue linke Bewegung: «Wir wollen Mitglieder der SPD und der Grünen genauso ansprechen wie Parteilose». Marc Felix Serrao, Berlin, 15.6.2018; https://www.nzz.ch/international/wir-wollen-mitglieder-der-spd-und-der-gruenen-genauso-ansprechen-wie-parteilose.

*3) Sammlungsbewegung von Sahra Wagenknecht. „Aufstehen“ erregt Aufsehen. Von Kristina Dunz. 06. August 2018; https://rp-online.de/politik/deutschland/zehntausende-melden-sich-fuer-sahra-wagenknechts-aufstehen-an_aid-24228385.

**) Hier sollte klargestellt werden, dass ich als Sozialdemokrat kein Anhänger der Linkspartei, von Frau Wagenknecht oder Herrn Lafontaine bin. Die moderne Sozialdemokratie sollte nicht aus eigentumsfeindlicher Position gegen Reichtum kämpfen. Sondern gegen Armut und für die Chancen armer Menschen, durch Bildung und Arbeit ihre Situation zu verbessern. Dazu bedarf es nicht linksextremer Umverteilung durch zusätzliche steuerliche Zugriffe auf höhere Einkommen und Vermögen.