Key Money Alptraum.

Ein Abend der Erinnerungen an Berlin endete in peinigenden Träumen, von denen noch gezeichnet der Besucher E. am nächsten Morgen erzählte.

Nach arbeitsreichem Leben hatte E. in Berlin, so träumte ihm, eine gemütliche, altersgerecht im Erdgeschoss gelegene Eigentumswohnung erworben. Vielleicht ein wenig groß, mehr als 200 qm, sicher auch nicht nur ein wenig zu teuer. Aber nach all der Schinderei im Leben, nun mit 63 Jahren wohlverdient. Und vor allem – Location, Location, Location – ganz in der Nähe des Olivaer Platzes gelegen.

„Sie werden kein Auto benötigen, sehen Sie die Buslinien, die schönen Geschäfte ganz in der Nähe, die Pflege der Wohnung organisiere ich Ihnen,“ hatte ihm Mariposa, die in Lima geborene Maklerin, versichert. Schnell hatte E. Vertrauen gefasst, auch zu ihrem Mann, dem netten Horst, mit dem Mariposa das kleine Maklerbüro führte – so berichtete E. von seinem Traum.

„Ay, Don Enrique, qué suerte, eso también sería mi sueño para el otoño de la vida. No se preocupe, Don Enrique.“ Froh lebte E. anderthalb Jahre in diesem Traum, in diesem Traum einer Wohnung. Endlich vor Anker! Endlich festen Boden unter den Füßen, so empfand er im Traum. Und sorgfältig kehrte er jeden Morgen den Bürgersteig.

Bei dieser ihm lieben Pflege des festen Bodens unter seinen Füßen sah er nicht selten Mariposa wieder, die ihn so nett an Callao und Lima erinnerte. „Pobrecito, Don Enrique,“ sagte sie nun, „cuidese mucho, la vida le ha golpeado duro, que no se arruine sus espaldas!“ E. lachte im Traum und freute sich über die fürsorgliche Mariposa.

Bis ihm Horst im Traum erschien. Behutsam nahm der ihm den Besen aus der Hand. „Denken Sie an die Zukunft, lieber Erich. Sie wollen doch lange etwas von Ihrer schönen Investition haben“.

E.s Freunde, Mariposa und Horst, machten sich große Sorgen um ihn. E. spürte selbst im Traum die vielen elenden Baustellen seines abgearbeiteten Körpers. Der Winter war dieses Jahr besonders hart, Glatteis … „Oberschenkelhalsbruch und Feierabend, finito, se acabó“ – warnten die Freunde Mariposa und Horst.

Da hatte Horst eine Idee. Er zeigte E. sieben Fotos mit wunderbaren Stränden, Bungalows, entspannten Gästen, Junge und Alte wie E. selbst. Der Vorschlag war einleuchtend und lief auf folgendes hinaus: Du vermietest uns Deine Wohnung, lebst von der Miete hier oder da, wie Gott in Frankreich, wo die Franzosen schon lange das Leben genossen – mit „oh là là“ half Mariposa nach – und dann wirbelten klangvolle Namen: Da Nang, Phan Rang, Khaolak. Die Traumbilder von Khaolak gefielen E. am besten. Der Tsunami war Geschichte.

Und dann kam die beste Idee von Mariposa: Je länger er ihnen die Wohnung vermiete – Rückkehr jederzeit sei ja ohnehin garantiert, darauf das Wort – desto höher sei das Key Money, für jedes Jahr 5 Tsd. Euro, „cash in die Täsch“, diesen Spruch hatte die schlaue Mariposa von E. gelernt. Ein Vermögen in Khaolak. Und wenn E. Pflege brauche, Horst hatte dort eine Kapazität von Amtsarzt, Professor Dr. Vhutrak, zur Hand.

Nach zwei Tagen Bedenkzeit, die Kälte hatte noch zugenommen, die Heizung wurde auch nicht richtig warm, war der Deal gemacht. Das Key Money, war jetzt der Rat von Horst, sollte E. besser nicht bar erhalten, das frisst doch nur die Inflation bei 0,4 % Zins – auch ohne Traum ein Ärgernis für E.

Nein, besser wäre ein verlässlicher, realer Anspruch für 100 Tsd. Euro Key Money über zwei Jahrzehnte: Unterbringung im eigenen Bungalow bei Khaolak, Vollpension, Rundum-Betreuung durch örtlichen Dienstboten-Service und ärztliche Hilfe durch Herrn Professor Dr. Vhutrak. Und an Geld brauche er gar nicht zu denken. Jeden Monat 500 Euro, „cash in die Täsch“, rief Mariposa fröhlich. Bei Khaolak, vom Studio des Herrn Professor Dr. Vhutrak ausgezahlt. Nur für`s Vergnügen. Ein Vermögen dort.

Weg war E.. Nun wurde der Traum erst richtig schön, Meer, Brise, Sonne, Freundlichkeit. Der Bungalow bei (!) Khaolak war zwar etwas abgelegen, auch nicht zu groß, auch keineswegs zu sauber, aber überall frohes Leben – Hossa, rief E., Hossa! Raus mit dem Key Money, die Miete ist ja auch noch da.

Vier Jahre vergingen im Flug und im Traum. Immer öfter dachte E. an den Olivaer Platz und den Kudamm. Dort war jetzt Sommer. Er könnte bei Wertheim oder auch im KaDeWe Mittag essen oder auch mal ein richtiges deutsches rosa-pralles Eisbein am Wittenbergplatz. E. wollte weg, nach Hause.

Da, ganz plötzlich, befiel ihn Unwohlsein. Seine Laune wurde düster, und er schimpfte immer wüster. Die kleine Phinduk riet ihm, dies nicht zu tun: „Thai immer freundlich, aber Thai-Mann komisch, nicht weiß, was tut, wenn ärgere“.

Nun wurde E. so elend, dass er Prof. Dr. Vhutrak kommen ließ. Der machte ein ernstes Gesicht. „Nicht transportfähig“, lautete die Diagnose, „sofortige unbedingte Ruhe in der Pflegestation“. Raus aus dem Bungalow.

In einem Dreibett-Zimmer erwacht E.. Markerschütternd beginnt er zu schreien, „Mariposa, hol mich hier raus!“ Aber nicht Mariposa, sondern Professor Dr. Vhutrak kommt herbei, mit einer riesigen Spritze …

Wir sind zu unserem lieben E. geeilt. Was ist passiert, alter Junge? Mit weit aufgerissenen Augen starrt er uns an: „Key Money, das gottverfluchte Key Money!“