Kanzlerdämmerung?

Zwei Wochen bis zur Landtagswahl in Niedersachsen. Politik kennt keine Trauerzeit.

Uelzen. Würdiger Abschied von einem unserer großen Parlamentarier, Verteidigungsminister, Transatlantiker. Abschied von Dr. Peter Struck.

Politik kennt keine Trauerzeit. Dieser Bürger-„Journalist“ und Politikamateur glaubte, in Uelzen wurde nur Abschied genommen. Bis er heute die Umfragen von Infratest Dimap sah: „Keine Wechselstimmung in Niedersachsen. Sonntagsfrage Bundestagswahl: Union weiter im Aufwind / Rot-Grün unter Druck“.

Das scheint nicht zum siegesgewissen Wahlmotto auf spd.de zu passen: „Ein Wechsel kommt selten allein! Erst Hannover dann Berlin.“ Dieser Slogan bestätigt wieder meine Meinung über die SPD-„Spindoctors“. Sie bringen es fertig, jeden ihrer Leser an „Ein Unglück kommt selten allein“ denken zu lassen.

Politik kennt keine Trauerzeit. Selbst der Abschied in Uelzen zeigt dies. Werfen wir einen Blick auf die Trauernden.

Da ist Sigmar Gabriel. Dieser Großtaktiker mit genialischen Eingebungen wollte 2010 zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Peter Struck als Vorsitzenden der Friedrich-Ebert-Stiftung verhindern und – notabene – Peer Steinbrück in eben diesem Ehrenamt ruhigstellen.

Da ist Altbundeskanzler Gerhard Schröder. Sozialdemokraten wissen, wie nahe er Peter Struck stand. Hinzu kommt, dass seine Ehefrau Doris Schröder-Köpf um ein Mandat im niedersächsischen Landtag kämpft.

Ein richtig guter Freund von Peter Struck war ebenfalls unter den Trauergästen zu sehen. Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der Union im Deutschen Bundestag. Volker Kauder ist nicht nur wirklicher Freund von Peter Struck, sondern auch wirklich schlau.

Als Kauder erfuhr, dass auch Helmut Schmidt zum Abschied für seinen Freund kommen würde, wird ihm klar geworden sein: Die Freunde, die Peter Struck in der Union gewonnen hat, werden ihrer Freundespflicht entsprechen und ihm selbstverständlich das letzte Geleit geben. Termine hin, Termine her.

Aber Politik kennt keine Trauerzeit. Und so wird auch Peter Strucks echter Freund, Volker Kauder, sich nicht übermäßig gegen die folgende Überlegung gewehrt haben: Solch` medienwirksames sozialdemokratisches Großaufgebot im niedersächsischen Uelzen muss zwei Wochen vor der Landtagswahl durch massive Unionspräsenz konterkariert werden.

Und so wurden selbstverständlich die Terminkalender von Verteidigungsminister Thomas de Maizière, Verkehrsminister Peter Ramsauer und Bundestagspräsident Norbert Lammert frei geschaufelt. Auch die Terminplaner von Patrick Döring, MdB aus Niedersachsen und Generalsekretär der FDP, schafften dies.

Nur die Führung der Grünen konnte ihre Terminprobleme überhaupt nicht lösen. Das muss daran liegen, dass diese Führung so überaus zahlreich besetzt ist. Vielleicht haben sie ja so viele Termine miteinander, dass nichts mehr nachblieb für das letzte Geleit zu Ehren von Peter Struck.

Jürgen Trittin und Renate Künast als Fraktionsvorsitzende, Claudia Roth und Cem Özdemir als Parteivorsitzende und außerdem die Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt – allen diesen, sehen wir von Cem Özdemir ab, ist gemeinsam, dass sie sehr viel mit Peter Struck als langjährigem Vorsitzenden der SPD-Fraktion oder als Verteidigungsminister zu tun hatten.

Und dennoch – einfach keine Zeit … honi soit qui mal y pense. Dieses Wort mögen die genannten grünen Damen und Herren auf die SZ und ihren Autor Nico Fried beziehen. „Zum Abschied eine Peinlichkeit“ mochte er dazu heute nur schreiben.

Politik kennt keine Trauerzeit. Und somit bestimmen die News des Umfrageinstituts Infratest Dimap die politischen Kalkulationen.

Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar. Nicht gerade unwahrscheinliches Szenario: Es reicht nicht wirklich. Weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün. Die Versuchung von Rot-Grün, irgendwie, mit Haken und mit Ösen, eine Regierung gegen den herausragend angesehenen David McAllister, CDU, zu bilden, würde sicher äußerst negativ auf die Stimmung der Mitte-Wähler bei der Bundestagswahl im September wirken.

Zurück nach Uelzen. Als die trauernden Freunde des großen Peter Struck, die Freunde aus SPD-Führung und Union, sich in die Augen sahen, so ganz ohne die Spitze der Grünen, auch so ganz ohne „Mutti“ – mögen sie da nicht dieselben Gefühle beschlichen und geeint haben, von denen die Herzen der meisten Bürger übervoll sind?

Endlich eine effektive Regierung, endlich eine große Koalition für diese Krisenzeit! So würde ein Schuh draus, wenn spd.de uns sagt: „Ein Wechsel kommt selten allein! Erst Hannover dann Berlin.“ Dann hätten wir die Kanzlerdämmerung. Denn das würde die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel nicht mitmachen!

Politik kennt keine Trauerzeit. Und so schweigen wir betroffen. Vorhang zu. Und alle Fragen offen.*)

*) In dankbarer Erinnerung an Marcel Reich-Ranickis Leitung des Literarischen Quartetts. Mit diesem ähnlich abgewandelten Brecht-Zitat pflegte er die Sendungen zu beenden.