Idealisten und Schwadroneure – am Beispiel griechischer Staatsanleihen.

Zum Thema Hellas-Anleihen sagte am 10.06.2011 Carsten Schneider, MdB, im Bundestag: „Öffentliche Gelder … sind zu Privaten transferiert worden, die ihre Anleihen nun nicht mehr halten.“ Widerspruch, Herr Abgeordneter: Es gibt noch Idealisten, die griechische Staatsanleihen halten. Das verdanken wir dem Chefredakteur des Handelsblatts, Gabor Steingart.

1. Herr Steingart und seine Idee.

Herrn Steingart hätte ich zunächst nicht in der Nähe von Idealisten vermutet. Das liegt an seinen TV-Auftritten. Diese Woche bei Frau Illner qualifizierte er Herrn Röslers steuerpolitische Vorschläge als „Betrug“, „irre“, „bar jeder ökonomischen Vernunft“. Als „Argumente“ bot er uns 1) einen Namen: Graf Lambsdorff; 2) eine Phrase: „Maßhalten“, 1962 von Ludwig Erhard gegen überzogene Lohn- und Konsumansprüche ins Feld geführt; 3) das Budgetdefizit: Na ja, das gab´s seit den 1960ern immer, da hätte es nie entlastende Korrekturen am Tarif der Einkommensteuer geben dürfen.

Die FDP meint, Arbeitnehmer mittleren Einkommens verlören von 100 Euro Gehaltserhöhung  54 Euro an die Einkommensteuer. Ob eine Korrektur dieser „kalten Progression“ des Steuertarifs jetzt notwendig und dringlich ist, darüber kann sicher gestritten werden.

Aber bei derart wüster Attacke glaubte ich – wie der sichtlich unbeeindruckte Herr Rösler vielleicht auch – Herr Steingart habe vor der Sendung zu lange in der Berliner „Bar jeder Vernunft“ gesessen. Doch dann fiel mir ein, dass er vor einiger Zeit über die Bundeskanzlerin sagte: „Tausend Termine, keine Idee.“ Also: Der Herr hat vielleicht die Neigung zu entgleisen. Immerhin nicht völlig bar jeder Vernunft, denn in der Demokratie sollte die Regierung von den Medien härter angefasst werden als die Opposition.

Mag die Kanzlerin aus Sicht Herrn Steingarts ohne jede Idee ihre 1000 Termine abarbeiten. Herr Steingart jedenfalls hatte eine Idee. Diese seine Idee präsentierte er am 3. Mai 2010 – durchaus nicht zu pompös! – wie folgt: „Handelsblatt-Aktion: Wir kaufen griechische Staatsanleihen! Das Handelsblatt als größte Wirtschafts- und Finanzzeitung im Euro-Raum will in dieser aufgewühlten Debatte eine Stimme der Vernunft sein … Die Griechen sind Sünder, aber sie sind reuige Sünder … Am Freitag habe ich daher für 5000 Euro griechische Staatsanleihen geordert.“

Großherzige Geste gegenüber griechischen Sündern. Nachträglich wünschen wir ein schönes Wochenende nach solch guter Tat. Auch gar nicht zu dick eingestiegen in die Hellas-Papiere, eben ein Mann ökonomischer Vernunft. Vielleicht auch gar nicht zu dick aufgetragen, selbst wenn man bedenkt, wie pfleglich er mit seiner eigenen Idee im Vergleich zu den Ideen anderer umgeht (s.o.).

2. Steingarts Aktionsgefährten – noble Investoren.

Für die Aktion „Wir kaufen griechische Staatsanleihen“ hat Herr Steingart, wie er stolz vermelden darf, rd. ein Viertel Hundert bedeutende Persönlichkeiten gewonnen und ihre verpflichtenden Erklärungen zu dieser großen europäischen Geste der Solidarität mit Hellas protokollieren lassen. Denn: Tue Gutes und rede darüber! Allerdings hat er sich offenbar die Äußerungen seiner Aktions-Gefährten nicht so genau angesehen. Das muss ein Chefredakteur auch nicht. Hier nun eine Auswahl der Bekenntnisse zum Aufruf Steingarts, Hellas-Anleihen zu kaufen:

„Ich kaufe zum ersten Mal in meinem Leben Staatsanleihen – und zwar griechische“, sagt Hans Eichel, ehem. Bundesfinanzminister, der erste große Name auf Steingarts Liste. Das will man bei seinen wohlverdienten Pensionsansprüchen glauben. Nicht mal die von ihm selbst als Finanzminister ausgegebenen Bundesanleihen zur Deckung seiner „auf Kante genähten“ (Hans Eichel-Klassiker) Haushaltsdefizite hat er gekauft. Da ist sein Bekenntnis, nun griechische Staatspapiere zu kaufen, reiner Idealismus. Denn er kennt die Lage. Hat jahrelang im Detail zugeschaut, wie sich Hellas in den Euro hinein gelogen und trotzdem EU-Förder-Gelder kassiert hat. Allerdings lässt der „sparsame Hans“ offen, mit welcher Summe er seinem eigenen Aufruf folgte, „wir müssen uns solidarisch zeigen“.

„Wir müssen ein Signal aussenden…“ Frau Karen Heumann, Werbeagentur Jung von Matt. Mehr war nicht zu erfahren, das ist aber einer Dame nachzusehen.

„Ich habe griechische Anleihen gekauft, weil ich als Bürger eines europäischen Staates das Schicksal unserer Währung nicht in den Händen von Spekulanten lassen kann“, beteuert Prof. Gustav Horn, IMK-Wirtschafts-Institut des DGB. Wenn er den „Spekulanten“ das Handwerk legen wollte, muss er gewaltig investiert haben. Bescheiden verschweigt er den Betrag.

Bedeutend zwei Engagements von je 100 Tausend Euro: Jürgen Großmann, RWE, und Werner Bahlsen. Für den einen der Name Programm, für den andern der Betrag ein Keks?

„Ich habe für 5000 Euro Staatsanleihen gekauft.“ Manfred Oedingen, Generali Versicherungen Deutschland. Hut ab, wenn er mit dem Geld seiner Kunden auch so vorsichtig umgeht.

„Als symbolischen Akt der Solidarität werde ich heute eine Anleihe über 1000 Euro zeichnen … In wenigen Wochen verbringe ich auf Kreta wieder meinen Urlaub – und ich will den Leuten, auf die schwere Eingriffe warten, noch ins Gesicht schauen können. Ich bin kein Zocker. Daher werde ich, falls ich einen Gewinn dabei erzielen sollte, diesen einem Sportprojekt in Afrika spenden.“ Willi Lemke, Werder Bremen, Senator a.D.. Edle Worte für 1000 Euro.

Sieht man sich die Solidaritätsbekenntnisse für die Aktion „Wir kaufen griechische Staatsanleihen!“ genauer an, sind sie umso wortreicher, je tiefer der tatsächlich investierte Betrag im Dunklen bleibt. Dies gilt für Herbert Haas, Talanx AG, Michael Vassiliadis, IGBCE, Matthias Machnig, Wirtschaftsminister Thüringen, und vor allem –  alle anderen an Eloquenz deutlich übertrumpfend – für Professor Bert Rürup, den hochgeschätzten ehem. Vorsitzenden des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Das ist aus meiner Sicht aber reine Diskretion. Ich bin sicher, diese Herren haben sehr solidarisch investiert.

Zum Schluss präsentiert Herr Steingart für seine Aktion ein Schwergewicht ökonomischen Sachverstandes: Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts. Ja, den, der aussieht wie Ohm Krüger. Professor Sinn überzeugt durch schnörkellose Ehrlichkeit: „Ich finde es gut, für Griechenland Partei zu ergreifen. Aber den Kauf griechischer Staatsanleihen kann ich nicht guten Gewissens empfehlen. Statt dessen empfehle ich, in Griechenland Urlaub zu machen. Da weiß man, dass man etwas für sein Geld kriegt.“ Das war zwar nicht im Sinne von Gabor Steingarts Aktion zum Kauf der Hellas-Papiere, aber Dank an Herrn Professor Sinn für seine Empfehlung!

3. Schwadronieren im Deutschen Bundestag – MdB Carsten Schneider.

Vergesst nun meine Kommentare, wir alle müssen mal ein wenig schwadronieren. Ich hätte trotz der Aussage des TV-Finanzpädagogen Frank Lehmann 2010, dass er Hellas-Anleihen kaufe, nicht im Traum daran gedacht, diesem Beispiel zu folgen. Deshalb meine ich es ernst: Ich ziehe meinen Hut vor den Idealisten, die sehenden Auges aus europäischer Solidarität in griechische Staatsanleihen investierten! Der eingangs zitierte Abgeordnete Carsten Schneider hat Unrecht, wenn er meint, „Private“ hätten zu Lasten der Steuerzahler ihre Hellas-Anleihen abgestoßen. Er wirft Verdacht auf die namhaften Sozialdemokraten in Steingarts Liste. Aber es mag ja sein, dass er nicht verallgemeinern wollte und wenigstens seine Parteifreunde ausnimmt.

Doch dabei ließ es Carsten Schneider leider nicht bewenden! In derselben Bundestags-Rede behauptet er, dass die Europäische Zentralbank durch Ankauf griechischer Staatsanleihen im Rahmen strikt begrenzter Stabilisierungshilfe in der Griechenlandkrise ihre Unabhängigkeit verloren habe. Dass die EZB dadurch „zur Bad Bank Europas geworden“ sei.

Derart verantwortungsloses Gerede habe ich selten in Protokollen des Deutschen Bundestags gelesen. Und mit solchem Schwadronieren verziert er auch seine Homepage. Jeder halbwegs sachkundige Ökonom weiß, dass die derzeitigen Krisenlagen – von der Finanz- und Wirtschaftskrise bis zur Staatsschuldenkrise – vor allem Vertrauenskrisen waren und sind. Und dann kommt ein Parlamentarier daher und diskreditiert mit der EZB die wichtigste europäische Institution, die Geldwert- und Finanzstabilität sichern muss. Auf deren Unabhängigkeit und Fähigkeit, Vertrauen in stabiles Geld und stabile Finanzmärkte nach der Lehmann-Pleite 2008 wieder aufzubauen und zu sichern, die Wirtschaft und die Bürger angewiesen sind. Vor allem gilt dies für die Arbeitnehmer und die „kleinen Leute“, damit die Kaufkraft ihrer Einkommen und Ersparnisse geschützt bleibt. Wir alle haben nur den einen verlässlichen Anker für Vertrauen in die Geldwirtschaft – die unabhängige Europäische Zentralbank.

Herr Steinmeier, bitte, stellen Sie den Herrn Abgeordneten Carsten Schneider in Fragen der Geld-, Währungs- und Finanzmarktpolitik ruhig!