Investigativer Journalismus: Heidemord.

Wer auch nur einmal versucht hat, ein Geheimnis aufzudecken, wird vor Enthüllungsjournalisten den Hut ziehen. Ein Knochenjob, der unendliche Geduld, zähe Arbeit, Trinkfestigkeit und obendrein noch Feingefühl verlangt. Allein auf mich gestellt, wäre ich das Wagnis nie eingegangen.

Aber da war die friesische Korrespondentin Nele Randers, vermögend und unabhängig, stark wie ein Schonermast und obendrein psychologisch geschult. Wenn auch nach ungefähr 35 Semestern eher dem investigativen Journalismus zugewandt. Ferner landwirtschaftlich und kunsthandwerklich (Bernsteinschmuck u.ä.m.) tätig. Nele Randers kennt da oben nicht nur Gott und die Welt, sondern auch meine politische Sympathie für Heide Simonis, Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein a. D.. Nele Randers teilt telefonisch mit, dass sie dem „Heidemörder“ auf die Spur gekommen ist.

Das war im Herbst 2014. Der schnell geschmiedete Plan: Enthüllung zum 10. Jahrestag des „Heidemords“ am 17. März 2015.

Nichts wie hin also nach Kiel-Schilksee. Der Heide-Mörder soll ans Licht gezerrt, die Untat an Heide Simonis gerächt werden. Ich rieb mir fröhlich die Hände, als ich gegen Abend am Olympia-Hafen ankam, mich installiert und Nele Randers und den Zeugen „Z“ getroffen hatte. Allerstrengste Vertraulichkeit wurde Z. versprochen.

Z. war der Typ des Fechters mit schwerem Säbel. Rotbäckiger, starker Friese, kahlköpfig mit Hunnenblick, und um 19 Uhr bereits etwas wackelig auf den Beinen. Und — das war entscheidend — schwer vernarrt in Nele Randers. Die hatte das perfekte italienische Restaurant ausgesucht. Wir tranken und tafelten und tranken, schwer über meine Verhältnisse. Aber ich hatte das Ziel der Investition vor Augen, Heide Simonis rächen, den Mörder publik machen; mook wi, mutt ja, nutzt ja nichts!

Z. bestätigte bald das Motto des Hauses „A tavola non si invecchia“. Z. berappelte sich erstaunlich, wenn auch die Hiebe seiner Pranken auf meine arthritischen Schultern langsam einen gewissen Groll auf die Simonis wachsen ließen.

Das war jedoch — ohne dass ich es merkte — ganz im Sinne der Taktik, die Nele Randers verfolgte. Sie ließ sich Zeit. Wir tafelten, tranken und tranken getreu der zweiten Devise des Hauses „Roma non fu costruita in un solo giorno“.

Mich schmerzten nicht nur die Schultern, sondern zunehmend und vor allem, meinem ausgeprägten Hang zur Sparsamkeit entsprechend, die Gedanken an die zu erwartende Rechnung. Gott sei Dank, schmerzt das Zahlen mit Kreditkarte nicht so wie früher das Abwandern der Scheine sehenden Auges. Jedenfalls war bei mir im Laufe des Abends jede Sympathie, auch die politische, für Frau Simonis verfallen.

So kam der von Nele Randers vorbereitete Moment, wo sich der Haß des Z. und mein Groll gegen die Simonis trafen. Ich war zur Freude des Z. ins Schwadronieren geraten: Lobte den Bären, den Friesen Peter Harry Carstensen, verwies auf die rheinische Herkunft der zugewanderten Simonis.

Nele Randers, die den Überblick behielt und auf Diskretion bedacht war, drängte zu einem auffrischenden Spaziergang in der Einsamkeit des Fördewanderwegs Richtung Norden. Denn nun, in der inzwischen stürmischen Dunkelheit, musste der Name des Heidemörders fallen.

Im Gegensatz zu der hochbefähigten investigativen Journalistin Nele Randers waren Z. und ich ziemlich benebelt, Freunde geworden und zogen über die Simonis her: Diese dämlichen Hüte! Ihr vielfach bezeugtes Gekreische bei Kabinettssitzungen! Das Geschnacke, die gottverdammten Sprüche: Ich, die Florence Nightingale von der Staatskanzlei. Politik besteht aus Verhandlungen, wo man nicht auf den Pott kann. Frauen kommen nur dran, wenn die lärmenden Männer alles in den Sand gesetzt haben.

Ja, schrie Z. erbittert in den Sturm und die Brandung, austeilen konnte die Simonis. Mehr als doppelt so viele aus der Regierung rausgeschmissen oder rausgetrieben wie sie Amtsjahre hatte!

So ist es wohl, rief ich ihm zu, und das Gemecker heute über unseren Chef Sigi Gabriel! Bloß einstecken, das konnte sie nicht. Das Genöle von ihr über den „Heide-Mörder“: „Der Mensch, der das getan hat, muss in seiner Seele etwas weggedrückt haben … Ich habe sehr gelitten, sehr!“ *1)

Und dann hatte mich Nele Randers da, wo sie mich haben wollte. „Das ist doch damals verständlich gewesen. Der Täter war ein Held. Vier Abstimmungen durchzuhalten, und gegen diese Tante zu stimmen! Da gehört was dazu. Das ist Standfestigkeit. Das war ein Friese, wie er im Buche steht!“

Der Sturm hatte nun Orkanstärke erreicht. Blitze zuckten durch die Nacht. Die Brandung toste. Der entscheidende Augenblick war gekommen. *2)

Nele Randers lugt und ohne Hast sagt sie: „Z., auf Deinem Herzen die Last! Wir müssen sie holen!“ Von der Frischluft und dem Wein genauso hinüber wie Z., sehe ich, wie in einem Blitz das Marinemal von Laboe aufragt. Wie von Sinnen bedränge ich Z.: „Im Namen der Kameraden auf See. Fass` Dir ein Herz. Wer war es, gesteh`!“.

Z. schwankt. Zwischen Schwur zur Verschwiegenheit und Gemeinschaftsgeist vor der Brandung. Zu viel für ihn. Er wendet sich ab. Wankt davon. „Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer die menschenfressenden Rosse daher … Drei Wetter zusammen!“ Fürchterliche Blitze! „Nun brennt die Welt!“ Doch da ist Z., der innehält. „Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt … Still — ruft da nicht einer?“ Z. „schreits durch die Hand.“

Nele Randers und ich stolpern zu ihm hin. Wir sehn nicht Stein und Steg mehr. Z. schreit: „Es war der … „!

Ein Zischen und Gleißen über dem Zeugen Z. und den beiden Verfolgern. Und Donnerschläge, die uns zwei investigative Journalisten erstarren lassen. Dann prasselt der Regen. Und Z. war fort. Mit Täterwissen und Ehrenwort!

*1) DTS-Meldung vom 08.03.2015, 05:00 Uhr. Simonis und Carstensen: „Heide-Mörder“ soll sich bekennen.

*2) Die folgende Situation kann ich nur mit dankbarem Rückgriff auf den Dichter Otto Ernst und sein Werk „Nis Randers“ bewältigen und schildern.