Hellas: Grass und Lagarde.

Herr Grass zählt zu den Verehrungswürdigen und kann sagen, was er will.

Frau Lagarde zählt zu den Verantwortlichen für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen und muss sagen, was notwendig ist: die Wahrheit zu Hellas.

„Als Schuldner nackt an den Pranger gestellt, leidet ein Land … , dessen Geist Dich, Europa, erdachte“ – die Wahrheit von Günther Grass über „Europas Schande“.

Nun hat Hellas` Geist nicht nur Europa erdacht, sondern auch das „Creative Accounting“. Wenn die EU-EZB-IWF-Troika („der Kommissare Claqueure“, G. Grass) nicht aufpasst, würde diese Praxis noch heute betrieben. Aber wer weiß – im TI-Korruptionsindex 2011 nimmt Griechenland Rang 80 von 143 ein: korrupter wahrgenommen als Rwanda (49), Kuba (61), Rumänien (75), gleichauf mit Kolumbien.

Derzeit setzen uns die Hellenen mit Bildern armer, kranker Mütter zu – fraglos herzzerreißend. Aber nicht für hellenische Herzen. Ein Reeder-Milliardär erklärt uns im TV kühl: Keinen Cent Steuern für diesen korrupten Staat und diese korrupten Politiker!

Obwohl sich die Troika bis hin zur Lebensgefahr in Athen einsetzt und mit griechischen Fachleuten Lösungen für den Verbleib in der Eurozone sucht, erklärt Martin Schulz, EU-Parlamentspräsident, er müsse dringend nach Athen. Damit endlich mit den Griechen und nicht nur über sie geredet werde.

Leider hört man nicht viel von Ergebnissen dieses Dialogs. Außer: Der Zeitplan für Sparen und Reformen müsse gestreckt werden. Aber wohl nicht der Auszahlungsplan. Wieder ein Opfer griechischer Poker-Großmeister. Hätten einige Hellas-Kenner Herrn Schulz vorher sagen können.

Nun wird Frau Lagarde deutlich. Zwei Journalisten des britischen Guardian (25.5.2012) fragen die IWF-Chefin, ob sie den Hellenen sagen wolle, ihr hattet nice time, und nun ist pay back time. Antwort: „That`s right“. „Helft Euch selbst und zahlt endlich Steuern!“ So beschreibt der SPIEGEL das Gespräch (SPIEGEL ONLINE 26.5.2012). Dies ist nicht nur richtig, sondern auch gerecht!

Denn, so Frau Lagarde: „Es ist manchmal härter, Regierungen armer Länder, wo die Menschen von 3000, 4000, 5000 $ Pro-Kopf-Einkommen im Jahr überleben müssen, aufzufordern, den Staatshaushalt zu stärken und das Defizit zu reduzieren. Denn ich weiß, was dies für Sozialprogramme und Hilfe für die Armen bedeutet.“ (guardian.co.uk; Übersetzung, RS).

Bald könnten in Griechenland jene Politiker die erneute Neu-Wahl gewinnen, die mit den Gläubigern richtig Schlitten fahren wollen.

Erstens, werden solche Politiker den zweiten Marshall-Plan für Hellas fordern. Wie Herr Sarrazin nach Meinung von Fachleuten korrekt vorrechnet, erhielten die Griechen seit ihrem EU-Beitritt 1981 Hilfen in der Größenordnung von 150 % ihres BIP (Bruttoinlandsprodukt, jährliche Wirtschaftsleistung). Der richtige Marshall-Plan habe für das zerstörte West-Europa nach dem Weltkrieg 4% des BIP erreicht.

Zweitens, werden sie der EU, der EZB und dem IWF mitteilen: „Ihr Lügner meint, wir hätten in der aktuellen Schuldenkrise seit 2010 weit über 100 Mrd. Euro von Euch gesehen. Natürlich haben wir nichts gesehen, das Geld ging an die Gläubiger.“ Natürlich haben sie auch den Schulden-Schnitt nicht gesehen. So sind halt die Hellenen. Sie halten es mit Homer, dem greisen, blinden Sänger.

Und sie halten es mit ihrem großen Freund Günther Grass: „Rechtloses Land, dem der Rechthaber Macht den Gürtel enger und enger schnallt.“ „Europas Schande“? Nicht ganz! Denn das, was Günther Grass erwartet, wird nicht eintreten: „… doch zornig gibt Sokrates Dir den Becher randvoll zurück.“

Den Becher wird Europa vielleicht zurück erhalten. Aber nicht randvoll, sondern bis auf den letzten Tropfen geleert. Wohl bekomm`s! Denn Europa hat nicht den Becher des Sokrates, sondern den des Pythagoras gereicht. Damit Hellas – gewohnt sich selbst einzuschenken – dabei etwas bescheidener verfährt.