USA: Rückkehr der Dynastien?

Nach Barack Obamas Durchbruch 2008 — sollte den Republikanern oder den Demokraten nichts anderes einfallen als Rückkehr der politischen Dynastien der letzten Jahrzehnte? Für die Wahl des Präsidenten der USA 2016 die Alternative zwischen Hillary Clinton oder Jeb Bush?

Das Programm der Demokratischen Partei will den sozialen Zusammenhalt durch Bildung, allgemeine Gesundheitsversicherung, kurz, durch das Leitbild eines „inclusive capitalism“ stärken. Wegen meiner Nähe zu diesem politischen Programm sei auf die Beschäftigung mit den Republikanern verzichtet.

Bill und Hillary Clintons politischer Weg ist in ihren eindrucksvollen Büchern dargestellt. Von Hillary Clintons bewährter Zielstrebigkeit, Ernsthaftigkeit, Arbeitskapazität und politischer Leistung als Außenministerin (2009 – 2013) und Senatorin habe ich lange die Perspektive erhofft, Hillary Clinton könnte das Werk Barack Obamas erfolgreich weiterführen.

Diese Hoffnung ist durch die als „Emailgate“ bezeichnete, scheinbar mindere Fahrlässigkeit Hillary Clintons im Amt als Außenministerin der USA (Secretary of State) beendet. Wenn ich die Reaktionen in der Qualitätspresse Amerikas richtig deute, lautet das Verdikt über Hillary Clinton: Zu viel Déjà-vu bei politischer Manipulation, zu wenig Glaubwürdigkeit für das Amt des Präsidenten der Weltmacht USA.

Beginnend mit der New York Times hat die amerikanische Presse bei Recherchen im Außenministerium (State Department) in den letzten Wochen festgestellt: „Hillary Rodham Clinton nutzte als Außenministerin ausschließlich ein persönliches Email-Konto und könnte damit Bundesvorschriften verletzt haben, die sicherstellen sollen, dass die Korrespondenz von Regierungsmitgliedern aufbewahrt wird, um die Rechenschaftspflicht des Amtes zu gewährleisten.“ *1)

Rechtsanwalt Jason R. Baron, ehemaliger Direktor an der zuständigen „National Archives and Records Administration“ von 2000 bis 2013 urteilt: „Es ist sehr schwierig, sich ein Szenario vorzustellen … das einem Regierungsmitglied im Kabinettsrang erlaubte, die Regierungsgeschäfte ausschließlich über einen privaten Kanal für die Email-Kommunikation zu führen.“

Baron fügt hinzu, während seiner Amtszeit habe er derartiges nicht erlebt. Die Vorschriften der National Archives and Records Administration hätten zudem verlangt, dass jedwede Emails, die von persönlichen Konten empfangen oder versandt würden, in der zuständigen Regierungsstelle zu archivieren wären. Auch daran hätten sich Mrs. Clinton und ihre Assistenten nicht gehalten.

Thomas S. Blanton fungiert als Direktor des National Security Archive an der George Washington University. Diese Einrichtung fordert Transparenz in der Regierungsführung. Blanton urteilt, es sei „eine Schande, dass nicht automatisch während ihrer Amtszeit als Außenministerin“ vorschriftsmäßig archiviert wurde.

Blanton fordert vom Spitzenpersonal der Regierung, es solle handeln wie Präsident Obama, der per Email von einem sicheren Regierungskonto kommuniziere, damit jeder Vorgang für historische Untersuchungen festgehalten werde. „Persönliche Email-Konten sind nicht sicher, hochrangige Entscheidungsträger sollten sie nicht nutzen.“

Die New York Times sieht in dem Emailgate Hillary Clintons ein „Echo langjähriger Kritik wegen mangelnder Transparenz und Geheimniskrämerei sowohl gegen die ehemalige Außenministerin wie gegen ihren Ehemann, den ehemaligen Präsidenten Bill Clinton.“ *1)

Dieser Kritik der New York Times folgte eine Serie weiterer Presseartikel von angesehenen Journalisten, die durchaus nicht dem republikanischen Parteilager zuzurechnen sind.

Der Herausgeberkreis (Editorial Board) der Washington Post urteilt: „Das Wesentliche ist, dass Ms. Clinton ihr Email privatisierte und sich selbst die Entscheidung vorbehielt, was in die Regierungsakten gelangen sollte … Wer zum Dienst am Volke strebt, sollte sich als Sachwalter öffentlichen Vertrauens benehmen. Und dies schließt die Dokumente ein — und zwar sämtliche. Ms. Clintons Verwendung privater Email zeigt geringe Achtung gegenüber diesem öffentlichen Vertrauen.“ *2)

Senator Hillary Clinton ging schließlich am 10. März 2015 im Rahmen einer Pressekonferenz am Sitz der Vereinten Nationen in New York beiläufig auf den Emailvorgang ein. Zuvor war sie bei einer UN-Frauenkonferenz als „künftige Präsidentin“ begrüßt worden. Der Kern ihrer Ausführungen vor den Journalisten: *3)

1. Sie habe kein Emailkonto der Regierung, sondern ein privates Email-System genutzt, weil es praktischer war, nur ein Gerät zu verwenden.

2. Sie habe das Email-System genutzt, das für das Büro des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton eingerichtet worden sei. Dieses System habe sich als „effektiv und sicher“ erwiesen.

3. Nachdem H. Clinton im Oktober 2014 vom State Department ersucht wurde, die mit ihrer Arbeit als Außenministerin zusammenhängenden persönlichen Emails zu übermitteln, habe sie schnell gehandelt. H. Clintons Büro gab an, 62.320 gesendete und empfangene individuelle Emails geprüft und 30.490 am 5. Dezember 2014 dem State Department übergeben zu haben.

4. Die übrigen 31.830 seien privater, persönlicher Natur gewesen. „Am Ende entschied ich, meine privaten Emails nicht aufzubewahren … niemand möchte seine persönlichen Emails veröffentlicht sehen. Ich denke, die meisten Leute verstehen das und achten die Privatsphäre.“ Offenbar wurden diese Emails gelöscht.

5. Die Entscheidung, welche der persönlichen Emails dem State Department auszuhändigen waren, habe allein ihr selbst, H. Clinton, zugestanden. „Für jeden Regierungsangestellten gilt, dass es die Verantwortung des Regierungsangestellten selbst ist zu entscheiden, was persönlich ist und was amtlich arbeitsbezogen ist.“

(Zur Bewertung dieser Punkte s. *3)).

Die Haltung Hillary Clintons, mit der sie bei der Pressekonferenz gegenüber den Medien und der Öffentlichkeit des Landes zum Thema Emailgate auftrat, setzte John F. Harris mit der Aufforderung gleich „Schert Euch zum Teufel!“ *4)

Die Kolumnistin Ruth Marcus bedauert die Emailgate Episode *5) „mit einer Mischung von Ärger, Traurigkeit und dem starken Gefühl von Déjà-vu.“

Clintons Emailgate sei traurig, „denn Clinton ist nach meiner Überzeugung eine so starke Kandidatin für die Präsidentschaft — klug, diszipliniert, hart arbeitend, erfahren und nüchtern im Urteil.“ *5)

Und zum Déjà-vu-Eindruck: Hillary Clintons Start in die Kampagne um die Präsidentschaftskandidatur beschreibe ihre Emailgate-Aktivitäten „sowohl den Buchstaben als auch dem Geiste nach in Übereinstimmung mit den Vorschriften.“ Dazu abschließend Ruth Marcus: Diese Feststellung wäre „jaw-dropping“, wenn das Déjà-vu nicht so traurig evident wäre. *6)

Was ist von Hillary Clintons Präsidentschaftskandidatur im Lichte ihrer Emailgate-Affaire zu halten?

Die öffentlich erhobenen Vorwürfe wegen Emailgate lauten: Geringschätzung gegenüber öffentlichem Vertrauen und der Rechenschaftspflicht jeder Regierungsstelle, gegenüber Transparenz der Regierungsführung und dem Vorbild-Gebot für Minister, gegenüber amtlichen Vorschriften und den Anforderungen nationaler Sicherheit.

Im herausragend wichtigen Amt der Außenministerin einer Weltmacht war offenbar ihr Argwohn gegenüber Wettbewerbern — innerparteilichen oder Republikanern — und kritischen Journalisten stärker als der Respekt vor den durch das Amt gebotenen Regeln und die Vorsicht gegenüber feindlichen Diensten.

Statt des vorgeschriebenen und üblichen Regierungskontos gerade für ihren dienstlichen Email-Verkehr hat sie aus dieser Einstellung heraus ein weniger sicheres privates Email-System vorgezogen und sich über Sorgfaltspflichten eines führenden Regierungsmitglieds hinweggesetzt.

Dies sollte Hillary Clinton für das Amt des Präsidenten der USA disqualifizieren.

Wenn der Demokratischen Partei angesichts dieser Situation nichts anderes einfällt, als an der Clinton-Dynastie — Augen zu und durch! — festzuhalten, dann ist Sorge um den politischen Wettbewerb in den USA angebracht.

*1) Hillary Clinton Used Personal Email Account at State Dept., Possibly Breaking Rules. By Michael S. Schmidt. MARCH 2, 2015; http://www.nytimes.com/2015/03/03/us/politics/hillary-clintons-use-of-private-email-at-state-department-raises-flags.html?_r=0. Im Folgenden werden zwecks besserer Nachprüfbarkeit für Leser die amerikanischen Amtsbezeichnungen verwendet. (Übersetzung RS).

*2) The Post’s View. Hillary Clinton’s use of private e-mail reflects poor judgment.

By Editorial Board. March 4 2015; http://www.washingtonpost.com/. (Übers. RS).

*3) Email Q&A: What We Learned From Hillary Clinton’s Press Conference. Mar 10, 2015. By WSJ STAFF. http://blogs.wsj.com/washwire/2015/03/10/qa-hillary-clinton-addresses-email-concerns/. (Übers. RS).

Zum Punkt 1. (Nur 1 Gerät zu verwenden) wird berichtet: „Last month, Clinton told an audience in Silicon Valley that she uses multiple electronic devices. ´I have an iPad, a mini-iPad, an iPhone and a BlackBerry,` Clinton said. Siehe: Clinton on emails: I should have used government account. By Associated Press. March 10 2015. http://www.washingtonpost.com/politics/clinton-steers-clear-of-email-controversy-_-for-now/2015/03/10/.

Der o.a. Punkt 2. (Sicherheit des privaten Emailkontos von H. Clinton) wird von Experten weitgehend bezweifelt: „The private e-mail server used by Hillary Rodham Clinton all but certainly lacked the level of security employed by the government and could have been breached fairly easily by determined foreign intelligence services, national security and cyber experts said.“ Siehe: National Security. Security of Hillary Clinton’s private e-mail server comes under scrutiny. By Ellen Nakashima, March 10 2015, http://www.washingtonpost.com/.

Auf Punkt 5. beziehen sich nicht wenige Kommentare, die auf höhere Sorgfaltspflicht des Ministers oder seine Vorbildfunktion im Unterschied zu „jedem Regierungsangestellten“ verweisen. Deshalb hätte Hillary Clinton die Auswahlentscheidung bezüglich der amtlich relevanten Emails aus Gründen der Transparenz einer unabhängigen Einrichtung übertragen sollen.

*4) Go to Hell. Hillary Clinton had something to say to the media about her email. It wasn’t too subtle. By John F. Harris. March 10, 2015. http://www.politico.com/magazine/.

*5) New questions for Clinton. By Ruth Marcus, Columnist. March 10, http://www.washingtonpost.com/opinions/inconvenient-questions-for-clinton-about-those-e-mails/2015/03/10/

*6) Hillary Clinton is yet again her own worst enemy. By Ruth Marcus, Columnist. March 3 2015, http://www.washingtonpost.com/opinions/.