Hellas: europapolitische Einsichten.

Ein auf diesem Gebiet führender Sozialdemokrat — Martin Schulz, EU-Parlamentspräsident, — überrascht den Bürger durch unangemessene Redensarten.

Martin Schulz ist bislang eher durch Willfährigkeit gegenüber hellenischer Zurückhaltung bei Reformen und bei der Konsolidierung des Staatshaushalts aufgefallen. Er wollte ja auch 2014 als europäischer Spitzenkandidat der EU-Sozialdemokratie über die Europawahl Präsident der EU-Kommission werden. Dass dies nicht klappte, lag auch an dem konkurrierenden Spitzenkandidaten der europäischen LINKEN, Alexis Tsipras, neuer Regierungschef in Hellas.

Griechenlands Regierung ist nun mit langjährigem Fachurteil über ihr Land und seine politische Führung und somit europapolitischen Gegebenheiten konfrontiert.

Besonders klare Stellungnahmen zwischen 2011 und 2013 — schwierigen Jahren für die Eurozone und Griechenland — verdanken wir einem der großen österreichischen Ökonomen unserer Zeit, Herrn Professor Dr. Erich Streissler.

▪ „In der neuesten American Economic Review ist soeben ein großer Beitrag von Reinhart und Rogoff zu Finanzzusammenbrüchen und Schuldenkrisen erschienen: Bankrottweltmeister der Geschichte ist Griechenland mit in den letzten 180 Jahren bereits sechs Staatsbankrotten und in 87 dieser 180 Jahre erwiesener Auslandszahlungsunfähigkeit. Hätte es innerhalb der EU-Gewaltigen hinreichend viele Ökonomen oder auch nur Geschichtsbewusste gegeben, so hätte man das bei der Aufnahme Griechenlands in den Euroraum berücksichtigen müssen! Und warum ist Griechenland gegenwärtig auf dem Weg zum Bankrott? Weil es kaum Exportunternehmen hat, dafür aber einen besonders großen Prozentsatz von fest besoldeten Staatsbeamten. Die griechische Wirtschaft schrumpft, die Beamtenzahlung bislang kaum … Was wir von Griechenland lernen können, ist, dass nennenswerter Staatsschuldenabbau in einer schwer verschuldeten Wirtschaft zum scharfen Rückgang des Sozialprodukts führt.“ *1)

▪ „Der Wiener Finanzwissenschaftler Erich Streissler sieht .. eine Lösung der Schulden-Probleme Griechenlands nicht ohne zeitliche Erstreckung der Verbindlichkeiten auskommen. An ein Zerbrechen der Eurozone wegen der Griechenland-Krise glaubt Streissler nicht: ´Nein, das ist nicht denkbar`“. *2)

▪ „Erich Streissler übte harsche Kritik an der internationalen Schuldenpolitik … und stellte die Frage, ´warum es eigentlich Geld für Euro-Sünder gibt?` In Griechenland hätten sich die Politiker als Wahlbestechung ein Beamtenheer geschaffen und auch mit einem viel zu überdimensionierten Heer Staatsaufblähung begangen. Für Streissler, der selbst die Maastricht-Kritierien für zu weich betrachtet, hat Griechenland bei den Budgetzahlen ´belogen und betrogen` und stelle eine massive finanzielle Belastung dar. Die EU sei zu einer Transferunion verkommen. ´Die Euro-Sünder versündigen sich an der Zukunft Österreichs. Ich bin überzeugt, dass die Griechen über kurz oder lang aus dem Euro herausfliegen`“. *3)

▪ „Über den durch die Eurokrise ausgelösten Reformdruck zeigt sich Streissler hingegen erfreut. Die Griechen wollten schon seit 20 Jahren ´mehr Zeit für Reformen` haben, da helfe nur der Druck von außen. Er befürwortet auch die rigiden Kriterien des Internationalen Währungsfonds (IWF), der vielen Politikern nicht genehm sei.“ *4)

▪ „Weiters sind sog. ´Sparpakete` der öffentlichen Finanzen langfristig sinnvoll, um überzogene Staatsausgaben wieder auf ein langfristig vertretbares Ausmaß zurückzuführen. Und das hätte den Effekt, dass die Möglichkeiten für langfristige reale Investitionen wieder stärker eröffnet würden.“ *5)

▪ (Perspektive für Griechenland:) „Lassen Sie die Zinszahlungen auf die Staatsschuld, wo Griechenland ja die größte hat, international, komplett weg … Jetzt streichen sie die Staatsschulden und deren Bezahlung und dann ist die Frage, ob Griechenland in laufender Rechnung ein Defizit hat oder nicht. Und Griechenland ist in Europa das einzige Land, das in laufender Rechnung noch immer ein kleines Defizit hat … Aber in Griechenland ist dieses laufende Defizit inzwischen relativ klein. Das ist sozusagen die positive Sache … Griechenland ist ein kleines Problem.“ *6)

Ob EU-Parlamentspräsident Martin Schulz die hier zitierten Einschätzungen zu Hellas durch Professor Dr. Erich Streissler zur Kenntnis genommen hat, ist unbekannt. Er ist nun zur neuen Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras gefahren.

Wahrscheinlich wird Tsipras zunächst die in Frankreich von den Staatspräsidenten Mitterand und Hollande geübte Politik betreiben: Erst mit gewissem fiskalischen Aufwand einige der Versprechungen an die Wähler umsetzen. Auch Symbolpolitik treiben, wie z.B. unwirksamer Widerstand bei Sanktionen gegen Russland. Und dann der harten Wirklichkeit entsprechend regieren.

Trifft diese Vermutung oder Hoffnung zu, ist anzuerkennen, dass Ministerpräsident Tsipras keine Zeit verliert und bemerkenswert schnell von Wahlkampf auf Regieren umgeschaltet hat. Wie gesagt, warten wir doch konkrete Maßnahmen der Regierung ab. Viel Zeit bleibt ihr ohnehin nicht beim derzeitigen Fahrplan für Kredithilfen gegen Reformpolitik, der zunächst bis Ende Februar läuft.

Martin Schulz hält sich nicht weiter zurück im Hinblick auf seine Reiseziele für Athen. Man kann sagen, er bläst vor deutschem Publikum gewaltig die Backen auf. Vor Reiseantritt lässt er einiges gegen seinen ehemaligen Konkurrenten bei der Europawahl und für das Amt des Präsidenten der EU-Kommission vom Stapel. Mit Ministerpräsident Tsipras „werde ich Tacheles reden“ *7). Auf Debatten mit Tsipras „habe ich keinen Bock“. *8)

Für Alexis Tsipras ist der Wahlkampf vorbei. Martin Schulz dagegen scheint die Niederlage in der Europawahl noch immer nicht verwunden zu haben. Wie Professor Erich Streissler sagt: „Griechenland ist ein kleines Problem“. Würde sich Martin Schulz gegenüber Präsident Hollande oder Ministerpräsident Renzi derart aufführen wie gegenüber Alexis Tsipras?

Wer vor einer europapolitischen Reise so über seinen Gastgeber redet, bliebe besser zu Hause. Denn er setzt das Bild des ohnehin häßlichen Deutschen in Griechenland noch weiter herab. Und sich selbst setzt Schulz bei den Griechen in Deutschland herab, die übrigens unter Sachkennern zu den am besten integrierten Ausländern in unserem Land zählen.

Bei der gemeinsamen TV-Pressekonferenz von Martin Schulz mit seinem Gastgeber Alexis Tsipras hören wir dann den EU-Parlamentspräsidenten tönen: „Man soll nicht übereinander reden“. Wie oben zitiert, genau dies hat Schulz vor der Reise gegenüber Ministerpräsident Tsipras gemacht. „Sondern man soll miteinander reden“, fährt Schulz fort.

Das Gespräch „miteinander“ war nun in Athen möglich — eine großherzige Geste von Ministerpräsident Alexis Tsipras.

*1) SCHULDENKRISE. Schluss mit lustig! Erich Streissler. GASTKOMMENTAR | 21. November 2011; http://derStandard.at

*2) IFW-CHEF SNOWER. Griechenland: Fehler der 30er-Jahre wiederholt. 23. Mai 2011; http://derStandard.at.

*3) Experten: Griechenland wird über kurz oder lang aus dem Euro hinausfliegen. 30. Juni 2011; http://derStandard.at.

*4) KONJUNKTURSPRITZE VERPUFFT. „Das Geld ist in den Banken geblieben“. HERMANN SUSSITZ, 24. Jänner 2012; http://derStandard.at.

*5) CHATNACHLESE STREISSLER. „Hysterien sind schwer zu prognostizieren“. CHAT | 14. Februar 2012; http://derStandard.at.

*6) format.at › News › International. „Wir sind inzwischen ein vollkommen undemokratisches System“; veröffentlicht am 19. 3. 2013 . Das Interview (mit Erich Streissler) führte Astrid Schuch.

*7) MARTIN SCHULZ UND ALEXIS TSIPRAS. „Ich werde Tacheles mit ihm reden“. 29.01.2015; http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/martin-schulz-und-alexis-tsipras …

*8) EU-Parlamentspräsident. Schulz hat „keinen Bock“ auf Debatten mit Tsipras; 29.01.2015, http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/martin-schulz-reist-zu-tsipras …