Interessenkonflikte — stahlhart.
Sigmar Gabriel, Vorsitzender des Aufsichtsrates von ThyssenKrupp Steel Europe, der Stahlsparte des “Mutterkonzerns“ ThyssenKrupp AG, ist Ende August 2024 von diesem Amt zurückgetreten. Wortgewaltig!
1. Interessenkonflikt: ThyssenKrupp Steel Europe vs. ThyssenKrupp AG.
Der Grund: Der Vorstandsvorsitzende des “Mutterkonzerns“ ThyssenKrupp AG, Miguel López, hatte Anfang August 2024 dem Vorstand von ThyssenKrupp Steel Europe „´Schönfärberei` bei der Erstellung eines neuen Business-Plans vorgeworfen.“ *1) Dabei erhielt López öffentliche Unterstützung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden der ThyssenKrupp AG, Siegfried Russwurm (BDI-Präsident), und durch Ursula Gather, Vorsitzende des Kuratoriums der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die größter Anteilseigner der ThyssenKrupp AG ist.
Mit Gabriel gingen die Vorstände von TK Steel Europe und auch Aufsichtsräte wie Detlev Wetzel, bis 2015 Erster Vorsitzender der IG Metall.
Sigmar Gabriel verband seinen Rücktritt mit Vorwürfen gegen die Führung des “Mutterkonzerns“ ThyssenKrupp AG — gegen den Vorstandsvorsitzenden Miguel López, den Aufsichtsratsvorsitzenden Siegfried Russwurm und Ursula Gather, die López‘ Vorgehen unterstützt hatten.
Gabriels öffentlicher Angriff *2):
- Die Vorstände von ThyssenKrupp Steel Europe hätten „jedes Vertrauen in den Willen und die Fähigkeit des Vorstandsvorsitzenden der ThyssenKrupp AG zu einer angemessenen Zusammenarbeit verloren“ — wegen dessen „öffentliche(r) Diskriminierung und Denunzierung“.
- Aufgrund der „beispiellosen Kampagne“ López‘ gegen den Stahlvorstand, sprach Gabriel von „schwerem Vertrauensbruch“. Gabriel behauptete: „López will die Stahlsparte mit der Brechstange aus dem Konzern lösen.“
Gabriels Angriffe gegen den Konzern ThyssenKrupp AG erfassten alsbald die Politik der SPD in Nordrhein-Westfalen. SPD-NRW-Fraktionschef Jochen Ott forderte in BILD den Rücktritt Russwurms als Vorsitzender des Industrieverbandes BDI: „Durch seine Mittäterschaft beim rücksichtslosen Angriff auf die Soziale Marktwirtschaft und die industrielle Herzkammer des Ruhrgebiets ist Siegfried Russwurm als BDI-Präsident unglaubwürdig und muss zurücktreten“. *2)
Der Interessenkonflikt zwischen der ThyssenKrupp AG (Vorstandsvorsitzender Miguel López, Aufsichtsratsvorsitzender Siegfried Russwurm) und der zurückgetretenen Führung von ThyssenKrupp Steel Europe, für die vor allem der politisch wirkungsvoll auftretende ehemalige Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel spricht, entzündete sich an folgenden Sachthemen:
- Die Stahlsparte (ThyssenKrupp Steel Europe, 27 Tsd. Arbeitnehmer) der Thyssenkrupp AG (100 Tsd. Arbeitnehmer) soll den Konzern verlassen und selbständig werden. „Das habe der Vorstand des Stahlunternehmens immer mit guten Gründen abgelehnt“, so Gabriel. *2)
- Die ThyssenKrupp AG rechne wegen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit im Stahlgeschäft mit ständigen Verlusten — im Geschäftsjahr 2022-23 sei ein „Milliardenverlust verzeichnet“ worden.*3)
- Der Aufsichtsratsvorsitzende der ThyssenKrupp AG, Russwurm, stellte fest, ThyssenKrupp Steel Europe sei es „nicht nur in den vergangenen Monaten, sondern in den vergangenen Jahren nicht gelungen ´erfolgreiche Antworten auf die strukturellen Herausforderungen des Stahlgeschäfts und seine betriebswirtschaftlichen Schwierigkeiten zu geben.` Der Stahl verbrauche ´laufend Liquidität zulasten seiner eigenen Zukunft, aller anderen Geschäfte und der Eigentümer des Konzerns`“, also des Gesamtkonzerns ThyssenKrupp AG. *1)
- Deshalb solle die Stahlsparte selbständig werden. Strittig ist, welche Höhe die ThyssenKrupp AG der Stahlsparte (ThyssenKrupp Steel Europe) als “Finanzierung/Funding/Mitgift“ zu zahlen habe, um diese so zu sanieren und zu restrukturieren, dass sie an den Stahlmärkten wettbewerbsfähig werde.
- „López geht von einem Bedarf von weniger als 2,5 Milliarden Euro aus“. Der Ex-Vorstand von ThyssenKrupp Steel Europe setzte mehr als 3.5 Milliarden Euro an. *1) Gegenüber der Angabe von López, so urteilt Gabriel, „fehlten zwischen 1,5 und 2,5 Mrd. Euro“ *4) für eine im Wettbewerb erfolgreiche Selbständigkeit der Stahlsparte.
- Der Industriepolitiker Felix Banaszak (MdB. Grüne, NRW), befürchtet in einem Beitrag zur Stahl-Debatte: „Ohne tragfähiges Finanzierungskonzept für die nächsten Jahre drohe ThyssenKrupp Steel Europe ´auf kurz oder lang die Insolvenz`.“ *5)
- Die Zukunft von ThyssenKrupp Steel Europe, Deutschlands größtem Stahlproduzenten und seinen 27.000 Mitarbeitenden, erscheint gefährdet. „Von Betriebsratsseite wird befürchtet, dass die Zahl der Hütten halbiert werden könnte. Das würde mit dem Verlust Tausender Arbeitsplätze einhergehen.“ *6) Die „IG Metall (IGM) habe behauptet, „10.000 Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel.“ *1)
- Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von ThyssenKrupp Steel Europe, Detlev Wetzel (IGM), will sein Amt Mitte September 2024 niederlegen, „sodass die IG Metall ausreichend Zeit habe, einen Nachfolger zu wählen … Es sei, so Wetzel, nun wichtig, dass ´jemand mit politischen Schulterklappen`, mit guten Kontakten in die Politik das Amt übernehme. Denn die weiteren Diskussionen über die Finanzierung würden Landes- und Bundespolitik unweigerlich mit einbeziehen müssen. ´Die Politik muss in den nächsten Wochen und Monaten hier eine zentrale Rolle spielen`“. *1)
Detlev Wetzel (IGM) hat auf das entscheidende Finanzierungsproblem der Stahlsparte ThyssenKrupp Steel Europe hingewiesen, das auf die NRW-Landes- und die Bundespolitik, letztlich aber auf die Steuerzahler zukomme: „Zu politisch brisant ist die Rolle des Unternehmens und seiner Zulieferer in der Region.“ *1)
Der ehemalige SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel, zurückgetretener Aufsichtsratsvorsitzender von ThyssenKrupp Steel Europe, hat die von ihm erwartete Rolle im Interessenkonflikt gegen die ThyssenKrupp AG mit starkem Widerhall bei betroffenen Arbeitnehmern, IG-Metall und SPD-NRW wahrgenommen. Der Ruf nach dem Staat ist nicht mehr zu überhören.
2. Interessenkonflikt: ThyssenKrupp AG vs ThyssenKrupp Steel Europe
Grundlage für die Darstellung der Interessenlage der ThyssenKrupp AG, des “Mutterkonzerns“ von ThyssenKrupp Steel Europe, ist die Rede von Miguel López, Vorsitzender des Vorstands der ThyssenKrupp AG, anlässlich der ordentlichen Hauptversammlung der ThyssenKrupp AG am 2. Februar 2024. *7)
Der Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG hatte López als Vorsitzenden des Vorstands für den Zeitraum vom 1. Juni 2023 bis zum 31. Mai 2026 bestellt. Schon diese Frist deutet auf einen konkreten Auftrag, dessen Erfüllung von López bis spätestens 2026 erwartet wird.
Darüber habe López nach seiner Amtsübernahme einen “Stakeholder-Dialog“ geführt: „Mit Mitarbeitenden, mit Betriebsräten und weiteren Arbeitnehmervertretern, mit Kunden, mit Politikern, mit dem Essener Bischof, mit Investoren, Shareholdern und weiteren Vertretern des Kapitalmarkts.“ Dabei sei auch von López dargelegt worden, „dass das Unternehmen so nicht weiter machen darf, das wäre unverantwortlich.“ *7)
Gerade die Gespräche mit den Eigentümern der Thyssenkrupp AG, also mit den Aktionären und Aktionärinnen, hätten eine klare Botschaft vermittelt: Über viele Jahre waren nicht zufrieden stellende Ergebnisse ihres Unternehmens — Rendite auf ihr eingesetztes Kapital und die Entwicklung des Aktienkurses von Thyssenkrupp — zu beklagen.
Diese Botschaft habe López zum Thema der Gespräche mit den Führungskräften und allen Mitarbeitenden im Unternehmen gemacht und es auch in Interviews öffentlich angesprochen.
Der Auftrag für die Führung der Thyssenkrupp AG laute: Profitables Wachstum fristgerecht erreichen! Das entspreche nicht nur dem Interesse der Eigentümer, sondern auch dem der Mitarbeitenden, der Kunden, der Lieferanten und auch der Politik.
Vorstandsvorsitzender der Thyssenkrupp AG López: „Dafür bin ich angetreten. Dazu gehört auch, dass wir Ziele, die wir uns setzen, fristgerecht erreichen und es nicht bei Ankündigungen bleibt, die nicht erfüllt werden … Der Glauben an die Erneuerungskraft unseres Unternehmens hat schwer gelitten. Wir müssen uns zurück kämpfen!“ *7)
Dem Thema Stahl gemäß werden allein die Vorgaben López` für die Stahlsparte ThyssenKrupp Steel Europe dargestellt und die übrigen Bereiche der ThyssenKrupp AG vernachlässigt: Z. B. Polysius (Maschinen- und Anlagenbau und damit verbundene Dienstleistungen), Automotive Technology (High-Tech Komponenten und Systeme, Ingenieur-Dienste für die internationale Auto-Industrie), De-Karbonisierungstechnologien (Schlüsseltechnologien für die Grüne Transformation für weltweite industrielle Kundengruppen; von López selbst geführt), Materials Services (Werkstoffhandel und Logistik für Stahlprodukte, Nicht-Eisen-Metalle, Kunststoffe), Marine Systems (Marinetechnologie, U-Boote).
Im Hinblick auf das Ziel, profitables Wachstum fristgerecht (das muss für López heißen: bis 2025/26) zu erreichen, sieht López vor allem den Stahlbereich der ThyssenKrupp AG vor folgenden Herausforderungen: *7)
- Stahl sei als industrieller Werkstoff zentral für das metallverarbeitende Gewerbe: insbesondere in der Automobilindustrie, im Maschinen- und Anlagenbau oder in der Bauwirtschaft.
- Angesichts des weltweit zunehmenden Protektionismus benötige die deutsche und europäische Industrie eine wettbewerbsfähige Stahlindustrie, um ihre Unabhängigkeit und Widerstandsfähigkeit gegenüber „der Aggressivität internationaler Wettbewerber, allen voran den chinesischen“ zu sichern.
- Zugleich erfordere das Transformationsziel klimaneutraler Stahlproduktion deren sehr kostenintensive Umstellung von fossiler Energie (Kohle, Erdgas, Erdöl) auf wasserstoffbasierte Stahlproduktion (durch wasserstofffähige Direktreduktionsanlagen), die CO₂-Emissionen erheblich reduzieren. Der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen fördern die Investition und Anlaufphase dieser Anlage mit zwei Mrd. Euro. Damit soll der Kostennachteil klimaneutraler europäischer Stahlproduktion teilweise gegenüber Wettbewerbern ausgeglichen werden, die “klimaschädlich“ oder mit anderen Kostenvorteilen produzieren (z.B. Subventionen, regenerative Energie kostengünstig verfügbar).
- Die stark erhöhten Kosten für klimaneutrale Stahlproduktion resultieren aus “grüner Energie“ (d.h. Strom aus erneuerbaren Quellen wie Solarenergie, Wasserkraft, Windkraft, Geothermie und Bioenergie), die bis zu 50 % der Gesamtkosten ausmache. Ob deren hoher Mengenbedarf für den klimaneutralen Betrieb der Anlagen gedeckt werden kann, sei jedoch unsicher. Ebenso bleibe die Frage offen, ob der Wasserstoff für Direktreduktionsanlagen in ausreichender Menge geliefert werden kann.
Um diese Herausforderungen der Stahlsparte zu bewältigen, hat López seine Ziele für die Stahlsparte ThyssenKrupp Steel Europe am 10. Juni 2024 öffentlich vorgetragen. López wählte dafür die Wirtschaftspublizistische Vereinigung e.V. (WPV), Düsseldorf. *8) Vor diesem hochrangigen Forum für den Dialog zwischen Wirtschaft und Politik wies López auf die schon zu lange andauernde, “existenzbedrohende“ Belastung der Thyssenkrupp AG durch ihre Stahlsparte hin: *9) *10)
- Die Stahlsparte habe „seit dem Geschäftsjahr 2018/2019 rund drei Milliarden Euro an Free Cashflow verbrannt.“ *9) Der “freie Cash Flow“ eines Geschäftsjahres ist die erwirtschaftete Geldsumme, die dem Unternehmen nach Abzug der Ausgaben für das operative Geschäft und für die Investitionen zur freien Verfügung steht. López warnt: „Stahl in Duisburg und dem Ruhrgebiet hatte mehr als 200 Jahre lang eine starke Basis, weil hier das Zentrum der Industrialisierung Europas war, und weil hier die heimische Kohle als Energieträger lag. Beides ist für die Zukunft nicht mehr gegeben. Hinzu kommen unfaire Billigimporte aus Asien und Standortvorteile anderer Regionen, in denen regenerative Energien einfacher und kostengünstiger zu beziehen sind. Diesen Tatsachen kann sich niemand entziehen.“ *10)
- Die Verluste an Finanzkraft durch das Stahlgeschäft seien für die ThyssenKrupp AG eine Belastung, die nicht länger hinzunehmen ist. Denn das Unternehmen umfasse weit mehr als Stahl. López: „Wir reden über einen Industriekonzern mit vielen verschiedenen Geschäftsfeldern und rund 100.000 Mitarbeitern. Davon arbeiten fast drei Viertel außerhalb des Stahlbereichs.“ Das Stahlgeschäft dürfe daher die anderen Geschäfte des Konzerns nicht weiter belasten. „Es muss sich, wie alle anderen Segmente auch, aus eigener Kraft tragen … Die Lage ist kritisch und ohne entschlossenes Gegensteuern kann sie schnell existenzbedrohend werden.“ *9)
- Zur dringend erforderlichen Lösung der “strukturellen Probleme“ im Stahlbereich sei nicht nur eine deutliche Reduzierung der Produktionskapazitäten (von 11.5 auf 9 Mio.Tonnen) in Deutschlands größtem Stahlwerk in Duisburg notwendig. *9) Die Zukunft des Stahls hänge auch ab von der Wahl der Produkte und der Kundengruppen sowie von der Entwicklung der “grünen Transformation“. Damit verbunden sei bereits über einen „noch nicht bezifferbaren Abbau von Arbeitsplätzen“ durch Thyssenkrupp Steel Europe informiert worden. *9)
- Für López sind Partnerschaften der Schlüssel zu erfolgreicher Transformation von ThyssenKrupp; denn: „Der Kohleausstieg in Deutschland ist besiegelt und grüne Energie haben wir hier nicht. Zumindest nicht in ausreichender Menge. Dafür brauchen wir Partner von außen.“ *10) Gemeinsam mit dem Energieunternehmen EP Corporate Group (EPCG) des tschechischen Milliardärs Daniel Křetínský ebne die zunächst 20-prozentige Investoren-Beteiligung den Weg zur unternehmerischen Eigenständigkeit des Stahls und zu einer signifikanten Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des ThyssenKrupp-Konzerns. *10) Die angestrebte zweite Stufe dieser Energie-Partnerschaft sei ein gleichberechtigtes 50/50-Joint-Venture mit EPCG, um „ein leistungsstarkes, profitables und zukunftsorientiertes Stahlunternehmen schaffen.“ *10). Das Stahlunternehmen würde dann nicht mehr als Sparte des Konzerns, sondern nur noch als Beteiligung geführt. *9)
- Mit dem EPCG-Einstieg bei der künftig unternehmerisch eigenständigen Stahlsparte von ThyssenKrupp ende der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag und die Verantwortung des Gesamtkonzerns für die Finanzierung von Verlusten der Stahlsparte. Auch deshalb hat die EPCG-Beteiligung den Konflikt zwischen ThyssenKrupp Steel Europe und der Führung des Gesamtkonzerns verschärft.
3. Interessenkonflikte? Ruf nach dem Staat!
Neubesetzungen von zurückgetretenen Vorständen oder Aufsichtsräten erfolgen oder sind vorbereitet — diese Entscheidungen werden sicher von Seiten der Kapitalgeber bzw. der Arbeitnehmer/Gewerkschaften kontrovers kommentiert werden. Dies ist Zuständigkeit der Führung (Vorstand, Aufsichtsrat) der ThyssenKrupp AG und kann im Rahmen dieses Beitrags derzeit nicht bearbeitet werden.
In “politisch brisanten“ Krisen wichtiger Unternehmen (s.o. unter 1.: Detlev Wetzel, IG Metall) — d.h. solchen mit zahlreichen Beschäftigten, mächtigen Gewerkschaften und entsprechendem Drohpotential auf Länder- oder Bundesebene — ist der Ruf nach Intervention “des Staates“ häufig zu hören.
Auch wenn die deutsche Wirtschaftsordnung die Rolle der Politik gegenüber einzelnen Unternehmen auf das Setzen der Rahmenbedingungen für alle Unternehmen beschränken will. Doch in der Sozialen Marktwirtschaft fließen in ähnlichen Fällen Gewinne den Unternehmen zu, Verluste hingegen werden oft, auch bei Management-Fehlern, sozialisiert, also von den Steuerzahlern getragen.
Deshalb werden bedeutende Politiker gern in den Aufsichtsrat oder den Führungskreis großer Unternehmen berufen — je nach wirtschaftspolitischer Auffassung von den Kapitalgebern oder von der Arbeitnehmer-/Gewerkschaftsseite.
Leider haben einige Politiker, die wegen hoher Resonanz in der Wählerschaft eher zu Positionen der Arbeitnehmer-/Gewerkschaftsseite neigen, einen sehr aggressiven, wenn nicht schäbigen Ton gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden, López, und dem Aufsichtsratsvorsitzenden der ThyssenKrupp AG, Russwurm, angeschlagen:
- Sigmar Gabriel, ehemaliger SPD-Vizekanzler Deutschlands: „Ich fand den Umgang mit unseren Vorständen unanständig. Ich bin jetzt 64. Ich habe mir mit 60 vorgenommen, dass ich die Zeit, die mir noch auf dem Planeten bleibt, möglichst wenig mit unanständigen Leuten verbringen will.“ *11)
- Felix Banaszak, Duisburger MdB (Grüne) und hochrangiger Industriepolitiker, bescheinigt der Führung der ThyssenKrupp AG nach einer Aufsichtsratssitzung: Einen „traurigen Höhepunkt einer Aneinanderreihung menschlicher Unanständigkeiten und sachlichen wie strategischen Irrsinns“ und sprach von einem „Gipfel der Verantwortungslosigkeit.“ *1)
- Der frühere IG-Metall-Chef Detlef Wetzel, der den Aufsichtsrat von ThyssenKrupp Steel Europe verlassen wird, legt im Streit mit López um die Finanzierung für unternehmerische Selbständigkeit der Stahlsparte nach: „Er hat dann erst richtig aufgedreht. Alle waren unfähig, alle waren doof. Es war ein Diskussionsniveau unter aller Würde.“ *1)
Ernst zu nehmen ist die Position des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden des Stahlbereichs ThyssenKrupp Steel Europe, Tekin Nasikkol (IG Metall). Er sieht die Zukunft der Stahlsparte in Gefahr und fordert: „Die Politik auf Bundes- und Landesebene ist jetzt gefordert und muss eingreifen. Keiner kann jetzt tatenlos zusehen, wie die Transformation gefährdet wird, zwei Milliarden Euro Fördergelder riskiert werden, vor allem wie 27.000 Beschäftigte um ihre Zukunft bangen.“ *11)
Durch die Kapitalgeber und das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden Russwurm ist vorläufig im Interessenkonflikt zwischen dem Gesamtkonzern ThyssenKrupp AG und seiner verlustreichen Stahlsparte ThyssenKrupp Steel Europe gegen die Arbeitnehmervertretung entschieden worden.
Ob die derzeitige Ampel-Bundesregierung gemeinsam mit der “schwarz-grünen“ NRW-Landesregierung in diesem Interessenkonflikt “eingreift“, wie Tekin Nasikkol fordert, ist unklar.
Zwar habe sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) besorgt gezeigt: „Die Situation bei Thyssenkrupp hat sich auf allen Seiten sehr unversöhnlich zugespitzt“. *12) Jedoch ließ Habeck mitteilen, „der deutsche Staat plane keinen Einstieg bei Thyssenkrupp.“ *12) Dies scheint derzeit eine politisch realistische Position; FDP-Chef Lindner ist Bundesfinanzminister.
4. Fazit: Vorstandsvorsitzender Miguel López — vorbildliche Information über die strategischen Unternehmensziele?
Bei allem Streit im Interessenkonflikt bei ThyssenKrupp um die Sanierung und Restrukturierung der Stahlsparte — aus unternehmerischer Sicht hat der Vorstandsvorsitzende Miguel López seine strategischen Unternehmensziele vorbildlich klar dargelegt: vor den Mitarbeitenden bei ThyssenKrupp, vor dem Aufsichtsrat und vor der Öffentlichkeit.
Das kann deshalb als “vorbildlich“ bezeichnet werden, weil viele Unternehmensleiter eine ganz andere Haltung bevorzugen, wie der berühmte schwedische Unternehmer Jan Carlzon (SAS, Scandinavian Airlines System) analysiert hatte: *13)
- „Die Geschäftsleitung eines Unternehmens betrachtet Gewerkschaften oft als den Feind und den Aufsichtsrat bestenfalls als die Instanz, auf die man die eigentliche Verantwortung abwälzen kann.
- In Wirklichkeit aber bilden beide Gruppen wertvolle Ressourcen, um leistungsstarke, kundenorientierte Ziele … umzusetzen.
- Erstaunlicherweise teilen viele Führungsmannschaften ihre globale Unternehmensstrategie dem Aufsichtsrat nicht mit … behalten ihre unternehmerische Vision für sich
- und speisen den Aufsichtsrat mit Informationshappen ab, die nur den Führungsstab in einem guten Licht dastehen lassen sollen.“
Im starken Gegensatz zu der Beobachtung Carlzons sollte aus diesem Blogbeitrag deutlich geworden sein, dass — bei allen zu bedauernden Konflikten mit der Arbeitnehmer-/Gewerkschaftsseite — der Vorstandsvorsitzende der ThyssenKrupp AG, Miguel López, seine strategischen Unternehmensziele in vorbildlicher Klarheit öffentlich und allen Stakeholdern seines Unternehmens dargelegt hat.
Auch wenn „Betriebsrat und Gewerkschaft López den Kampf angesagt“ haben, u. a. weil er betriebsbedingte Kündigungen nicht ausschließt — López fordert sie auf, „dass wir einen gemeinsamen Plan erarbeiten … Es wäre außerordentlich kritisch, wenn es bei Kunden zu Einschränkungen kommen würde, weil das zukünftig für die Absatzmärkte ein Problem sein kann … Und das kann für uns nur schädlich sein.“ *9)
Und in einem meisterlichen Akt konzerninterner Diplomatie hat López den Bruder von Tekin Nasikkol, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von ThyssenKrupp Steel Europe, den Chemiker Cetin N., bisher Top-Manager für ThyssenKrupp in Dubai, zum “Chief Transformation Officer“ ernannt, der ein neues „Performance-Programm“ leiten wird. *14)
Dieses Programm soll die Themen Materialkosten, Vertrieb, Personal und Organisation, die Geschäftsmodelle und die „Performance Culture“ bearbeiten. Nicht als Personalabbau-, sondern als Transformationsprogramm, um für die Bereiche des Konzerns mittel- und langfristig das Ziel des profitablen Wachstums zu erreichen.
Die strategischen Transformationsziele des Konzerns sollten auch den rund 100 Tausend Mitarbeitenden der ThyssenKrupp AG Chancen für eine sichere Zukunft eröffnen.
*1) THYSSENKRUPP. Duisburg bebt, kapituliert vor López – und greift an. Von Florian Güßgen und Cordula Tutt. 30. August 2024; https://www.wiwo.de/unternehmen/industrie/thyssenkrupp-duisburg-bebt-kapituliert-vor-lpez-und-greift-an/29967966.html
*2) Siehe *1) und „Gabriel über die ThyssenKrupp-Krise: Beim Stahlriesen brennt die Hütte.“ 31.08.2024; bild.de. Ferner: Thyssenkrupp: Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel tritt zurück. Duisburg. In Duisburg kochen die Emotionen der Stahlarbeiter hoch: Vorstände sollen gehen. Nun wirft die Aufsichtsratsspitze Gabriel und Wetzel hin. Von Lars Heidrich, Frank Oppitz, Martin Ahlers, Stefan Schulte, Martin Schroers und Ulf Meinke. 29.08.2024; https://www.waz.de/wirtschaft/article407125668/thyssenkrupp-stahlkocher-protestieren-gegen-osburg-rauswurf.html
*3) Thyssenkrupp schreibt rote Zahlen. Stahlgeschäft belastet.14.02.2024; https://www.ruhrnachrichten.de/regionales/stahl-industrie-thyssenkrupp-schreibt-rote-zahlen-w843677-2001108128/
*4) Sigmar Gabriel: „Der ganze Konflikt ist vollständig unsinnig“. Interview von Monika Dunkel. 30.08.2024; https://www.capital.de/wirtschaft-politik/sigmar-gabriel-ueber-seinen-abgang-bei-thyssenkrupp-steel-35024238.html
*5) Thyssenkrupp: Grüne machen massiv Stimmung gegen Kretinsky. Stahl. Duisburg. Im Ringen um die Stahlsparte von Thyssenkrupp warnt ein führender Grüner sogar vor einer Insolvenz. 28.06.2024; https://www.waz.de/wirtschaft/article406678605/thyssenkrupp-gruener-warnt-vor-investitionsruine-in-duisburg.html
*6) Thyssenkrupp: Führung der Stahlsparte um Sigmar Gabriel schmeißt hin. Stahlstreit eskaliert. Von André Weikard. 30. August 2024; https://www.vdinachrichten.com/technik/produktion/thyssenkrupp-gabriel-und-osburg-raeumen-ihre-posten-unter-protest/
*7) Ausführungen von Miguel López, Vorsitzender des Vorstands, anlässlich der ordentlichen Hauptversammlung der thyssenkrupp AG am 2. Februar 2024 im RuhrCongress Bochum; https://www.thyssenkrupp.com/_binary/UCPthyssenkruppAG/cff0a76a-d751-4b29 b310-73149869a5c3/240202_thyssenkrupp_HV_Rede_ML-VO.pdf
*8) WPV NRW – Wirtschaftspublizistische Vereinigung e.V.; https://www.wirtschaftspublizistische-vereinigung.org. (Die 1949 gegründete WPV sieht sich anerkannt als „das klassische Forum für den Meinungsaustausch zwischen führenden Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik und der Wirtschaftspresse an Rhein und Ruhr. Mit rund 170 Mitgliedern ist sie zudem die größte Vereinigung ihrer Art in Deutschland.“
*9) Thyssenkrupp: „Existenzbedrohend“ — Chef warnt vor dem Stahl-Untergang. 18.06.2024; https://www.welt.de/wirtschaft/article251975610/Thyssenkrupp-Existenzbedrohend-Chef-warnt-vor-dem-Stahl-Untergang.html
*10) Miguel López spricht vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung zum Transformationskurs von thyssenkrupp. Von B S. 13.06.2024 (Quelle: thyssenkrupp AG/2024); https://prozesswaerme.net/stahl/miguel-lpez-spricht-bei-der-wirtschaftspolitischen-vereinigung-zum-transformationskurs-von-thyssenkrupp/
*11) Wie der Stahl-Streit bei Thyssenkrupp so eskalieren konnte. Philipp Wundersee. 30.08.2024; https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/thyssenkrupp-fuehrungskrise-100.html
*12) Stahlstreit: Bundeswirtschaftsminister beunruhigt über Lage bei Thyssenkrupp. vvö. 30. August 2024; https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2024-08/stahlstreit-thyssenkrupp-robert-habeck-beunruhigt-sigmar-gabriel
*13) Jan Carlzon. Alles für den Kunden. 4. Auflage. Frankfurt, New York, Campus-Verlag 1990. (Der 2021 verstorbene bedeutende US-Autor John Naisbitt urteilte: „Das beste Buch eines Unternehmers über Unternehmensführung“ John Naisbitt, Megatrends. (Buchumschlag). Seite 123.
*14) Thyssenkrupp : Zwei mächtige Brüder sollen die Wende schaffen. Björn Finke. 6. September 2023; https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/nasikkol-apex-thyssenkrupp-lopez-cetin-sparprogramm-1.6200682