Kanzlerkandidaten: „Jenseits von richtig und falsch …

liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.“ Martin Schulz zitierte den persischen Dichter Dschalal ad-Din Muhammad Rumi. Welchen gedanklichen Ort als Treffpunkt meinte er? Mit wem will er sich treffen? Was wollte Martin Schulz uns durch dieses Zitat im „TV-Duell“ mit Angela Merkel sagen?

Lassen wir diese Fragen zunächst offen. Erst zum Resultat der TV-Debatte! Als Mehrheitsmeinung in Blitzumfragen und Kommentaren bedeutender Journalisten stand schnell fest: Angela Merkel siegte, Martin Schulz habe das „Duell versemmelt“. *1)

Urteilt Heribert Prantl zu hart? Eine Umfrage von SPIEGEL ONLINE und dem Civey-Institut zeigt eine immerhin erkennbar positive Wirkung des Auftritts von Martin Schulz für die SPD *2):

  • Zwar werde für 76,1 Prozent der befragten Zuschauer das TV-Duell keinen Einfluss auf ihre beabsichtigte Stimmabgabe haben.
  • 10,4 Prozent der Befragten hätten jedoch ihre Wahlabsicht zugunsten der SPD geändert.
  • Angela Merkel habe nur 5,5 Prozent der Zuschauer des TV-Duells für die CDU/CSU umgestimmt.

Wie hätte das „TV-Duell“ eine Wende in den Wahlabsichten für die Bundestagswahl am 24. September 2017 auslösen können?

1. Durch die unterschiedliche Persönlichkeit der beiden Kanzlerkandidaten?

2. Durch prägnante Unterschiede im innenpolitischen Programm der Kandidaten?

3. Durch ihren unterschiedlichen Stil in der Außenpolitik?

4. Durch ihre Aussagen zu Koalitionsabsichten?

1. Martin Schulz vs Angela Merkel.

Die Bundeskanzlerin wappnete sich ähnlich wie im TV-Duell mit Peer Steinbrück vor der Wahl 2013. „Sie kennen mich“ hatte sie damals den Zuschauern gesagt. Diesmal konnte sie darauf verweisen, dass ja ihre Politik nicht nur bekannt, sondern in der Großen Koalition (GroKo) auch von der SPD mitgetragen worden sei. So gab sich die Kanzlerin eben wie man sie kennt: rational abwägend, routiniert, auch Detailfragen zugewandt.

Heribert Prantl stellt den Kontrast zu ihrem Herausforderer Martin Schulz so dar: „Merkel gab die Regierungschefin, die in der Welt unterwegs ist. Schulz gab den Kumpel von nebenan, der mit dem Zuschauer am Tresen steht. Aber damit kam er gegen sie nicht an. Er war zu brav, zu bieder, zu konziliant, zu wenig machtbewusst. Er war nicht Herausforderer. Als solcher hätte er Merkel herausfordern müssen; aber er hat sie ja nicht einmal gefordert.“ *1)

Martin Schulz, der mitfühlend, gelegentlich emotional und dennoch sachkundig auftrat *3), scheint der Berliner Republik und ihren Medien fern. Die Härte der Kritik Prantls an Schulz übertraf noch Gabor Steingart — vor allem gegen die SPD. *4) Schulz‘ SPD brachte es überdies fertig, noch vor Beginn des „TV-Duells“ Siegesmeldungen an die Medien zu posaunen, wofür sie sich entschuldigen musste.

Solcher Wahrnehmung des Kandidaten-„Duells“ bei führenden Kommentatoren entsprechen Blitzumfragen nach dem Gewinner: Merkel vs Schulz — 55 % vs 35 % (ARD-Umfrage) bzw. 33 % vs 24 % (ZDF-Umfrage) *5).

Zum Ergebnis des „TV-Duells“ überzeugt die Analyse des Kommunikationswissenschaftlers Frank Brettschneider: Martin Schulz habe sich zwar „gut geschlagen“. Aber es sei ihm nicht gelungen, Angela Merkel wirklich unter Druck zu setzen. „Ihm fehlt eine Aussage, über die auch noch in den nächsten Tagen intensiv diskutiert wird.“ *5)

2. Schulz vs Merkel: Innenpolitik.

Hier hatte die SPD die Wünsche für mehr Gerechtigkeit und für mehr Sicherheit programmatisch klug verbunden.

Innenpolitisch bleiben Aufgaben zu leisten, bei denen sich die CDU/CSU-Union verweigert habe: Gegen das Doppel-Defizit der sozialen Sicherheit durch prekäre Beschäftigung im Arbeitsmarkt und der Sicherheit vor Kriminalität und Terror, wo die Menschen umso schutzloser dastehen, je weniger wohlhabend sie sind.

Diesen politischen Ansatz der Sozialdemokratie überzeugend und einprägsam im Bewusstsein der Zuschauer zu verankern, scheint Martin Schulz völlig misslungen zu sein.

Dies lag meines Erachtens nicht am Format der TV-Sendung, nicht an den Moderatoren, auch nicht an deren Fragen, sondern dies hat sich Martin Schulz selbst zuzuschreiben. Ein eloquenter Spitzenkandidat wie Schulz muss selbstverständlich in der Lage sein, eine jede beliebige Moderatorenfrage so zu beantworten, dass seine zentrale Botschaft durchdringt.

Statt dessen hatte Schulz versucht, mit Vorwürfen an die CDU (Rente mit 70) Merkels Glaubwürdigkeit durch Hinweis auf ihre seinerzeit vergebliche Ablehnung der Verkehrs-Maut zu erschüttern. Damit ließ Schulz selbst zu, dass das für die SPD zentrale Gerechtigkeits- und Sicherheitsprogamm in Maut-, Verkehrs- und Dieselgate-Details versandete.

Ein vielleicht wahlentscheidender Fehler!

3. Politikstil in einer „Welt aus den Fugen“ (Frank-Walter Steinmeier).

Welche Argumente mögen Martin Schulz bewogen haben, ausgerechnet in der internationalen Politik und Diplomatie ein Feld für harte Tonart und „klare Kante“ zu sehen?

Da konnte er zwar wohlfeil Merkels Zurückhaltung gegenüber Trump oder Erdogan attackieren, die — so hörte er sich an — nur durch harte Schulz-Sprache zu beeindrucken seien.

Ein weiterer vielleicht wahlentscheidender Fehler!

Denn Merkel bekam Gelegenheit darzulegen, dass keine der weltweiten Krisen ohne Zusammenarbeit mit Amerika zu lösen sei.

Besonders wirkungsvoll erschien Merkels Lektion an Schulz zur Türkeipolitik: Sie wolle im Gespräch bleiben, denn sie habe an die Bemühungen um die dort verhafteten deutschen Staatsbürger zu denken. Und dann betonte die Bundeskanzlerin sehr zurecht, „dass es viele Menschen in der Türkei gebe, die Hoffnungen in die Bundesregierung setzen. ´Ich habe nicht die Absicht, diese Menschen zu enttäuschen, nur weil wir uns im Wahlkampf gerade übertreffen müssen, wer härter ist.`“ *6)

Das war ein bitterer Moment für TV-Zuschauer, die Martin Schulz als SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten anerkennen.

4. Die Koalitionsfrage.

Es besteht wenig Aussicht, dass eine der Volksparteien die absolute Mehrheit der Sitze im Deutschen Bundestag erreicht. Selbst für die Union aus CDU/CSU wird dies nicht erwartet. Daher musste damit gerechnet werden, dass im TV-Duell das Thema künftiger Koalitionen aufgeworfen wurde.

Hier hat Rücksicht auf den linken SPD-Flügel Martin Schulz an seiner gern beschworenen „klaren Kante“ gehindert.

Nicht so Bundeskanzlerin Merkel. Sie konnte zum Schluss der Sendung das von Schulz angestrebte Monopol für die „klare Kante“ brechen: „Die Union wird auf keinen Fall mit der LINKEN oder der AfD zusammenarbeiten.“ Und diese Haltung empfehle sie auch der SPD.

Nichts kam von Martin Schulz: „Schulz druckst herum. Die Absage an eine Koalition mit der Linkspartei hört man von ihm nicht.“ *5) Trotz der sicher auch für Schulz unerträglichen Einstellung der LINKEN zur Europäischen Union, zum Euro-Stabilitätsraum und zur NATO.

Hier fiel der tiefste Schatten über die politischen Perspektiven für Martin Schulz und die SPD.

5. Fazit zum TV-Duell.

„Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.“ Ist das Rätsel um Schulz‘ Zitat des persischen Dichters Rumi nach der TV-Debatte gelöst?

Was alles haben wir an Kommentaren über „richtig und falsch“ gehört und gelesen: Die „richtig/falsch“-Faktenchecks zu den Aussagen Merkels und Schulz‘. Das falsche Format des TV-Duells. Die falschen Moderatoren der Debatte. Deren falsche Fragen. Dafür der richtige SPD-Kandidat Martin Schulz?

Schon sind wir „jenseits von richtig und falsch“. An welchem politischen Ort werden sich die Sozialdemokraten nach dem Wahltag am 24. September 2017 treffen?

Auf den Oppositionsbänken, die nach dem Diktum von Franz Müntefering „Mist“ sind? Oder wieder in der GroKo, am warmen Ofen bei Angela Merkel im Bundeskanzleramt, am Ort namens Kompromiss? Um wieder gleichzeitig Regierung und Opposition zu geben?

*1) Süddeutsche.de. Politik. 3. September 2017. TV-Duell. Duell versemmelt. Merkel tritt sicher auf, Schulz kann kaum Treffer landen. Der Kandidat ist ein braver Mann. Aber mit Bravheit allein wird man nicht Kanzler. Kommentar von Heribert Prantl.

*2) SPIEGEL ONLINE. 04. September 2017. SPON-Wahltrend. So hat das Duell die Wähler beeinflusst. Das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz war als Höhepunkt des Bundestagswahlkampfes angekündigt – wie wirkt es sich auf das Stimmverhalten aus? Der SPON-Wahltrend zeigt Veränderungen.

*3) Jedenfalls stand Schulz der Kanzlerin beim Faktencheck keineswegs nach; Vgl.: 3. September 2017. Faktencheck zum TV-Duell. Von SZ-Autoren; http://www.sueddeutsche.de/politik/faktencheck-zum-tv-duell.

*4) Vgl.: Handelsblatt. Morning Briefing. Merkel vs Schulz. Montag, 04.09.2017. Gabor Steingart der nie als Merkel-Anhänger auffiel: Martin Schulz „hat die Sache im Rahmen seiner Möglichkeiten ordentlich über die Bühne gebracht. Es geht darum, was mit der SPD nicht stimmt. Warum hat sie einem Mann, der in der Innenpolitik noch nie eine Rolle spielte, der in Brüssel keine Vertragsverlängerung als Parlamentspräsident bekam, dessen Aussicht auf einen Posten in der EU-Kommission nahe Null lag und der somit vor den Trümmern seiner Karriere stand, alle verfügbaren Spitzenämter vor die Füße gelegt? Wollen die Funktionäre sich wohlfühlen oder wollen sie auch regieren? Worin besteht der Wert einer zweiten Volkspartei, wenn sie keine eigene Stimme bietet, sondern nur das Echo?“

*5) TV-Duell 2017. Zuschauer sehen Merkel klar vorne — Schulz besser als erwartet. Focus-Online. Schulz nimmt Merkel bei Flüchtlingsfrage in die Zange. Montag, 04.09.2017.

Der Focus-Bericht über die Umfragen hat auch ermutigende Daten für Martin Schulz: „Eine Umfrage, die Schulz freuen dürfte: Vor dem TV-Duell sagten nur 33 Prozent der Befragten, dass sie ihn lieber als Kanzler hätten. Bei Merkel waren es 60 Prozent. Nach dem TV-Duell sprachen sich nur noch 53 Prozent der Zuschauer für die Kanzlerin aus, 39 hingegen für ihn.“

*6) Verwirrung im TV-Duell. Was Schulz der Türkei alles aufkündigen will. FOCUS Online/Glomex. Merkel bekräftigt, dass Islam zu Deutschland gehört. Sonntag, 03.09.2017. (Hinweis RS: bekanntlich hatten im April 2017 fast 49 Prozent der türkischen Wählerinnen und Wähler bei dem Verfassungsreferendum für ein Präsidialsystem nach Erdogans Vorstellungen mit „Nein“ gestimmt.)