Jenseits der Krisenpolitik.

Wer dem DAX-Kurs im Ablauf des 1. Halbjahres 2020 zusah — 13.2 Tsd. >  8.4 Tsd. < 12.3 Tsd. Punkte — mag fragen: Börse, Märkte manisch-depressiv?

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) konstatiert am 10.06.2020: „Die Covid-19-Pandemie hat den schärfsten wirtschaftlichen Niedergang seit fast einem Jahrhundert ausgelöst und den Menschen ungeheuren Schaden für Gesundheit, Arbeitsplätze und Wohlstand zugefügt.“ *1)

Je nachdem, ob uns die Covid-19-Pandemie einmalig oder erneut trifft (single-hit oder double-hit scenario), rechnet die OECD mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung in 2020 gegenüber 2019:

  • Eurozone: – 9.1 % oder – 11.5 %
  • Deutschland: – 6.6 % oder – 8.8 %
  • USA: – 7.3 % oder – 8.5 %

Ganz offensichtlich passen die aktuellen Wirtschaftszahlen der OECD für Deutschland und seine wichtigsten Handelsgebiete nicht zu dem Stimmungsbarometer DAX.

Nun stelle man sich jedoch die Lage vor, würde dem „Marktführer im Segment Apokalypse“ gefolgt, dem Ökonomen Professor Nouriel Roubini: „Ich fürchte, die 2020er-Jahre werden geprägt sein von Verderben und Desaster.“ *2)

Nach oft überlieferten Zitaten sollen Wirtschaft, Märkte und Börsen weniger von ökonomischen Fakten als von psychologischen Faktoren bestimmt sein: Der “Vater deutschen Wirtschaftswunders der 1950er Jahre“, Ludwig Erhard (1897 – 1977), habe der Psychologie 50 %, der “Börsen-Guru“ André Kostolany (1906 -1999) 90 % des Einflusses auf das Geschehen an Märkten und Börsen zugeschrieben.

Über die Höhe des Prozentsatzes psychologischer Effekte auf das Wirtschaftsgeschehen — 50 % oder gar 90 % — mögen Kundige streiten. Dem “Verderben und Desaster“-Propheten Roubini zu folgen, wäre das sichere Rezept für Stillstand gegenüber scheinbar auswegloser Katastrophe.

Deshalb beeindruckt das schnelle Handeln der Bundesregierung gegenüber den Folgen der Covid-19-Pandemie:

  • Schutzschild im März 2020 für Beschäftigte, Selbstständige und Unternehmen: Dabei handelt es sich um das größte Hilfspaket in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Umfang der haushaltswirksamen Maßnahmen beträgt insgesamt 353,3 Milliarden Euro und der Umfang der Garantien insgesamt 819,7 Milliarden Euro. *3)
  • Konjunktur- und Zukunftspaket im Juni 2020 in Höhe von 130 Milliarden Euro: Befristete Absenkung der Mehrwertsteuer, Kinderbonus für Familien, Stärkung der Kommunen, Entlastung bei den Stromkosten, Förderung von Zukunftsbereichen wie die Wasserstoffwirtschaft, Quantentechnologien und Künstliche Intelligenz. *4)

Die konjunktur- und strukturpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung — Gesundheitsschutz, Arbeitsplätze und Unternehmen stützen, sozialen Zusammenhalt und Zukunft sichern — werden durch führende Wirtschaftsforscher unseres Landes insgesamt positiv beurteilt:

Die Maßnahmen der Bundesregierung bewirkten „eine gewisse Dämpfung des Abschwungs … Und man darf ja nicht vergessen, dass die Wirtschaftsentwicklung auch stark abhängig ist von Erwartungen über die Zukunft, und hier sind doch viele zukunftsweisende Investitionen dabei. Das Ganze wird der Bevölkerung sicherlich auch Mut machen und den Unternehmen und die Stimmung ein bisschen verbessern. Die Krise selbst ist doch so massiv, dass man sie damit nicht so leicht aus der Welt schaffen kann … Unterm Strich ist das Paket, finde ich, durchdacht, ausgewogen und wirklich sinnvoll.“ *5)

Die Umsetzung der krisenpolitischen Maßnahmen wird von der empirischen Wirtschaftsforschung, die in Deutschland institutionell und regional sehr gut ausgestattet ist, kritisch begleitet werden. *6) Die fundierten Analysen dieser Einrichtungen bleiben derzeit abzuwarten.

Deshalb wird hier auf die von Interessenverbänden — Branchenlobbyisten, Gewerkschaften — geführte Auseinandersetzung um die Maßnahmen der Bundesregierung nicht eingegangen.

Jenseits der Debatte um krisenpolitische Einzelmaßnahmen erscheint von zentraler Bedeutung der Hinweis des Ifo-Präsidenten Professor Clemens Fuest, dass „die Wirtschaftsentwicklung auch stark abhängig ist von Erwartungen über die Zukunft“. *5)

Die Bundesregierung will zu Recht einem Attentismus, einer übertriebenen Zurückhaltung wirtschaftlicher Aktivität von Konsumenten und Investoren, entgegenwirken. Deshalb charakterisiert sie ihre Maßnahmen als “WUMMS“ und “Kraftpaket“, was durch das ökonomische Gewicht der Ausgaben- und Steuersenkungs-Programme gerechtfertigt erscheint.

Dennoch ist die Unsicherheit und Unberechenbarkeit der Lage so umfassend, dass WUMMS auch zu deuten ist als: Weltwirtschaftliche Unsicherheit. Megapaket. Mega-Staatsschulden.

Die größten Gefahren für stabile Erwartungen über die wirtschaftliche Zukunft nach dem Corona-Schock werden in der Gemeinschaftsdiagnose 2020 unserer Forschungsinstitute unter dem Stichwort “Abwärtsrisiken“ angedeutet: *6)

  • Sehr langsames Abschwächen der Covid-19-Pandemie.
  • Wiederhochfahren der wirtschaftlichen Aktivität funktioniert schlechter als erhofft.
  • Erneute Covid-19-Welle erfordert erneute Stilllegungen (lockdown) mit verlängerter oder vertiefter Rezession.
  • Das Stocken internationaler Handels- und Kreditbeziehungen beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems.
  • Protektionismus, befürchtete Staatschuldenkrisen und Kapitalflucht verschärfen die weltwirtschaftliche Rezession.
  • Zusammenbrechende oder neu ausgerichtete globale Wertschöpfungsketten vertiefen oder verlängern die Krise in den Absatzgebieten der deutschen Wirtschaft.

Der Leitende Ökonom der OECD, Laurence Boone, richtet in dieser prekären Lage einen dramatischen Aufruf an die führenden Industrieländer: *7)

  • Die Pandemie habe einen weltwirtschaftlichen Wechsel von “großer Integration“ zu “großer Fragmentation“ durch Grenzschließungen und zusätzliche Schranken für Handel und Investitionen verursacht.
  • Angesichts der außergewöhnlichen Unsicherheit, die wirtschaftliche Aktivität weltweit belaste, müssten die Regierungen den Übergang zum Wiederaufbau einleiten.
  • Schnelle Restrukturierung von Unternehmen sei zu unterstützen, um deren Zahlungsfähigkeit und Existenz zu sichern; Einkommensersatz und Training für Arbeitnehmer auf der Suche nach neuer Arbeit sind anzubieten; soziale Sicherung der besonders belasteten Gruppen ist zu gewährleisten. Kurzfristig müsse die Nachfrage gestärkt sowie langfristiges und nachhaltiges Wirtschaftswachstum durch öffentliche Investitionen in neue digitale und umweltschützende Technologien gefördert werden.
  • Globale wirtschaftliche Erholung sei nicht zu erwarten ohne mehr Vertrauensbildung durch intensive weltweite Zusammenarbeit: “Prosperity comes from dialogue and cooperation. This holds true at the national and global level.“

Diesem Aufruf habe die deutsche Bundesregierung nach Urteil von Wirtschaftsforschern wie Professor Fuest in international beispielgebender Weise entsprochen.

Damit drängen sich politische Schlussfolgerungen jenseits der akuten Krisenpolitik auf.

  • In der deutschen Bundesregierung hat sich parteiübergreifend eine Regierungsmannschaft auf mehreren Führungsebenen in der Jahrhundertkrise bewährt.
  • Die Maßnahmen-Pakete sind nicht nur konjunkturell kurzfristig, sondern in den Zukunftsprogrammen strukturell auf Innovation und damit längerfristig ausgerichtet.
  • Auch die finanzielle Konsolidierung und Schuldentilgung muss bei gelingender wirtschaftlicher Erholung zügig und umsichtig eingeleitet werden.
  • Laurence Boone, OECD, hat mit großer Klarheit festgehalten: “Today’s recovery policies will shape economic and social prospects in the coming decade.“

Wem soll die mittelfristige Aufgabe anvertraut werden, bei höchst unsicherer und fragiler Wirtschaft einen berechenbaren Kurs für Innovation und Wachstum einzuleiten?

Den ungetesteten, ideologisch verhärteten Oppositionsgruppen in allen Parteien, die schon immer gegen die “Große Koalition, GroKo“ von CDU/CSU und SPD polemisierten? Von den Anhängern der “Werteunion“ in CDU/CSU, bis zu der Anti-GroKo-Front von SPD-Linken. Ganz zu schweigen von oppositionellen Grünen, LINKEN, Liberalen und AfD.

Wer will denn diese Leute in der Führung unseres Landes wissen? In der schwersten Weltwirtschaftskrise seit Menschengedenken?

Die hier geforderte politische Schlussfolgerung jenseits der akuten Krisenpolitik:

Gegen einen Regierungswechsel bereits in 2021! Bleibt bei bewährtem Leitungs-Personal und seiner Mannschaft!

Kontinuität im Regierungshandeln — das wünschen Wählerinnen und Wähler! Der Herbst 2021 wird es zeigen.

*1) Global economy faces a tightrope walk to recovery. 10/06/2020 – The Covid-19 pandemic has triggered the most severe recession in nearly a century and is causing enormous damage to people’s health, jobs and well-being, according to the OECD’s latest Economic Outlook. http://www.oecd.org/newsroom/global-economy-faces-a-tightrope-walk-to-recovery.htm (Hervorhebung und Übersetzung RS). Hinweis Wikipedia: „Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist eine internationale Organisation mit 37 Mitgliedstaaten, die sich der Demokratie und Marktwirtschaft verpflichtet fühlen. Die meisten Mitglieder gehören zu den Ländern mit hohem Pro-Kopf-Einkommen und gelten als entwickelte Länder. Wikipedia“.

*2) Gastbeitrag von Gabor Steingart. Kommt die Dracula-Wirtschaft? Star-Ökonom prophezeit „Verderben und Desaster“. Montag, 15.06.2020; https://www.focus.de/finanzen/boerse/experten/gastbeitrag-von-gabor-steingart-ein-jahrzehnt-verderben-und-desaster-star-oekonom-warnt … Im Magazin DER SPIEGEL findet sich: Ökonom Roubini sagt tiefe Wirtschaftskrise voraus. „Die Börse macht sich etwas vor“. Der US-Starökonom Nouriel Roubini zertrümmert die Hoffnung auf eine schnelle Erholung der Weltwirtschaft und prophezeit den USA einen Sommer der Revolte. Auch für Europa sehe es düster aus. Ein Interview von Tim Bartz. 12.06.2020; https://www.spiegel.de/wirtschaft/nouriel-roubini-sagt-tiefe-wirtschaftskrise-voraus-die-boerse-macht-sich-etwas-vor

*3) Kampf ge­gen Co­ro­na: Größ­tes Hilfs­pa­ket in der Ge­schich­te Deutsch­lands. Die Coronakrise stellt Deutschland vor beispiellose Herausforderungen. Mit ihrem Maßnahmenpaket von historischem Ausmaß sorgt die Bundesregierung dafür, die Gesundheit der Bürger zu schützen, Arbeitsplätze und Unternehmen zu stützen und unseren sozialen Zusammenhalt zu bewahren. 22.05.2020; www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Schlaglichter/Corona-Schutzschild/2020-03-13-Milliarden-Schutzschild-fuer-Deutschland.html

*4) Konjunkturpaket. Milliardenhilfen beschlossen. Samstag, 6. Juni 2020; www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/konjunkturpaket-geschnuert-1757558

*5) Ifo-Präsident: Konjunkturpaket kann Rezession dämpfen. Clemens Fuest im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann. Ifo-Chef Clemens Fuest sieht in den beschlossenen Konjunkturmaßnahmen viele zukunftsweisende Investitionen. 04.06.2020; www.deutschlandfunk.de/massnahmen-gegen-coronakrise-ifo-praesident-konjunkturpaket.694.de.html? (Hervorhebungen RS).

*6) Siehe die Gemeinschaftsdiagnosen des Kooperations-Verbundes der Wirtschaftsforschungsinstitute: „Die Gemeinschaftsdiagnose analysiert und prognostiziert die wirtschaftliche Lage in Deutschland. Die Diagnosen werden zweimal jährlich, jeweils im Frühjahr und im Herbst, erstellt. Die Prognosen der Gemeinschaftsdiagnose (GD) liefern eine Orientierung für die Projektionen der Bundesregierung. Die GD ist ein gemeinsames Forschungsprojekt mehrerer Wirtschaftsforschungsinstitute. Durch ihre Zusammenarbeit werden die Analyse und die Prognose im Dialog und im Wettstreit mit verschiedenen theoretischen und methodischen Ansätzen bestmöglich fundiert.“ (https://www.ifo.de/prognosen/gemeinschaftsdiagnose). Dazu kommen die Analysen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Siehe: Pressekonferenz Gemeinschaftsdiagnose. Frühjahrsgutachten 2020: Wirtschaft unter Schock – Finanzpolitik hält dagegen. 08.04.2020; https://www.ifo.de/node/54372

*7) Laurence Boone. OECD Chief Economist. Editorial: After the lockdown, a tightrope walk toward recovery. 10th June 2020; https://oecdecoscope.blog/2020/06/10/after-the-lockdown-a-tightrope-walk-toward-recovery/