Hyperinflation 1923 — Vertrauensverlust.

Ein Jahrhundert danach berichten derzeit die Medien viel über die absurde Preisentwicklung, etwas zurückhaltender indes über die Folgeschäden — gerade für die kleineren Selbständigen mit enger Bindung an ihre Kunden.

In den frühen Jahren der Weimarer Republik hatte der Staat nicht nur hohe Kriegsschulden im Inland durch die Kriegsanleihen, sondern auch hohe Sozialausgaben zur Stabilisierung des im Weltkrieg schwer geschlagenen Landes. Dazu kamen die von den Siegermächten geforderten Reparationen.

In der Folge “galoppierten“: die staatliche Kreditaufnahme, die Geldvermehrung durch die Reichsbank, die Preise für Waren und Dienstleistungen — das Geld verlor in der Hyperinflation 1923 jegliches Vertrauen als Mittel zur Zahlung und für die Wertaufbewahrung. Damit waren alle auf die Mark lautenden Geldschulden und Geldvermögen ohne jeden Wert. *1)

Die Reallöhne (Geldlohnhöhe dividiert durch das Hyperpreisniveau) sanken „auf ca. 40 Prozent (des) Vorkriegsniveaus, weite Teile der deutschen Bevölkerung verarmten … Durch Mangel an Kaufkraft verloren auch Immobilien ihren Wert und wurden bei Notveräußerungen geradezu verschleudert.“ *2)

Die Stunde für “Immobilienhaie“, die Notverkäufe nutzten, war gekommen; mit  der Dollarwährung konnten Straßenzüge erworben werden. Auch Großunternehmer, häufig wird Hugo Stinnes genannt, bauten schuldenfinanzierte Wirtschaftsimperien.

Der größte Profiteur war der Staat. Nachdem schließlich am 15. November 1923 eine Währungsreform mit der “Rentenmark“ durchgeführt wurde, betrugen „die gesamten deutschen Kriegsschulden in Höhe von 154 Milliarden Mark … am Tag der Einführung der Rentenmark gerade einmal 15,4 Pfennige.“ *1)

Neben Staat und Unternehmern werden auch Landwirte *3) als Profiteure der Hyperinflation benannt. Zur Erläuterung ein Beispiel aus meiner Familie. Die Eheleute Louis und Meta Wurzel, meine Ur-Großeltern, besaßen in Thüringen einen Mühlenbetrieb. Sie mussten 1923 hinnehmen, dass die Bauern, die von Müller Wurzel Leistungen für Mehl oder Futtermittel auf Kredit erhalten hatten, ihre wertlos gewordenen Schulden tilgten und sich davonmachten.

Dies hat Louis und Meta Wurzel so verbittert, dass sie ihren Mühlenbetrieb verkauften und Thüringen verließen. In Nordstemmen (im heutigen Niedersachsen) erwarben sie den “Bockhof“ und bauten Obst, Gemüse und Blumen an, was sie auf dem Markt in Hannover verkauften. Louis hat seinen Gram nicht verwinden können und starb früh.

Meine Ur-Großmutter Meta kann ich noch erinnern. Durch unermüdlichen Fleiß gelang es ihr, den Gartenbau mit ihren vier Kindern wirtschaftlich zu betreiben. Der Familienbetrieb bestand bis zur Generation ihres Enkels, der Landschaftsgärtner wurde.

Das Leid, das hart arbeitende Menschen wie Louis und Meta Wurzel durch die Hyperinflation 1923 erlitten, teilten gewiss viele andere Handwerker und auch Kaufleute, die ihre Kunden “anschreiben“ ließen. Gerade im ländlichen Raum übten sie mit ihren Leistungen auf Kredit die soziale Funktion aus, die heute Banken und Sparkassen für sich in Anspruch nehmen.

Hier sei aller dieser kleinen Gewerbetreibenden gedacht, deren Vertrauen in ihre Kunden und Kreditnehmer vor einem Jahrhundert bitter missbraucht wurde.

Das staatliche Versagen in der Inflationsbekämpfung 1922 – 1923, der Verlust des Vertrauens in die Stabilität des Geldes hatte die Gesellschaft in Profiteure und schwer Geschädigte durch die Inflation gespalten. Für die Weimarer Republik sollte sich dies als politisch folgenschwer erweisen.

Inflation ist für die fleißigen und als Sparer/Kreditgeber vorsorgenden Menschen schwerer Vertrauensverlust!

Die EZB und die Bundesbank kennen die Lehren aus der Geschichte. Beugen sie dem Vertrauensverlust auch hinreichend umsichtig und nachhaltig vor?

*1) Deutsche Bundesbank. Inflation – Lehren aus der Geschichte. 15.10.2012; https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/themen/inflation-lehren-aus-der-geschichte-614516.

*2) INFLATION 1923. Milliarden für einen Schoppen Ebbelwei. Von Hans Riebsamen. 03.01.2023; faz.net

*3) HAUS DER BAYERISCHEN GESCHICHTE. INFLATION, 1914-1923; https://hdbg.eu/glossare/eintrag/inflation-1914-1923/2117